Hier zählen andere Sinne
Der blinde Pianist Nobu Tsujii und das Orchestre Philharmonique de Strasbourg begeistern am See
FRIEDRICHSHAFEN - Viele junge Musikerinnen und Musiker, ein warm dunkler Orchesterklang, ein sparsam und doch effektiv agierender Dirigent und vor allem ein berührender Solist: Das sind, kurz skizziert, die Charakteristika im Konzert des Orchestre Philharmonique de Strasbourg im Graf-Zeppelin-Haus. Der slowenische Dirigent Marko Letonja, das elsässische Orchester und der japanische, von Geburt an blinde Pianist Nobu Tsujii gingen eine außergewöhnliche Symbiose ein.
Große romantische Musik stand auf dem Programm: Zu Beginn erweckte die Konzertouvertüre „Le Corsaire“von Hector Berlioz, dem französischen Meister der Instrumentation, brausenden Wirbel von Streichern und Bläsern. Die Lektüre von Lord Byrons Versepos über einen wilden, von der Gesellschaft geächteten Piraten hatte Berlioz zu dieser sturmgepeitschten Musik angeregt.
Inniges Zwiegespräch
Dann führte Dirigent Marko Letonja den Pianisten Nobuyuki Tsujii zum Flügel: Seine Blindheit wird nebensächlich, sobald der 28-Jährige auf dem Klavierhocker sitzt, den Abstand zur Klaviatur ausgerichtet hat, sich im Puls des Orchestervorspiels eingeschwungen hat. Dann wird er selbst zu Musik, zu Klang, taucht ein ins Orchester, lauscht, nimmt den Atem der Musiker und des Dirigenten wahr, verlässt sich auf andere Schwingungen.
Vieles ist ohnehin unbegreiflich: Wie hat er das gelernt anhand weniger Notenausgaben in Brailleschrift und spezieller Tonbandaufnahmen, in denen die linke und die rechte Hand getrennt aufgenommen wurden? Das Staunen darüber wächst, wenn man ihn romantische Musik wie das Klavierkonzert von Grieg mit all ihren emotionalen Aufwallungen und Rubati spielen hört. Nobu Tsujii schöpft alle Möglichkeiten aus, spielt in den Akkordpassagen mit hellem gemeißeltem Klang und starken Bässen, findet ebenso ins feinste Pianissimo, wenn er gleichsam Teil des Orchesters wird. Im langsamen Satz verströmt er sich im innigen Zwiegesang mit den Streichern, im Finale ist er der Anführer in einem heiteren Springtanz, der schon sehende Pianisten an ihre Grenzen bringt.
Solist, Dirigent, Orchester sind eins, alle Antennen sind aufeinander ausgerichtet, Puls und Atem fließen. Zwei Zugaben schenkt der Künstler seinem begeisterten Publikum: Wunderbare Anschlagskultur zeigt er in Beethovens „Mondscheinsonate“, in der „Revolutionsetüde“von Chopin bricht ein klingender Vulkan aus.
Ein paar Kilometer flussabwärts begeben sich die Straßburger Musiker und ihr sympathischer Chefdirigent Marko Letonja mit Schumanns 3. Symphonie. Schumann hat sie während seiner anfangs noch glücklichen Zeit als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf komponiert, trotzdem hat sie bei allen blühenden Melodien einen dunklen Grundklang.
Letonja betont dies noch durch die Sitzordnung, die die Celli und Bratschen in der Mitte postiert und die Kontrabässe hinter den ersten Geigen. Die große Streichergruppe, die beweglichen Holzbläser, die feierlichen Hörner, Posaunen und Trompeten bilden so einen kompakten, warmen, gleichwohl strahlenden Klangkörper. Der 55-jährige Dirigent aus Slowenien, der parallel viel in Australien wirkt, führt sein Orchester unaufdringlich und doch ungemein klar strukturierend und lässt im Finale die rheinische Fröhlichkeit aufleben.