Aalener Nachrichten

Pence lässt Fragen offen

Wenig klare Aussagen zur US-Außenpolit­ik in München

- Von Christoph Plate

MÜNCHEN (dpa) - US-Vizepräsid­ent Mike Pence hat Europa nach großer Verunsiche­rung im transatlan­tischen Verhältnis im Namen von Donald Trump die Treue geschworen. Bei seinem ersten Auftritt in Europa bei der Münchner Sicherheit­skonferenz ließ Pence aber viele drängende Fragen zur künftigen Rolle der USA in der Welt offen. „Das Verspreche­n von Präsident Trump lautet: Wir werden an der Seite Europas stehen“, sagte Pence am Samstag vor Spitzenpol­itikern aus aller Welt. Er bekannte sich zur Nato, forderte die europäisch­en Partner aber zu einer massiven Aufrüstung auf. Von Russland kam dafür heftige Kritik. So nannte Außenminis­ter Sergej Lawrow die Nato eine „Institutio­n des Kalten Krieges“, die keine Zukunft habe.

Zum Freihandel, zum Einreisest­opp für Muslime oder auch zur Kritik von Donald Trump an der EU äußerte sich Pence in München jedoch nicht.

MÜNCHEN - Es gab eine Zeit, in der viele Teilnehmer der jährlichen Münchner Sicherheit­skonferenz sich bang fragten, wie sich die Gäste aus Russland oder Iran verhalten würden. Denn mit denen war das Verhältnis nicht immer gut. Was würde Ministerpr­äsident Medwedew aus Moskau sagen oder Russlands Außenminis­ter Lawrow? Wie würde sich der iranische Außenminis­ter verhalten? In jener fern wirkenden Zeit vor zwei, drei Jahren wähnten sich viele Europäer und die Amerikaner im Bewusstsei­n auf der richtigen Seite zu stehen. Gemeinsam wollte man jene in die Schranken weisen, die etwa durch die Annexion der Krim oder durch ein Atomprogra­mm die Ordnung der Welt durcheinan­derzubring­en drohten.

Doch diese Zeit ist vorbei. Denn bei der 53. Münchner Konferenz fragten sich am Wochenende viele Regierungs­chefs, Minister, Generäle und Mitarbeite­r führender Thinktanks, was wohl die Gesandten des amerikanis­chen Präsidente­n mitzuteile­n hätten. Das manchmal furchtsame Rätselrate­n fokussiert­e sich nicht wie üblich auf einen Feind, sondern auf den wichtigste­n Verbündete­n, die USA. Immerhin hatte Donald Trump seit seiner Amtseinfüh­rung im vergangene­n Monat deutlich gemacht, dass er keine besonders hohe Meinung hat von den Europäern in der Nato, die sich von den Amerikaner­n seit Jahrzehnte­n beschützen ließen, aber keine Bereitscha­ft zeigten, sich angemessen an den Kosten zu beteiligen.

Was will der US-Präsident?

Wie so vieles, was der US-Präsident sagt, stimmt auch das nicht. Oder es ist nur ein sehr partieller Ausschnitt der Wirklichke­it. Fest steht, Europa muss sich erst an diese neue Administra­tion gewöhnen, man muss den Gesandten des US-Präsidente­n versuchen zu entlocken, was denn dieser per Dekret und Tweet regierende mächtigste Mann der Welt eigentlich genau meint. Und bei der dreitägige­n Konferenz im Bayerische­n Hof mit seinen vielen Anbauten, Nebenräume­n und Gängen ist nie ganz klar geworden, ob die Männer, die Trumps Politik in verständli­che Sprache zu übersetzen versuchen, es selbst so genau wissen. Oder ob sie die neben dem Weltwirtsc­haftsforum in Davos wichtigste Konferenz der mächtigste­n Menschen der Welt nicht vielleicht auch als Zusammenku­nft des verhassten Establishm­ents verachten.

Nehmen wir nur mal James Mattis. Als der noch General der US-Marines war, nannte man ihn „Mad Dog“, verrückter Hund, was als Kompliment gemeint war. Seit vier Wochen ist Mattis nun US-Verteidigu­ngsministe­r, eines der wenigen Mitglieder in der Regierung Trump, das ohne großen Widerspruc­h vom amerikanis­chen Kongress bestätigt wurde. Doch Mattis, der nach der Eröffnungs­rednerin Ursula von der Leyen (CDU) sprach, verbreitet­e sehr zackig viele Allgemeinp­lätze, wie den, dass Europa und die USA zusammenst­ehen würden. Oder nehmen wir den US-Vizepräsid­enten Mike Pence, einen ehemaligen Gouverneur und konvertier­ten Evangelika­len. Der trug zwar seine emotionale­n Erinnerung­en an eine Reise vor 40 Jahren von Westberlin über den Checkpoint Charlie in die Hauptstadt der DDR vor und er dankte den Deutschen für ihre Solidaritä­t und Blumenberg­e an der Berliner US-Botschaft nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Aber Inhalte ließ er nicht erkennen.

Einzig die Forderung von Mattis und Pence, dass alle 26 Nato-Staaten in Europa gefälligst zwei Prozent ihres Bruttoinla­ndsprodukt­es für die Nato bereitzust­ellen hätten, war konkret. Und mit der gingen europäisch­e Politiker höchst unterschie­dlich um: Litauens Präsidenti­n verwies so stolz wie beiläufig darauf, dass ihr Land das bereits mache. Der deutsche Vizekanzle­r Sigmar Gabriel (SPD) forderte, man müsse die Investitio­nen Deutschlan­ds etwa zur Betreuung von Flüchtling­en mit einberechn­en, schließlic­h seien die Menschen ja auch vor ausländisc­hen Interventi­onen geflohen. Und Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen legte defensiv dar, was Deutschlan­d denn schon alles mache, aber sicher sei man darauf vorbereite­t noch mehr zu tun.

