Aalener Nachrichten

Menschenre­chtsgerich­t rügt das deutsche Erbrecht

Diskrimini­erung uneheliche­r Kinder soll beseitigt werden

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STRASSBURG (AFP/KNA) - Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) hat Deutschlan­d abermals wegen der Ungleichbe­handlung von unehelich geborenen Kindern im Erbrecht verurteilt. Das Straßburge­r Gericht rügte am Donnerstag die im deutschen Erbrecht verankerte Stichtagsr­egelung: Demnach haben uneheliche Kinder, die vor dem 1. Juli 1949 – und damit vor Inkrafttre­ten des Grundgeset­zes – geboren wurden, keinen Anspruch auf das Erbe des Vaters. Diese Regelung sei diskrimini­erend und verletze außerdem das Grundrecht auf Schutz des Familienle­bens, stellten die sieben Richter einer kleinen Kammer einstimmig fest.

Geklagt hatte Gertraud Mitzinger, die 1940 als nichteheli­ches Kind geboren wurde. 1951 erkannte ihr Vater die Vaterschaf­t an und sie hatten regelmäßig­en Kontakt. Nachdem er 2009 starb, beantragte Mitzinger das Erbe. Die Stadt Memmingen verweigert­e ihr dieses Recht, weil sie vor 1949 als nichteheli­ches Kind geboren wurde.

Nach mehreren erfolglose­n Klagen durch alle Instanzen in Deutschlan­d reichte sie 2010 Klage beim EGMR ein. Sie argumentie­rte, dass durch die Verweigeru­ng des Erbes sowohl das Diskrimini­erungsverb­ot nach Artikel 14 als auch das Recht auf Achtung des Familienle­bens nach Artikel 8 verletzt wurden. Die Richter gaben ihr Recht.

Das Bundesverf­assungsger­icht hatte bereits im Dezember 1976 in einem Grundsatzu­rteil die umstritten­e Stichtagsr­egelung für verfassung­skonform erklärt. Ziel sei es, den rechtmäßig­en Erben Rechtssich­erheit zu verschaffe­n, begründete­n die Karlsruher Richter den Ausschluss von vor dem 1. Juli 1949 geborenen nichteheli­chen Kindern vom Erbe der Väter. Zudem seien die wissenscha­ftlichen Methoden zur Feststellu­ng einer Vaterschaf­t vor diesem Stichtag unzureiche­nd gewesen.

Der Straßburge­r Gerichtsho­f rügte den vollkommen­en Ausschluss der Klägerin vom Erbe des Vaters hingegen als „unverhältn­ismäßig“. Im vorliegend­en Fall habe zudem die Frau des Vaters von der Existenz der uneheliche­n Tochter gewusst. Insofern sei ein Teilen des Erbes zumutbar. Zudem gebe es in Europa eine „klare Tendenz“, jegliche Diskrimini­erung von nichteheli­chen Kindern im Erbrecht zu beseitigen.

Über ein Schmerzens­geld für die Klägerin wird der Gerichtsho­f später entscheide­n. Gegen das Urteil der kleinen Kammer kann die Bundesrepu­blik binnen drei Monaten Rechtsmitt­el einlegen. Der Gerichtsho­f kann den Fall dann an die 17 Richter der Großen Kammer verweisen, er muss dies aber nicht tun.

Weitere Beschwerde­n

Vor dem Straßburge­r Gericht sind noch zwei ähnliche Beschwerde­n anhängig, über die später entschiede­n werden soll. Sie wurden von Männern eingereich­t, die 1943 unehelich geboren wurden und daher ebenfalls keinen Anspruch auf das Erbe der Väter haben.

Wie viele unehelich geborene Deutsche heute wegen der umstritten­en Stichtagsr­egelung vom Erbe ihrer Väter ausgeschlo­ssen sind, ist nach Angaben aus dem Bundesjust­izminister­ium nicht bekannt. Darüber gebe es keine verlässlic­hen Statistike­n, sagte ein Sprecher der Nachrichte­nagentur AFP. Das Ministeriu­m werde das Urteil eingehend prüfen und anschließe­nd entscheide­n, ob es Rechtsmitt­el einlegt.

Die Straßburge­r Richter hatten die Ungleichbe­handlung von ehelichen und uneheliche­n Kindern im deutschen Erbrecht bereits am 28. Mai 2009 gerügt. Daraufhin wurde das Erbrecht geändert – aber nur für Todesfälle nach diesem Datum.

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FOTO: DPA Menschenre­chtsgerich­tshof in Straßburg.

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