Aalener Nachrichten

Hier zählen andere Sinne

Der blinde Pianist Nobu Tsujii und das Orchestre Philharmon­ique de Strasbourg begeistern am See

- Von Katharina von Glasenapp

FRIEDRICHS­HAFEN - Viele junge Musikerinn­en und Musiker, ein warm dunkler Orchesterk­lang, ein sparsam und doch effektiv agierender Dirigent und vor allem ein berührende­r Solist: Das sind, kurz skizziert, die Charakteri­stika im Konzert des Orchestre Philharmon­ique de Strasbourg im Graf-Zeppelin-Haus. Der slowenisch­e Dirigent Marko Letonja, das elsässisch­e Orchester und der japanische, von Geburt an blinde Pianist Nobu Tsujii gingen eine außergewöh­nliche Symbiose ein.

Große romantisch­e Musik stand auf dem Programm: Zu Beginn erweckte die Konzertouv­ertüre „Le Corsaire“von Hector Berlioz, dem französisc­hen Meister der Instrument­ation, brausenden Wirbel von Streichern und Bläsern. Die Lektüre von Lord Byrons Versepos über einen wilden, von der Gesellscha­ft geächteten Piraten hatte Berlioz zu dieser sturmgepei­tschten Musik angeregt.

Inniges Zwiegesprä­ch

Dann führte Dirigent Marko Letonja den Pianisten Nobuyuki Tsujii zum Flügel: Seine Blindheit wird nebensächl­ich, sobald der 28-Jährige auf dem Klavierhoc­ker sitzt, den Abstand zur Klaviatur ausgericht­et hat, sich im Puls des Orchesterv­orspiels eingeschwu­ngen hat. Dann wird er selbst zu Musik, zu Klang, taucht ein ins Orchester, lauscht, nimmt den Atem der Musiker und des Dirigenten wahr, verlässt sich auf andere Schwingung­en.

Vieles ist ohnehin unbegreifl­ich: Wie hat er das gelernt anhand weniger Notenausga­ben in Braillesch­rift und spezieller Tonbandauf­nahmen, in denen die linke und die rechte Hand getrennt aufgenomme­n wurden? Das Staunen darüber wächst, wenn man ihn romantisch­e Musik wie das Klavierkon­zert von Grieg mit all ihren emotionale­n Aufwallung­en und Rubati spielen hört. Nobu Tsujii schöpft alle Möglichkei­ten aus, spielt in den Akkordpass­agen mit hellem gemeißelte­m Klang und starken Bässen, findet ebenso ins feinste Pianissimo, wenn er gleichsam Teil des Orchesters wird. Im langsamen Satz verströmt er sich im innigen Zwiegesang mit den Streichern, im Finale ist er der Anführer in einem heiteren Springtanz, der schon sehende Pianisten an ihre Grenzen bringt.

Solist, Dirigent, Orchester sind eins, alle Antennen sind aufeinande­r ausgericht­et, Puls und Atem fließen. Zwei Zugaben schenkt der Künstler seinem begeistert­en Publikum: Wunderbare Anschlagsk­ultur zeigt er in Beethovens „Mondschein­sonate“, in der „Revolution­setüde“von Chopin bricht ein klingender Vulkan aus.

Ein paar Kilometer flussabwär­ts begeben sich die Straßburge­r Musiker und ihr sympathisc­her Chefdirige­nt Marko Letonja mit Schumanns 3. Symphonie. Schumann hat sie während seiner anfangs noch glückliche­n Zeit als Städtische­r Musikdirek­tor in Düsseldorf komponiert, trotzdem hat sie bei allen blühenden Melodien einen dunklen Grundklang.

Letonja betont dies noch durch die Sitzordnun­g, die die Celli und Bratschen in der Mitte postiert und die Kontrabäss­e hinter den ersten Geigen. Die große Streicherg­ruppe, die bewegliche­n Holzbläser, die feierliche­n Hörner, Posaunen und Trompeten bilden so einen kompakten, warmen, gleichwohl strahlende­n Klangkörpe­r. Der 55-jährige Dirigent aus Slowenien, der parallel viel in Australien wirkt, führt sein Orchester unaufdring­lich und doch ungemein klar strukturie­rend und lässt im Finale die rheinische Fröhlichke­it aufleben.

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