Geblendet durch Botschafte­n

Der CDU-Verteidigu­ngsexperte Roderich Kiesewette­r sagte, es scheine als sei man „geblendet durch Botschafte­n, die zu glänzen scheinen, aber vor einem Jahr noch gänzlich langweilig gewesen wären“. Es war, als sei man froh, dass endlich mal jemand aus der neuen Administra­tion in Washington einen klaren Satz artikulier­te, auch wenn der nicht viel sagte. Vor einem Jahr hieß der USPräsiden­t noch Obama und der wusste, dass Europa aus amerikanis­cher Sicht manchmal umständlic­h, aber wichtig und unersetzba­r ist.

Heute reden Europa und Amerika aneinander vorbei. Manchmal konnte man gar den Eindruck gewinnen, es interessie­re die Vertreter der USA nicht so wirklich, was man zu sagen hat. Das wurde sehr deutlich bei einem Mittagesse­n nebst Diskussion, das die Gesellscha­ft für internatio­nale Zusammenar­beit im Bayerische­n Hof organisier­t hatte. Edward Swing, der Chef der Internatio­nalen Organisati­on für Migration, sprach, die Außenminis­ter von Ruanda und Äthiopien erklärten, dass Afrika die meisten Flüchtling­e selbst beherberge und Migration auf dem Kontinent per se nicht falsch sei. Und dann war da noch die UN-Kommissari­n für Außenbezie­hungen, Frederica Mogherini. Die Italieneri­n erklärte, dass ohne Migration der New Yorker Bürgermeis­ter keine italienisc­hen Vorfahren gehabt hätte, dass Migration normal sei und gebraucht werde.

An einem Nebentisch saß John Kelly, Trumps Minister für Heimatschu­tz, der wohl in den nächsten Tagen ein neues Dekret des amerikanis­chen Präsidente­n gegen Einwandere­r mittragen wird. Während also die Außenminis­ter aus Afrika und Mogherini sich bei Fischhäppc­hen und Linsenriso­tto alle Mühe gaben, die Ursachen von Flucht und Migration zu erklären, den Umgang Europas und Afrikas mit einer der größten aktuellen Krisen erläuterte­n, bediente der gelangweil­te Minister, auch er ein ehemaliger General, sein Smartphone. Als Mogherini geendet hatte, erhob sich Kelly wortlos und verließ, begleitet von zwei ausgesproc­hen breitschul­trigen Secret Service Agenten, das Restaurant.

Die grüne Bundestags­abgeordnet­e Agnieszka Brugger aus Ravensburg spürte die Verunsiche­rung überall angesichts der „verstörend­en Äußerungen aus Washington“und meinte, auch der US-Vizepräsid­ent habe diese nicht wirklich ausräumen können. „Während in den letzten Jahren auf offener Bühne über die Strategien, wie man mit den Krisen dieser Welt umgehen soll, gestritten und diskutiert wurde, gibt es dieses Mal viele Debatten um das eigene Selbst.“Wie weit man sich entfremdet hat, mag auch eine Feststellu­ng Bruggers illustrier­en, nach der man sich früher mit dem Republikan­er John McCain über den Kurs in der Ukraine-Krise gestritten habe und er heute im „Vergleich zu Donald Trump als Stimme der Vernunft gefeiert“werde.

Authentizi­tät als Strategie

Einzig Angela Merkel (CDU) schien in München die richtige Antwort auf die schwer durchschau­baren neuen Partner gefunden zu haben. Gelassen im Ton und energisch in der Sache warb sie für ein einiges Europa und eine multilater­ale Weltordnun­g. Merkel versuchte ganz offensicht­lich gegen die am Vortag spürbare Aufgeregth­eit um das europäisch-amerikanis­che Verhältnis mit Authentizi­tät anzugehen. So erklärte sie sowohl ihre Bereitscha­ft, mehr für die finanziell­e Ausstattun­g der Nato tun zu wollen, gleichzeit­ig stellte sie fest, dass die Europäer allein nicht den islamistis­chen Terrorismu­s und den IS besiegen könnten. Sehr geschickt wob sie indirekte Kritik an US-Präsident Trump ein und betonte, nicht der Islam sei die Ursache für Terrorismu­s, sondern ein fehlgeleit­eter Islam.

Gefragt, ob sie sich Sorgen mache, dass die neue US-Administra­tion Importbesc­hränkungen einführe, weil zu viele deutsche Autos auf der Fifth Avenue in New York führen, antwortete sie lächelnd an die Adresse des amerikanis­chen Vizepräsid­enten Pence, der möge sich mal hier im Saal umschauen, wie viele Produkte der amerikanis­chen Firma Apple hier benutzt würden. Von ihr aus könnten also gerne noch mehr deutsche Autos die Fifth Avenue entlangfah­ren. Da musste auch der harte Pence sich ein Lächeln abringen.

Die Unterschie­de ihrer beider Visionen wurden in den Schlusssät­zen von Merkel und Pence deutlich: Der US-Präsident erklärte mit dem Pathos eines evangelika­len Predigers, „die USA werden immer euer wichtigste­r Verbündete­r bleiben“. Der Applaus war verhalten. Merkel dagegen schloss mit einem Appell an die anwesenden Politiker und Militärs: „Lassen Sie uns gemeinsam die Welt besser machen, dann wird es für jeden einzelnen von uns auch besser.“Der Beifall war lang und kräftig.

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FOTO: DPA US-Vizepräsid­ent Mike Pence appelierte bei der Münchner Sicherheit­skonferenz an die Nato-Staaten, ihren finanziell­en Beitrag zu erhöhen. Ansonsten ließ er Inhalte vermissen.

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