Importierte Schmuckstücke
Nur langsam kann die gefeierte Vorarlberger Architektur auch auf deutscher Seite Fuß fassen
Gerühmt worden ist die Architektur des neuen Gipfelrestaurants auf dem Nebelhorn bereits – etwa von der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Als der Bau kürzlich den kirchlichen Segen erhielt, durfte die CSU-Politikerin Ehrengast auf dem 2224 Meter hohen Gipfel sein. Sie redete von einer „Perle des Allgäus“. Regionale Prominenz vom Landrat bis hin zu Touristikchefs preist das fünfeinhalb Millionen teure Gipfelrestaurant als „Schmuckstück“. Ist es aber nun wirklich so toll?
Fürs fundierte Urteil sollte man den Bau selber gesehen haben. Von der Funktion her könnte er ja auch eine simple Abfütterungsstation für Touristen sein. So wächst die Spannung, als die Gondel der Nebelhornbahn zur letzten Station vor dem verschneiten Gipfel emporschwebt. Wie vermutet, ist der neue Bau schon von hier aus zu sehen. Weit oben lassen Sonnenstrahlen Verkleidungen aus Kupferblech leuchten. In einem schwungvollen Bogen zieht sich die Fensterfront den Berg entlang. Das sieht schon mal gut aus.
Dass große Teile mit Eschenholz gestaltet sind, ist noch nicht zu erkennen. Dies zeigt sich erst kurz vor dem Erreichen des Gipfels. Zu erwarten war die Verwendung von viel Holz jedoch. Der Grund dafür hat mit der Herkunft des Architekten Hermann Kaufmann zu tun. Er kommt aus Vorarlberg. Alle jene, die sich mit der Bauszene etwas auskennen, dürften nun aufhorchen: Kaufmann ist einer der bekannten Vertreter der Neuen Vorarlberger Architektur. Seit Jahren sorgt sie weit über das kleine österreichische Bundesland hinaus in Fachkreisen für Furore und hat bereits international zig Preise eingeheimst.
Grenze des guten Geschmacks
Zwei Hauptfaktoren kennzeichnen den Stil: ein alltagstauglicher Minimalismus verbunden mit der Verwendung regionaler Baumaterialien, in diesem Fall möglichst viel Holz. Vorarlberg strotzt inzwischen von Beispielen dieser Architektur. Komischerweise ist der Boom aber bisher trotz der räumlichen Nähe an den deutschen Nachbarregionen wie dem Allgäu und dem Bodenseeraum weitgehend vorbeigegangen.
Im Extremen lässt sich dies am Unterlauf der Leiblach betrachten. Auf den letzten Kilometern vor dessen Mündung in den östlichen Bodensee bildet das Flüsslein die Grenze zwischen Bayern und Vorarlberg. Ist der Blick in Richtung der österreichischen Nachbarn gewendet, sind in greifbarer Nähe immer wieder chic wirkende Holzbauten zu sehen. Sie fügen sich meist recht gut in die Häuserbestände der Dörfer ein, ebenso in die Landschaft.
Auf weiß-blauem Grenzstreifen entdeckt man dagegen oft Neubauviertel mit einer Allerweltsarchitektur, die in dieser belanglosen Form überall in Mitteleuropa stehen könnte. Ein solcher Eindruck lässt sich entlang des Bodensees oder im Allgäu vielerorts gewinnen. Warum ist dies so? „Die Schwaben sind sich selbst genug. Sie glauben, so etwas wie in Vorarlberg braucht es nicht“, meint Florian Aicher, ein bei Leutkirch im Allgäu ansässiger Architekt. Er gilt als profunder Kenner der Vorarlberger Bauszene. Aicher verweist darauf, dass es dort oft auch darum gehe, alten Baubestand behutsam mit zeitgenössischer Architektur zu vereinen. „Bei uns dagegen heißt es gerne: Weg mit dem alten Zeug.“Nach wie vor werde beim Bauen auch gerne der brutale Kontrast zum Altbestand gesucht.
Als klassisches Beispiel für Aichers Aussage können etwa grobe Beton-Komplexe in Fachwerkhäuser-Zeilen gelten. Zahlreiche Altstädte leiden innerhalb ihrer Mauerringe an solchen Kombinationen. Der Leutkircher Architekt würde sich generell mehr Berücksichtigung Vorarlberger Stilelemente wünschen, weil „hier auch die Proportionen stimmen“. Dies soll heißen, dass auf architektonisches Blendwerk oder Größenwahn verzichtet wird.
Sein Kemptener Kollege Franz G. Schröck äußert sich ähnlich. Er ist Teilzeitgeschäftsführer des Architekturforums Allgäu. „In Vorarlberg“, sagt Schröck, „hat sich in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein durchgesetzt, dass eine einfühlsam bebaute Umwelt besser zur Identität der Menschen und ihrer Lebensqualität beiträgt als eine 08/ 15-Umgebung.“Wobei weder Aicher noch er der hiesigen Architektengemeinschaft den Willen oder die Fähigkeit zu guter Architektur abspricht. Zum einen ist der Vorarlberger Stil sowieso nicht allein selig machend. Desweiteren gibt es auf der deutschen Seite der Grenze Architekten, die eine ähnliche Haltung wie ihre Vorarlberger Kollegen haben. Sie wollen jedoch nicht einfach deren Werk kopieren, sondern einen eigenen regionalen Stil entwickeln. „Der wird aber erst von wenigen Bauherren mitgetragen“, klagt Schröck.
