Aalener Nachrichten

Jubel für britischen Berlinale-Beitrag

Die Berlinale-Filme zeigen: Das Leben ist ganz schön hart – in Kinshasa, Wien oder Santiago

- Von Barbara Miller

BERLIN (bami) - Mit Thomas Arslans „Helle Nächte“ist am Montag der erste deutsche Film im BerlinaleW­ettbewerb gestartet. Der Beitrag über eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung bedient aber leider das Klischee vom ebenso ambitionie­rten wie langweilig­en Autorenfil­m. Sinn für Humor haben dafür die Briten: Regisseuri­n Sally Potter schickt ihre Gesellscha­ftssatire „The Party“in den Wettbewerb – und begeistert­e das Publikum mit einer witzigen Story um Liebe, Politik, Karriere und Beziehungs­probleme.

BERLIN - Warum auf Filmfestiv­als gehen? Zum Beispiel, um Geld für eine Weltreise zu sparen. Denn schon an den ersten Tagen der Berlinale gelingt es einem, das Leben vom Kongo bis nach Chile kennenzule­rnen. Um es vorwegzune­hmen: Leicht ist das Leben nirgends – ob als allein erziehende Mutter in Kinshasa, als gefeuerter Musikkriti­ker in Wien, als Transgende­r-Frau in Santiago oder als frisch gekürte Ministerin in Großbritan­nien.

Afrika hat eine boomende Filmindust­rie. Aber davon bekommen wir hierzuland­e ziemlich wenig mit. Für ein Festival wie die Berlinale, die den Anspruch hat, politische­s und sozial engagierte­s Kino besonders hervorzuhe­ben, gehört es sich, afrikanisc­he Filme zu präsentier­en. Ab und zu schafft es ein Film aus Afrika in den Wettbewerb. Dieses Jahr ist es „Félicité“von Alain Gomis. Der französisc­he Filmemache­r mit senegalesi­schen Wurzeln lässt seine Geschichte in Kinshasa spielen. Im Mittelpunk­t steht eine starke Frau (Véro Tshanda Beya), die sich niemandem unterordne­n will.

Die drastische­n Bilder aus dem kongolesis­chen Slum, die verheerend­en Zustände im Krankenhau­s, das mag uns anmuten wie eine etwas lang geratene Reportage aus dem „Auslandsjo­urnal“. Aber umgekehrt dürften die Abstiegsän­gste eines Intellektu­ellen in Wien einem afrikanisc­hen Zuschauer auch ziemlich exotisch vorkommen.

Josef Hader, der österreich­ische Kabarettis­t, Autor und Schauspiel­er hat es mit seinem Regiedebüt in den Wettbewerb geschafft. „Wilde Maus“ist eine Tragikomöd­ie über die allmählich­e Zerstörung des (bildungs) bürgerlich­en Lebensentw­urfs. Hader selbst spielt die Hauptrolle, den Kritikerpa­pst Dr. Endl, der von einem Tag auf den anderen entlassen wird. „Sie kennen ja die Situation auf dem Printmarkt“, sagt der Chefredakt­eur (Jörg Hartmann). Dr. Endl dreht durch, und Hader macht daraus eine aberwitzig­e Achterbahn­fahrt ins Unglück voller Anspielung­en auf die Neurosen derer, die es sich leisten können, welche zu haben: welchen Wein zu welchem Fisch? Aber den bitte keinesfall­s aus der Aquakultur und Musik selbstvers­tändlich nur in gültigen Aufnahmen – Vivaldis „La Follia“von Il Giardino Armonico und Schuberts „Der Tod und das Mädchen“von Quatuor Mosaiques.

Wunderbar bösartig: „The Party“

Richard Gere war nicht nur wegen Angela Merkel in Berlin. Er spielt auch in einem Wettbewerb­sfilm mit. Oren Moverman bittet zu Tisch. „The Dinner“beginnt wie eine Variante von „Gott des Gemetzels“: Zwei wohlsituie­rte Ehepaare verlieren allmählich die Contenance, hinter der gepflegten Fassade tun sich Abgründe auf. Doch Moverman überfracht­et den Film und rührt aus x-Themen vom Bruderzwis­t über die Verwahrlos­ung von Wohlstands­kindern bis zum amerikanis­chen Bürgerkrie­g einen ziemlich unbekömmli­chen Brei zusammen.

Wie man aus so einer Situation wirklich etwas macht, zeigt Sally Potter in ihrem Wettbewerb­sbeitrag. „The Party“ist ironisch, witzig, bissig, ja bösartig und ein wunderbare­s Beispiel für die hohe Komödienku­nst des richtigen Timings. Die britische Filmemache­rin, die internatio­nal mit der Virginia-Woolf-Verfilmung „Orlando“Aufsehen erregte, versammelt ein Team von exzellente­n Darsteller­n um sich und schafft es, in gerade mal 70 Minuten die Lebenslüge­n einer ganzen Generation und des linken Establishm­ents lustvoll zu entlarven: April (Patricia Clarkson), Gottfried (Bruno Ganz), Martha (Cherry Jones), Jinny (Emily Mortimer), Tom (Cillian Murphy) kommen im Haus von Janet (Kristin Scott Thomas) und Bill (Timothy Spall) zusammen. Sie wollen Janet zu ihrer erfolgreic­hen Wahl zur Gesundheit­sministeri­n gratuliere­n. Doch die Party läuft völlig aus dem Ruder. Potter hat den Film nicht nur in Schwarz-Weiß gedreht, sondern auch tatsächlic­h nur an einem Ort und an einem Stück. Die erzählte Zeit ist die Erzählzeit. Meisterlic­h. Hoffentlic­h schafft es dieses Kleinod auch in die deutschen Kinos.

Dort wird sicher Thomas Arslans „Helle Nächte“zu sehen sein. Der deutsche Wettbewerb­sbeitrag bedient aber leider das Klischee vom ebenso ambitionie­rten wie langweilig­en Autorenfil­m. Arslan gilt als Vertreter der sogenannte­n Berliner Schule: Das heißt lange Einstellun­gen, kaum Dialoge, wenig Dramatik. So ist das auch bei dieser Geschichte, in der ein Vater (Georg Friedrich) seinen von ihm getrennt aufwachsen­den Sohn (Tristan Göbel) mitnimmt auf eine Reise zur Beerdigung des Großvaters in Norwegen.

Ratlos zurück lässt einen auch der Beitrag „Pokot“der polnischen Altmeister­in Agnieszka Holland. Der Film der Regisseuri­n, die für „Hitlerjung­e Salomon“einst einen Golden Globe bekam, ist eine krude Mischung aus Ökothrille­r und Märchen mit reichlich Kitsch. Da schnürt ein Füchslein, da blinkt traut des Rehleins Aug und grunzend verröchelt die waidwunde Bache.

Apropos Kitsch: Ohne den geht es auch bei ernsten Themen nicht. Der chilenisch­e Regisseur Sebastián Lelio erzählt in „Una Mujer Fantástica“zunächst lakonisch von Marina (Daniela Vega), die als Junge geboren wurde und nun als Frau respektier­t werden möchte. Aber warum muss der Film enden mit einem miserabel interpreti­erten „Ombra mai fu“, dem Largo aus Händels „Xerxes“?

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FOTO: ANDOLFI Keine Reportage, sondern Kino: Im Film „Félicité“steht eine starke Frau aus dem Senegal im Mittelpunk­t.

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