Union erneuert Vorwürfe
Nordrhein-Westfalen habe im Fall Amri versagt
BERLIN (dpa) - Die Union hat ihre Versäumnisvorwürfe gegen das Land Nordrhein-Westfalen im Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri erneuert. CSU-Innenexperte Stephan Mayer hielt den Behörden des Bundeslandes nach einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages am Montag in Berlin vor, nicht alle rechtlichen Möglichkeiten zur Abschiebung ausgeschöpft zu haben, „um Anis Amri außer Landes zu bringen“. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) wies dies zurück.
Unterdessen rückt vor dem heutigen Besuch von Tunesiens Premierminister Youssef Chahed in Berlin die Menschenrechtslage in der nordafrikanischen Heimat des Attentäters verstärkt in den Blick. Grüne und Linke kritisierten die geplante Einstufung Tunesiens als sicheres Herkunftsland, um abgelehnte Asylbewerber leichter dorthin abschieben zu können.
BERLIN (AFP) - Bei einer Sondersitzung des Innenausschusses zu möglichen Behördenpannen im Fall des Berlin-Attentäters Anis Amri hat die Union die SPD-geführte Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ins Visier genommen. Die nordrheinwestfälischen Behörden hätten die Abschiebung Amris nicht mit der nötigen „Dringlichkeit und Vehemenz“vorangetrieben, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU). Viele Fragen der Abgeordneten blieben nach der fünfstündigen Sitzung offen.
Der Ausschuss hatte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) angehört. Mayer zeigte sich „überrascht“, dass Jäger die Verantwortung den Behörden von Amris Heimatland Tunesien zuschiebe, die erforderliche Ausweispapiere nicht geliefert hätten. Das sei „zu einfach“. Die Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen hätten versuchen müssen, vor Gericht Abschiebehaft zu beantragen.
Auch der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster sagte, NordrheinWestfalen sei „in erster Linie“verantwortlich, dass Amri nicht inhaftiert wurde. Da der Tunesier wegen einer Reihe kleinkrimineller Vergehen aktenkundig war, hätte es dafür „gleich mehrere Chancen“gegeben.
Jäger wies die Vorwürfe nach der Sitzung zurück. „Um es mal ganz deutlich zu sagen: Die Bundesregierung hat Rücknahmeabkommen mit Ländern wie Tunesien und Marokko und Algerien vereinbart, die in den Ländern und Kommunen nicht praktikabel umsetzbar sind“, sagte er. Die Einschätzung, dass von Amri keine unmittelbare Anschlagsgefahr ausgehe, sei unter Beteiligung von Bundesund Landesbehörden im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) getroffen worden.
„Überall Fehler gemacht“
„Fehler sind überall gemacht worden“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka. „Es hat keinen Zweck, wenn man in Zukunft solche Fälle verhindern will, dass einer auf den anderen zeigt, was Zuständigkeiten angeht.“Angesichts der Schuldzuweisungen beklagte der LinkenAbgeordnete Frank Tempel, dass insbesondere zwischen Union und SPD der „Wahlkampf der kommenden Monate“zu spüren gewesen sei.
Amri konnte am 19. Dezember den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz mit zwölf Toten begehen, obwohl er als islamistischer Gefährder auf dem Radar der Sicherheitsbehörden war. Seine Überwachung war vor dem Anschlag mit einem gekaperten Lkw eingestellt worden. Der Tunesier hatte sich mehrere Identitäten zugelegt und war häufig zwischen Berlin und Nordrhein-Westfalen gependelt.