In diversen regionalen Architektenkreisen ist fast schon von einer Bautristesse auf deutscher Seite die Rede. Wobei die Suche nach den möglichen Ursachen eben doch komplexe Züge hat. So ortet Schröck neben den bereits beschriebenen Faktoren ein weiteres Problem „im Verzicht auf gestalterischen Fachverstand“. „Bei uns“, berichtet er, „werden rund 90 Prozent der Neubauten nicht mehr von Architekten, sondern von anderen Bauvorlageberechtigten geplant.“Damit meint Schröck etwa Maurer- oder Zimmerermeister, auch Bauingenieure – also Berufsgruppen, die üblicherweise ohne eine tiefer gehende gestalterische Ausbildung bleiben. „Hingegen“, sagt er, „sind in Vorarlberg bei 90 Prozent der Bauprojekte Architekten beteiligt.“Das hat sichtbare Folgen. Kein Wunder, dass sich beim kleinen österreichischen Bodenseenachbarn eine in Mitteleuropa fast einzigartige Architekten-Dichte entwickeln konnte. Rund 165 Büros werden gezählt.
Dieser Aufschwung geht in die 1960er-Jahre zurück. Architekten wie der legendäre Hans Purin empfanden das damalige Bauen als provinziell. Sie nahmen die traditionellen Formen der Häuser im Bregenzerwald und Montafon als Grundlage. Bauen sollte nachhaltig sein, die Formensprache klar. Nicht jedem gefiel dies. Kritiker sprachen von „Holzkistchenbauweise“. Doch der Architekturstil setzte sich nicht nur durch, er entwickelte sich auch weiter.
Dies lässt sich auf dem Nebelhorn sehen. Kein geometrischer Holzklotz. Mit seinen Kurven schmiegt sich das Gipfelrestaurant an die Felsen unterhalb des Gipfelkreuzes. „Es soll sich in seine Umgebung einfügen“, erklärt Architekt Kaufmann. Bei einem Berg müsse eben der Gipfel „richtungsweisend“sein. Kaufmann betont, dass aber auch bei diesem Bau „die klare Linienführung“des Vorarlberger Stils beibehalten worden sei. Dies gilt ebenso für die Nüchternheit des Restaurants sowie die sorgfältige handwerkliche Ausführung – ein weiteres Kennzeichen dieses Architekturstils.
Für solch bewegte Bauformen aus der Vorarlberger Schule gibt es auch im Bodenseehinterland bei Tettnang ein Beispiel. Dort steht im Wald ein vergangenes Jahr fertig gewordenes Forstbetriebsgebäude. Es ähnelt einer schindelgedeckten Kapelle – oder auch einem Hexenhäuschen. Das geschwungene Satteldach zieht sich mit dem hoch hinausragenden Kamin nicht mittig empor, sondern leicht versetzt. Baumaterial war in erster Linie das Holz der örtlich wachsenden Weißtanne.
Gelungene Holzbauten
Neben dem Nebelhorn-Restaurant ist das inzwischen für mehrere Preise vorgeschlagene Forsthaus eines der seltenen Gebäude im Vorarlberger Stil, die in jüngerer Zeit auf deutscher Seite entstanden sind. Die zuständige Forstverwaltung des Bodenseekreises betonte zur Einweihung, man habe eine prägende Architektur gewollt, die auf einer „qualitativ sehr hochstehenden Holzbauweise beruht“. Auf der Suche nach geeigneten Architekten waren die Förster in die Vorarlberger Landeshauptstadt Bregenz gelangt – und dort wiederum ins Büro von Elmar Ludescher und Philipp Lutz.
Die Beiden hatten kurz zuvor beim Bodenseedorf Wasserburg ein prämiertes Weingut entworfen. Kellermeister Sebastian Schmidt sagt, dass auch seine Familie eine Architektur gesucht habe, die „behutsam berücksichtigt, wie ein Gebäude in die Landschaft passt“. Ähnliche Vorstellungen gab es zudem bei der Suche nach einem Architekten für den 2014 abgeschlossenen Neubau des Comturey-Restaurants auf der Bodensee-Blumeninsel Mainau. Wieder stießen die Bauherren bei der Ausschreibung auf einen Vorarlberger. „Die Gesamtarchitektur ordnet sich auch dank der Holzfassade dem Mainau-Schloss und dem historischen Comturey-Turm im Rücken dezent unter“, sagt Björn Graf Bernadotte, der gemeinsam mit seiner Schwester Bettina die Mainau GmbH leitet.
Comturey-Architekt Matthias Hein wurde seinerzeit gefragt, was den Erfolg der Bauschule ausmache. Seine Antwort: Neben all den stilistischen Elementen eben auch die engmaschige Architekten-Struktur im überschaubaren Vorarlberg. Da könnte etwas dran sein. Die Szene kennt sich. Man diskutiert und spornt sich gegenseitig an. Gelungenes gilt als Vorbild. Womöglich ist dies auch beim Nebelhorn-Restaurant der Fall. Zumindest die Oberstdorfer haben bereits einen ganz besonderen Blick darauf: Der Volksmund spricht liebevoll von der „kleinen Elphi“. In einem scherzhaft gemeinten Anfall von Größenwahn soll so eine Parallele zur fast gleichzeitig fertig gewordenen Elbphilharmonie in Hamburg gezogen werden.
Es soll sich in seine Umgebung einfügen. Hermann Kaufmann, Architekt des NebelhornRestaurants