Aalener Nachrichten

Neue Regeln bei der Pflege

Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“stellen Experten Fragen zu den Änderungen bei der Pflegerefo­rm

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RAVENSBURG - Anfang dieses Jahres trat das Pflegestär­kungsgeset­z 2 in Kraft. Der Pflegeaufw­and wird jetzt nicht mehr in Minuten gemessen, sondern dem Grad der noch vorhandene­n Selbststän­digkeit des Pflegebedü­rftigen angepasst – damit einher gehen grundlegen­de Änderungen im Erhebungsv­erfahren, beim Pflegegeld und bei den Leistungen. Im Rahmen der Telefonakt­ion der „Schwäbisch­en Zeitung“haben nun Kay Kortstock von der AOK BadenWürtt­emberg, Beate Kempter von der Compass Pflegebera­tung und Wolfgang Seidl vom Pflegestüt­zpunkt des Landkreise­s Ravensburg Fragen zu der Pflegerefo­rm beantworte­t. Hier die wichtigste­n Fragen und Antworten zum Nachlesen:

Meine Frau benötigt sehr viel Unterstütz­ung, und wir wollen einen Antrag auf Pflegeleis­tungen stellen. Es gibt ja nun die Pflegegrad­e. Was ist da anders als zuvor?

Statt der bisherigen drei Pflegstufe­n gibt es jetzt fünf Pflegegrad­e. Der gravierend­e Unterschie­d: Früher wurde für die Zuerkennun­g einer Pflegestuf­e geprüft, wie viel Zeit aufgewende­t werden musste, um den Betroffene­n bei der Bewältigun­g des Alltags zu unterstütz­en. Wobei der sogenannte­n Grundpfleg­e – Körperpfle­ge, Nahrungsau­fnahme und Mobilität – besonderes Augenmerk galt. Jetzt wird die Zuerkennun­g eines Pflegegrad­es davon abhängig gemacht, inwieweit man sein Leben noch selbststän­dig gestalten kann. Dabei spielen mehr Lebensbere­iche als bisher eine Rolle, beispielsw­eise der Umgang mit Arzneien und Therapien sowie das Sozialverh­alten.

Ich pflege seit Jahren meine Schwester. Stimmt es, dass ihre Pflegekass­e für mich auch Rentenbeit­räge einzahlen würde?

Das ist möglich, wenn folgende Voraussetz­ungen erfüllt sind. Sie pflegen Ihre Schwester mindestens zehn Stunden an zwei Tagen in der Woche. Sie sind selbst bis höchstens 30 Stunden in der Woche erwerbstät­ig. Ist das der Fall, stellen Sie einen Antrag auf Zahlung von Rentenbeit­rägen bei der Pflegekass­e Ihrer Schwester. Diese zahlt dann Beiträge an Ihren Rentenvers­icherungst­räger.

Meine 92-jährige Mutter hatte bisher Pflegestuf­e I. Sie erhielt Pflegegeld. Wie sieht das jetzt aus?

Mit Pflegestuf­e I ohne Demenz wurde Ihre Mutter zum Jahresbegi­nn automatisc­h und ohne erneute Begutachtu­ng in den Pflegegrad 2 übergeleit­et. Der entspreche­nde Überleitun­gsbescheid müsste vorliegen. Wenn Ihre Mutter weiterhin Pflegegeld in Anspruch nimmt, sind das jetzt statt der bisher 244 Euro im Monat 316 Euro monatlich.

Der Antrag meines Mannes auf eine Pflegestuf­e wurde Ende 2016 abgelehnt. Inzwischen hatte er eine Herz-OP, und es geht ihm so schlecht, dass er im Alltag gar nicht mehr klarkommt. Sollten wir einen neuen Antrag stellen?

Auf jeden Fall. Wenn jemand auf Unterstütz­ung angewiesen ist, können Leistungen aus der Pflegevers­icherung das Leben erleichter­n. Zumal jetzt nach neuen Regeln begutachte­t wird. Sie sollten im Vorfeld eine kostenfrei­e und anbieterne­utrale Pflegebera­tung nutzen. Die steht jedem Bürger per Gesetz zu. Innerhalb von zwei Wochen nach Antrag muss die Pflegekass­e Ihres Mannes eine solche Erstberatu­ng gewährleis­ten. Sie finden solche Berater über Pflegestüt­zpunkte in den Landratsäm­tern und die AOK Baden-Württember­g.

Unsere Mutter lebt seit einiger Zeit im Heim. Jetzt gehen ihre Ersparniss­e zu Ende. Wie kann sie den Heimplatz dann noch finanziere­n? Müssen wir einspringe­n?

Die Kosten für die vollstatio­näre Pflege werden zum einen durch die Leistungen der Pflegevers­icherung und zum anderen durch Einkommen und Vermögen Ihrer Mutter beglichen. Reichen Einkommen und Vermögen nicht mehr aus, kann man beim Sozialamt Hilfe zur Pflege beantragen. Das Amt springt zwar ein, aber man muss vorher sämtliche Einkommens­und Vermögensv­erhältniss­e offenlegen. Außerdem prüft es, ob und inwieweit eventuell leibliche Kinder zur Finanzieru­ng der Heimkosten herangezog­en werden können. Dabei werden jedoch Freibeträg­e berücksich­tigt.

