Armut und Armani
Rucksacktouristen erleben Indien hautnah, wenn sie mit Bus, Bahn und kleinem Budget unterwegs sind
Wir landen frühmorgens in Mumbai. Schon um halb sieben Uhr ist es heiß und schwül. Ein aufdringlicher Geruch steigt in die Nase: eine Mischung aus Gewürzen, Abgasen und etwas völlig Unbekanntem. Wir sind mit dem Rucksack auf Erkundungstour in Indien, drei Wochen lang. Übernachten abwechselnd in günstigen Unterkünften und Zügen, um schlafend Kilometer zurückzulegen – schließlich ist das Land riesig.
In Mumbai halten wir es nicht lange aus. Die Luftfeuchtigkeit ist unerträglich und der südliche Stadtteil, in dem wir uns aufhalten, ist verfallen und hoffnungsvoll überbevölkert. War ja klar, dass in Indien über 1,2 Milliarden Menschen leben, aber wir haben nicht damit gerechnet, dass die allesamt in Mumbai wohnen. Gefühlt. Sie alle sorgen mit einem fortwährenden Ruf- und Hupkonzert für einen permanenten Lärmpegel. Doch was uns in Mumbai am meisten beschäftigt, ist die allgegenwärtige Armut. Das Problem sind nicht die Slums. In den Slums haben die Menschen wenigstens vier Wände um sich herum, Stromanschluss und eine Satellitenschüssel auf dem Dach. Die Kinder gehen zur Schule und besitzen Smartphones. Menschen in Slums haben ein Mindestmaß an Lebensqualität.
Indische Bürokratie
Was uns entsetzt, sind die Tausende Menschen, die im Freien unter Brücken leben, für die eine Plane schierer Luxus ist. Kinder spazieren nackt herum. Und immer wieder gehen wir an Menschen vorbei, die sich einfach mitten im Trubel auf den Gehweg gelegt haben, um zu schlafen. Das sind die Unberührbaren, die Kastenlosen, für die sich Gandhi einsetzte, die aber immer noch am untersten Ende des menschlichen Daseins leben.
Gestank, Lärm und Armut: Damit muss der Indienreisende sich zwangsläufig auseinandersetzen und eine Möglichkeit finden, damit umzugehen. Vor allem der Backpacker muss das. Denn in Zug und Bus und Budget-Unterkünften gibt es keine Möglichkeit, sich dem indischen Alltag zu entziehen.
Wir nehmen den Nachtzug nach Ahmedabad. 2400 Rupien für zwei Personen – was etwa 33 Euro entspricht – für 500 Kilometer Strecke. Wir schlafen in einem Abteil mit sechs Pritschen. Abfahrt um zehn Uhr abends, angedachte Ankunft um halb sieben in der Früh. Wer deutsche Züge für unpünktlich hält, ist noch nie in Indien Zug gefahren.
Zudem ist Zugfahren in Indien eine recht aufwendige Angelegenheit. Tickets sollten Tage, wenn nicht Wochen im Voraus gebucht werden. Und um ein Ticket kaufen zu können, ist ein Reisepass vorzulegen und ein Antrag auszufüllen. Wer deutsche Beamte für bürokratisch hält, ist noch nie in Indien Zug gefahren.
Einfacher ist es derweil mit Rikschas oder Taxen. Die Fahrt in einer Rikscha ist zwar aufregend, aber längst nicht so abenteuerlich, wie manche Reiseführer schreiben. Der Verkehr weckt bei uns eher Neugierde denn Furcht. Er folgt einer eigenen Logik: Jeder Fahrer rechnet in jeder Sekunde damit, dass aus jeder Richtung alles kommen kann – selbst ein Elefant mitten auf der Autobahn. Entsprechend verhält sich jeder.
Die beste Alternative zum Zug sind die öffentlichen Busse, die von überall nach überall fahren. Für Nicht-Inder, die kein Hindi verstehen, ist es allerdings nicht ganz leicht zu erkennen, wann welcher Bus von welchem Gleis in welche Richtung fährt. Da hilft nur fragen: Bahnhofspersonal, Busfahrer und Reisende. Wer mit dem Bus reist, muss darauf gefasst sein, permanent angestarrt zu werden. Das gilt in Indien nicht als unhöflich. Außerdem gibt es noch heute sehr viele Inder, die noch nie einen Europäer gesehen haben. Ein Foto mit einem Weißen ist eine Art Statussymbol. Nirgends sonst auf der Welt sind wir derart häufig um Fotos gebeten worden.
Unsere Route führt von Mumbai Richtung Nordwesten weiter über Jodhpur, Jaipur und Jaisalmer nach Neu-Delhi. Und von dort aus wieder Richtung Süden über Ajanta und Elora mit einem Halt in Aurangabad zurück nach Mumbai.
Hier kauft Richard Gere ein
Die klassischen Sehenswürdigkeiten lassen wir links liegen. In Jodhpur besuchen wir „Jain Textiles“, ein Textilwarenhaus, in dem Giorgio Armani Stoffe schneidern lässt und Richard Gere und Bill Murray Schals einkaufen. In Jaipur buchen wir eine Kamelsafari beim Sohn des angeblichen Erfinders der Kamelsafaris, Mr. Desert, übernachten unter freiem Sternenhimmel nach dem besten indischen Essen der Welt, gekocht von Wüstenbewohnern auf offenem Feuer. In Jaipur lassen wir uns von einem Rikschafahrer beim „Raj Mandir“abzusetzen, dem berühmtesten Kino Indiens. Dort schauen wir uns einen Film an, verstehen ihn aber nicht und verkrümeln uns nach zwei Stunden – in der Halbzeitpause.
So schön Indien ist, so sehr schlägt es aufs Gemüt: Müll, Berge von Müll, überall. Einmal fragen wir einen Gastgeber, wo wir am besten wandern können, um die Natur zu genießen. Da blickt er uns irrgläubig an und schlägt vor, dass er uns eine Rikscha rufen könne, damit der Fahrer uns herumfährt ...
Auch der gute Geschmack wird häufig auf die Probe gestellt. Zum Beispiel beim Blick aus dem Fenster des Restaurants. Wir haben dabei zugesehen, wie Köche den Abfall auf einem gigantischen Berg im Innenhof entsorgen, der sich über Monate angehäuft haben muss.
Wer nicht zimperlich ist, wird in Indien kulinarisch auf seine Kosten kommen. Die Frage lautet dabei: scharf oder nicht scharf? Das ist natürlich Geschmackssache. Straßenessen ist in der Regel scharf. Wer es nicht gewohnt ist, sollte sich lieber langsam herantasten und „not spicy“bestellen. Diese Lightversion ist immer noch scharf genug. Vermutlich ist das scharfe Essen eher für einen übermotivierten Darm verantwortlich als unreines Wasser. Mittlerweile haben die allermeisten Haushalte und Restaurants nämlich mechanisch und chemisch gefiltertes Wasser, das man bedenkenlos trinken kann. Nur die öffentlichen Leitungen sollte man meiden.
Lieben oder hassen?
Am Ende der Reise rechnen wir zusammen und kommen auf 100 Euro pro Woche und Person. Drei Wochen Indien haben uns also 300 Euro gekostet. Aber der Preis sollte nicht das Argument sein, nach Indien zu reisen. Sondern das ehrliche Interesse an diesem Land, das jeden Reisenden herausfordert. Am Ende der Reise kann man Indien nur lieben oder hassen. Wir haben uns noch nicht endgültig entschieden. Das müssen wir beim nächsten Besuch abschließend klären. Was die beiden auf ihrer Reise durch Indien erlebt haben, können Sie auch im Internet sehen in einer
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