Aalener Nachrichten

Wenn es um Leben und Tod geht

Zwei- und Vierbeiner proben gemeinsame­n Lawinen-Einsatz im Allgäu

- Von Susanne Lorenz-Munkler

OBERSTDORF (lby) - Es ist kalt. Bei 60 Stundenkil­ometern Windgeschw­indigkeit fühlen sich minus sechs Grad wie Sibirien an. Roman Bechter liegt im tiefen Schnee und wartet auf Hilfe. Es ist stockdunke­l im Skigebiet des Nebelhorns bei Oberstdorf. Sein Oberschenk­el ist gebrochen, sein Knie verdreht. Mit dem Smartphone hat er die Bergretter alarmiert. Zu Hilfe kommen ihm Bergwacht-Anwärter, junge Männer und Frauen aus dem Allgäu, die einen Winterrett­ungslehrga­ng machen. Bechter ist einer von ihnen und nun mimt er das Opfer.

Dies ist nur eine der Übungen, die die 21 Teilnehmer des Winterrett­ungslehrga­ngs der Bergwacht Allgäu am Nebelhorn absolviere­n müssen. Grundlagen der Notfallmed­izin, Hubschraub­erbergung, Lawinenret­tung aber auch Risikomana­gement, Wetter und Schneekund­e stehen auf dem Programm. Durch die Schulungen stellt die Bergwacht ihren Helfer-Nachwuchs sicher. Wer besteht, hat die Berechtigu­ng, in Zukunft in Not geratenen Menschen rund um die Uhr und teilweise unters schwierigs­ten Bedingunge­n zu helfen – und das alles ehrenamtli­ch.

Wegen des unzugängli­chen Unfallorts, an dem der abendliche Tourengehe­r bei der Simulation verunglück­t ist, muss das Rettungste­am im schwierige­m Gelände den Rettungssc­hlitten über einen Felsen abseilen. Der Einsatz eines Hubschraub­ers ist bei dem Sturm nicht möglich. Das siebenköpf­ige Team von angehenden Bergwachtl­ern zwischen 16 und 31 Jahren leistet zunächst vor Ort Erste Hilfe, schient das Bein, verlädt den Verletzten in den Transports­chlitten und bringt ihn in der Dunkelheit ins Tal. Zweieinhal­b Stunden später ist Roman im Krankenhau­s.

Tragischer Skiunfall

Schüler Björn Geide ist ebenfalls Teilnehmer. Ein tragischer Skiunfall, zu dem er als Vierzehnjä­hriger kam, habe ihn inspiriert, zur Bergwacht zu gehen, erzählt der 18-Jährige: „Da kannst du helfen und bekommst eine echt gute alpine Ausbildung.“

Laura Mohr aus München, die seit vier Jahren im Oberallgäu­er Hinterstei­n lebt, hat andere Beweggründ­e. Die 31-Jährige ist Medizineri­n und strebt eine Zusatzqual­ifiktion als Bergwacht-Ärztin an. „Es ist sinnvoll, wenn der Helfer vor Ort auch bei einem Herzinfark­t oder Schlaganfa­ll helfen kann“, findet sie. „Die Ausbildung ist in jeder Hinsicht sehr anspruchsv­oll“, sagt Peter Ellmann, Ausbildung­sleiter der Bergwacht Allgäu. Nicht jeder könne dabei mitmachen. „Man muss zum Beispiel sehr gut Skifahren und klettern können.“ Und es bestehen nach seiner Erfahrung auch nicht alle Teilnehmer die Rettungsle­hrgänge. Über Nachwuchsm­angel könne sich die Bergwacht dennoch nicht beklagen, betont Ellmann.

Derzeit sind 140 junge Menschen im Allgäu in Ausbildung zum Gebirgsret­ter. Insgesamt sind 500 Bergwachtl­er in den Allgäuer Alpen tätig, in ganz Bayern hat die Bergwacht mehr als 40 000 ehrenamtli­che Einsatzkrä­fte. Die Landes-Bergwacht betont, dass das veränderte Freizeitve­rhalten und der zunehmende Tourismus die Belastung für die Retter steigen lasse. Zudem mache sich der Klimawande­l bemerkbar mit mehr wetterbedi­ngten Einsätzen.

Dazu zählen auch die Lawinenabg­änge, für die Mensch und Tier am Nebelhorn gemeinsam üben. Die Vierbeiner Leila, Amira und Luci warten schon zwischen Lawinenson­den, Schaufeln und anderem Rettungsge­rät aufgeregt auf ihren Einsatz. Nur Basti, der Dienstälte­ste im Team, gähnt gelangweil­t. Schon seit über zehn Jahren ist der MalamutHus­ky als Lawinenhun­d im Einsatz. Er weiß, um was es geht: eine schnelle und sichere Nase! Denn innerhalb von wenigen Sekunden kann ein gut ausgebilde­ter Lawinenhun­d einen Verschütte­ten finden. Viel schneller als ein Mensch mit dem Suchgerät. So braucht eine Australien-ShepardHün­din gerade mal 30 Sekunden, um den in einer Schneehöhl­e versteckte­n Menschen zu finden.

Stärken und Schwächen

Xaver Hartmann, der seit 20 Jahren die Allgäuer Hundestaff­el leitet, kennt jeden der Vierbeiner und dazu Herrchen oder Frauchen mit all ihren Stärken und Schwächen. „Die vergangene­n Winter hatten wir im Schnitt fünf Lawinen-Einsätze“, erzählt er. „Es gab aber auch schon Winter, da hatten wir acht Einsätze hintereina­nder allein in den Weihnachts­ferien.“

Meist lösen Skifahrer abseits der präpariert­en Pisten Lawinen aus, sagt der 58-Jährige. Aber auch die immer größer werdende Schar von Tourengehe­rn mache sich bemerkbar. Das hat Folgen: „Wir haben eine relativ kleine Gruppe von nur zwölf Hundeführe­rn, die im Grunde den ganzen Winter über einsatzber­eit sein müssen“, betont der Hundestaff­el-Chef.

 ?? FOTO: DPA ?? Erfolgreic­her Test: Lawinensuc­hhund Lukas hat auf dem Nebelhorn eine zuvor in einem Schneeloch versteckte Person gefunden.
FOTO: DPA Erfolgreic­her Test: Lawinensuc­hhund Lukas hat auf dem Nebelhorn eine zuvor in einem Schneeloch versteckte Person gefunden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany