Kritik an Yildirims Auftritt in Oberhausen
Empörung über Werbung für türkische Verfassungsreform – Veranstaltung mit Erdogan geplant
OBERHAUSEN/MÜNCHEN (dpa) Der Werbeauftritt des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim vor gut 10 000 Menschen am Samstag in Oberhausen hat scharfe Kritik von deutschen Politikern ausgelöst. Yildirim hatte für die umstrittene Verfassungsreform geworben, die Staatschef Recep Tayyip Erdogan mehr Macht geben würde. Mehreren Journalisten war der Zutritt zur Veranstaltung verweigert worden. Rund 750 Menschen hatten vor Ort gegen den Auftritt demonstriert.
„Wer bei uns Meinungsfreiheit beansprucht, sollte auch selbst Rechtsstaat und Pressefreiheit gewährleisten“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Sonntag. Grünen-Chef Cem Özdemir, der selbst türkische Wurzeln hat, twitterte: „Wenn Yildirim hier für Diktatur werben darf, möchte ich auf Taksim Platz dagegen demonstrieren. Wie steht Erdogan dann zu Meinungsfreiheit?“In der Regel werden auf dem zentralen Taksim Platz in Istanbul keine regierungskritischen Demonstrationen zugelassen. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 geht die türkische Regierung verstärkt gegen Oppositionelle und Medien vor.
Yildirim plant weitere Auftritte in der EU, ehe am 16. April in der Türkei über die Verfassungsreform abgestimmt wird. Am Referendum können sich auch im Ausland lebende Türken beteiligen, darunter 1,41 Millionen in Deutschland. Zudem kündigte Yildirim an, dass auch Erdogan auftreten werde. „Unser Staatspräsident beabsichtigt ebenfalls, zu den türkischen Bürgern in Europa zu sprechen“, sagte der Ministerpräsident am Sonntag in München. Es sei nur noch nicht klar, wo. Kritik an der Reform verbat er sich. „Gibt es in Deutschland zwei Kanzler? In einem Präsidialsystem gibt es natürlich nur einen Präsidenten. Auf einem Schiff kann es nicht zwei Kapitäne geben“, sagte Yildirim in Oberhausen.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hielt Yildirims Auftritt für richtig: „In einer Demokratie muss das möglich sein.“Allerdings kritisierte Sofuoglu die Kampagne, „bei der Gegner der Reform als Staatsfeinde oder Terroristen denunziert werden“. Er appellierte an die Türken in Deutschland, „sich die Demokratie der deutschen Verfassung zum Vorbild zu nehmen“.
OBERHAUSEN (dpa) - Sie schwenken Türkeifahnen, tragen ErdoganSchals und jubeln jedes Mal, wenn der Name des Staatspräsidenten fällt. Mehr als 10 000 Türken haben am Samstag mitten im Ruhrgebiet einer Rede des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim zugehört. Bei der Veranstaltung der türkischen Regierungspartei AKP warb Yildirim vor allem für die geplante Verfassungsreform für ein Präsidialsystem in der Türkei. Am 16. April wird darüber in einem Referendum abgestimmt. Die in Deutschland lebenden wahlberechtigten Türken werden heiß umworben – denn bei der Volksabstimmung könnten sie eine wichtige Rolle spielen.
Volksfeststimmung in der Halle
Frauen, Männer, Kinder: Viele Familien haben sich auf den Weg nach Oberhausen gemacht. Fast herrscht Volksfeststimmung in der großen Halle. Lautstarke Vorredner des Ministerpräsidenten sorgen immer wieder für Beifallsstürme und ein flatterndes Fahnenmeer. Über der Bühne hängt ein großes Plakat mit dem Bild Yildirims und den Fahnen der Türkei, Deutschlands und Europas. Darüber die Konterfeis von Staatsgründer Kemal Atatürk, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Yildirim selbst. Das vorgesehen Präsidialsystem in der Türkei würde Erdogan deutlich mehr Machtbefugnisse einräumen und das Parlament schwächen. Mit der Veranstaltung in Oberhausen wollte die AKP ihre zahlreichen Wähler im Ausland mobilisieren, die ebenfalls abstimmen können – in Deutschland sind es allein etwa 1,41 Millionen. Yildirim kündigte an, auch Erdogan wolle demnächst in der EU Wahlkampf für die Reform betreiben.
Unter den Zuhörern in Oberhausen sind viele Türken aus der Region, aber auch aus anderen Bundesländern und dem benachbarten Ausland. Vor der Halle steht eine junge Mutter aus Salzgitter und erklärt, warum sie für das Präsidialsystem ist: „Damit es weitergeht, damit die Türkei wieder ganz oben steht“, sagt sie. Sie werde mit „Evet“(„Ja“) stimmen. Deutschland entwickele sich nicht weiter und diskriminiere die Muslime. Sie wolle daher schon bald in die Türkei ziehen – dort gebe es mehr Religionsfreiheit.
Zuhörer mit Gänsehaut
Drei junge Männer sind ebenfalls begeistert: „Gänsehaut, Emotion, ein tolles Gefühl, da drin zu sein“, sagen sie nach der einstündigen Rede Yildirims. „Man hat so ein Heimatgefühl gehabt“, sagt einer der drei, ein 21-Jähriger. Erdogan sei gut, weil er in der Türkei fast alles verbessert habe. Für die vielen Verhaftungen äußern sie Verständnis: „Es ist ja normal, dass nach einem Putsch richtig aufgeräumt wird.“
„Er hat keine Angst vor niemandem“, sagt ein 24 Jahre alter Student aus Oberhausen über Erdogan. „Er sagt, was er denkt.“Und die vielen Verhaftungen seit dem Putschversuch im Juli 2016? Das sei schon etwas willkürlich gewesen, räumt er ein.
Passanten, die das nahegelegene Einkaufszentrum besuchen, nehmen Notiz von der Veranstaltung. „Ich frage mich, was Erdogan sagen würde, wenn Angela Merkel in der Türkei Wahlkampf betreiben würde“, sagt eine 32-Jährige aus Kassel. Ein 60 Jahre alter Mann aus Oberhausen aber meint: „Wir sind ein liberales Land. Wir haben eine Rechtsordnung, die solche Auftritte möglich macht.“Toleranz sei geboten. Dazu gehöre aber auch die Möglichkeit, dagegen zu demonstrieren.
Das machen auch rund 750 Menschen – friedlich. Unter ihnen ist der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Mehrdad Mostofiz ad eh .„ DerEnt demokratisierungsprozess inder Türkei ist längst in vollem Gange“, sagt er bei einer Kundgebung. Was sich dort abspiele, sei eine Bedrohung von Werten.