Quo vadis, Beaujolais?
Die Gamay-Traube setzt zu ungeahnten Höhenflügen an
Eine romantisch hügelige Landschaft mit stillen Tälern und verschlafenen Dörfern, deren Namen wie Saint-Amour, Fleurie oder Moulin-àVent schiere Poesie verströmen, lädt zu einer Reise ins Beaujolais ein.
Um der Arrivage des Beaujolais Primeur beizuwohnen, die in den Bistros und Straßen von St. Germain de Près und des Quartier Latin in der dritten Novemberwoche des Jahres seiner Lese mit Live-Jazz zelebriert wurde, ist der Verfasser dieser Zeilen einst nicht in diese südlichste Ecke des Burgund, sondern nach Paris gepilgert. Das hatte Flair und über allem schien ein existenzialistischer Hauch von Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Boris Vian zu schweben. Doch nur scheinbar täuschte dies darüber hinweg, dass das ausgeschenkte Gebräu dazu geeignet war, sich das Weintrinken abzugewöhnen. Die Kopfschmerzen, die man zollfrei mit nach Hause nehmen konnte, wiesen eine Halbwertzeit auf, die weit über der eines biologisch reinen Mostbowle-Katers aus dem heimatlichen Aussiedlerhof lag.
Für den jungen Beaujolais wurde unter Verwendung der macération
carbonique, einer Kohlensäuremaischegärung mit kurzem Schalenkontakt, sowie einer kurzzeitigen Erhitzung der Maische eine hohe Fruchtigkeit angestrebt, die neben einer gewissen Frische und Süffigkeit auch Uniformität bewirkte. Er sollte, so die auf frühe Vermarktung abzielenden Marktstrategen, am liebsten jedes Jahr gleich schmecken und Wiedererkennungswert besitzen. Unter qualitativen Aspekten eine fragwürdige, unter pekuniären eine höchst erfolgreiche Strategie.
Dazuhin bediente man sich der Sonne aus dem Zuckersack. Franz
Keller sen., der wenige Gelegenheiten ausließ, sich mit der wiehernden Weinbürokratie anzulegen, aber auch ein liebenswerter Plauderer war, weihte den Weinschreiber einst schelmenhaft in das bestgehütete Geheimnis einer traditionellen Pfarrköchin ein: „Sie hat Vertrauensstellung, sie rührt den Zucker in den Wein.“Manchmal gemahnte es, als sei zu Beginn des November eine ganze Armada von Pfarrköchinnen ins Beaujolais zur Leiharbeit unterwegs.
Chaptalisierung wird derartiges Korrigieren der Natur genannt, Namensgeber ist der französische Chemiker, Mediziner und Innenminister unter Napoléon, Jean-Antoine
Chaptal, und es soll die sensorischen Qualitäten und Stoffigkeit des Weines steigern. Tatsächlich steht die Anreicherung mit Saccharose für die anhaltenden Maladien, die nach ausgiebigem Genuss des jungen Beaujolais in den oberen Gefilden des Konsumenten temporär das Kommando übernommen haben.
Aber auch was als Beaujolais, Beaujolais Villages, Cru oder Grand Cru auf den Markt gebracht wurde, hat Jahrzehnte lang nicht eben häufig dazu animiert, das hohe Lied anzustimmen.
Innovative Winzer
Was ist nun seit diesen Tagen bescheiden zu nennender Referenzen anders geworden? Gefühlt zwei Hände voll innovativer Weinbaubetriebe haben die Weinwelt in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren mit ungeahnten Qualitätssprüngen ins Staunen versetzt. Je nach der Philosophie des Winzers, wie ein Beaujolais auszubauen sei, der das Potenzial des Terroir und der Gamay-Traube voll ausschöpft, ist man von der Methode der macération carbonique gänzlich abgerückt oder vergärt semi-carbonique, hat den Schalenkontakt auf bis zu drei Wochen verlängert, was den Weinen mehr Struktur und Tiefe verleiht und der Chaptalisierung abgeschworen. Manche sind dazu übergegangen, die Weine vergleichbar denen traditionell arbeitender Häuser von der Côte d’Or auszubauen, mit dem behutsamen Untertauchen des an der Oberfläche schwimmenden Tresterhuts, der pigeage. Einige Domainen verzichten auf Schönung wie auf Schwefelung und füllen ihre Weine unfiltriert ab. Die einen bauen in großen Fudern, die anderen in 228-Liter-Pièces aus jungem Holz aus, wobei die Verweildauer den önologischen Erfordernissen und Verträglichkeiten des jeweiligen Jahrgangs subtil angemessen wird. Manche arbeiten mit der entière, entrappen das Lesegut nicht, manche trennen die Traubenbeeren vom Traubengerüst zur Gänze oder teilweise.
Im Weinberg ersetzt Handarbeit den Traktor, Handlese den Vollernter. Es wird spät gelesen und das Risiko von Hagelschäden um einer optimalen Traubenqualität willen in Kauf genommen. Die größtmögliche Sorgfalt setzt sich im Keller fort, Beschränkung auf ein schonendes, unterstützendes Eingreifen, um die individuellen Charakteristika des Terroir und der Einflüsse des Mikroklimas herauszuarbeiten, ist die Regel. Jede Uniformität ist suspekt. Ein Wein, der auf vulkanischem Untergrund, auf kargem Granit- oder Schieferboden wächst, die – mit mineralischen Einschüben – hauptsächlich im Norden des Beaujolais vertreten sind, weist andere Eigenarten auf als ein solcher von einem Kalk- oder Lehmboden im Süden. Auch weicht das stark variable Mikroklima im hügeligen Gebiet von dem in der Ebene ab, also sollen die Weine diese unterschiedlichen Einflüsse widerspiegeln. Die besten Einzellagen werden getrennt ausgebaut. Man hat sich von all dem „Industriellen“, das dem Beaujolais anhaftete, getrennt.
Die Weine geben diese Anstrengungen verschwenderisch zurück, zählen heute zu den besten Rotweinen Frankreichs und verweisen in Blindproben astronomisch teure Burgunder von der Côte d’Or auf die Plätze.
Die Beaujolais der besten Häuser zeichnen sich durch große Transparenz, unnachahmliche Eleganz und Finesse aus, präsentieren sich frisch mit einer dichten, konzentrierten Fruchtfülle, in der sich vor allem Kirschen, Himbeeren, Brombeeren und Veilchen wiederfinden, oft vereint mit einer feinen Pfeffer- oder Kräuterwürze, neben rassig-mineralischen Tönen. Nicht selten tritt eine Tabak- oder Kaffeenote hinzu. Feinkörnige, geschliffene Tannine und eine ansprechend delikate Säure verleihen den schönsten Gewächsen eine beinahe seidig zu nennende Struktur und verführerische Leichtigkeit, Balance und Harmonie. Dabei weisen die Weine meist einen erfreulich gemäßigten Alkoholgehalt von um die 12.5 % auf und wirken mit all diesen Eigenschaften kein bisschen sättigend, gekocht oder gar fett, wie so viele Weine, die dem Imponiergehabe des Muskelspiels anheimgefallen sind.
Mit diesen ganz individuellen Trümpfen ist die Gamay-Traube nach langem Mauerblümchendasein in den Weinolymp aufgestiegen.
Die britische Rebsortenspezialistin Jancis Robinson, die der GamayTraube in ihrem Standardwerk „Reben, Trauben, Weine“ehemals nicht mehr als „mittlere bis gute Qualität“attestierte, redet inzwischen von „some of the worlds great bargains“.
Das Beaujolais-Wunder ist noch lange nicht abgeschlossen!