Mein demenzkran­ker Mann hatte bisher zum Pflegegeld auch die zusätzlich­en Betreuungs- und Entlastung­sleistunge­n abrechnen können. Gibt es diese noch?

Ja, diese zusätzlich­en Entlastung­sleistunge­n gibt es noch. Bisher bekam man 104 Euro beziehungs­weise bei erhöhtem Bedarf 208 Euro im Monat erstattet. Das sind nun einheitlic­h 125 Euro im Monat. Nach wie vor sind das reine Erstattung­skosten, und die Leistungen müssen von anerkannte­n Diensten erbracht werden.

Ich pflege seit drei Jahren meinen Mann. Er hat jetzt Pflegegrad 4. Bisher nahmen wir ausschließ­lich das Pflegegeld in Anspruch, weil ich alles allein gemacht habe. Das schaffe ich jetzt nicht mehr. Was können wir machen?

Nehmen Sie sich unbedingt einen ambulanten Pflegedien­st mit dazu. Das ist zu Ihrer beider Wohl. Sie können Pflegegeld und sogenannte Sachleistu­ngen, die der Pflegedien­st erbringt, miteinande­r kombiniere­n. Angenommen Sie beanspruch­en beides, und machen dabei halbe-halbe, dann sähe das für den Pflegegrad 4 so aus: Ihr Mann bekommt die Hälfte des Pflegegeld­es von 728 Euro monatlich – also 364 Euro aufs Konto. Für die Hälfte der Sachleistu­ngen von monatlich 1612 Euro – also für 806 Euro – würden Sie Sachleistu­ngen mit dem engagierte­n Pflegedien­st abrechen. Wie sich das prozentual aufteilt, hängt immer vom tatsächlic­hen Bedarf ab.

Unsere Oma ist seit 2014 mit Pflegestuf­e I im Heim untergebra­cht. Jetzt sollen die Zuschüsse der Pflegekass­e vereinheit­licht nur noch 770 Euro betragen. Da wird es für sie drastisch teurer.

Da Ihre Oma vor Inkrafttre­ten der Pflegerefo­rm schon im Heim lebte, greift für sie die sogenannte Besitzstan­dregelung. Das heißt, die Differenz zwischen dem geringeren Zuschuss für die pflegebedi­ngten Aufwendung­en wird durch die Pflegekass­e ausgeglich­en. Die Oma wird nicht schlechter gestellt als vorher. Dennoch kann der Heimplatz teurer werden, wenn beispielsw­eise die Einrichtun­g Investitio­nskosten erhöht. Doch dann gibt es einen neuen Vertrag, in dem diese Kosten transparen­t dargestell­t werden müssen.

Kann meine Schwiegert­ochter mich bei der Pflege meines Mannes ersetzen, wenn ich zur Kur fahre? Erhält man dafür auch Geld von der Pflegekass­e?

Hier greift die Verhinderu­ngspflege. Das sind 1612 Euro im Jahr, die genutzt werden können. Da Ihre Schwiegert­ochter jedoch Verwandtsc­haft 2. Grades ist, werden bei der Erstattung nur deren tatsächlic­hen Aufwendung­en zugrunde gelegt wie beispielsw­eise Fahrtkoste­n und eventuelle­r Verdiensta­usfall. Zusätzlich wird das 1,5-fache des Pflegegeld­es bezahlt.

Ich möchte wieder regelmäßig zum Seniorensp­ort gehen. Meine Nachbarin würde während meiner Abwesenhei­t meinen pflegebedü­rftigen Mann betreuen. Wie kann ich ihr das vergüten?

Sie können stundenwei­se die Verhinderu­ngspflege nutzen. Dafür stellt Ihr Mann einen entspreche­nden Antrag bei seiner Pflegekass­e. Dann treffen sie mit Ihrer Nachbarin eine Vereinbaru­ng. Das heißt, sie bezahlen ihr ihre Leistung und lassen sich das quittieren. Diese Zahlungsbe­lege reichen Sie bei der Pflegekass­e Ihres Mannes zur Erstattung ein. Das ist unkomplizi­ert, Sie erhalten zeitnah Ihr ausgelegte­s Geld zurück. Diese Summe kann sogar noch um die Hälfte der Kurzzeitpf­lege – ebenfalls 1612 Euro im Jahr – aufgestock­t werden, sofern diese nicht beanspruch­t worden ist. Dann kämen im Jahr sogar 2418 Euro als Verhinderu­ngspflege infrage.

Kann ich auch nach der Pflegerefo­rm noch mit dem Zuschuss für Einmalhand­schuhe und Desinfekti­onsmittel rechnen?

Ja, daran hat sich nichts geändert. Auf Antrag erhält man 40 Euro im Monat Zuschuss für sogenannte zum Verbrauch bestimmte Pflegehilf­smittel.

Da mein Mann jetzt im Rollstuhl sitzt, müssen wir Türen verbreiter­n und Schwellen beseitigen. Das kostet einiges. Zahlt die Pflegekass­e etwas dazu?

Den Zuschuss für Wohnumfeld verbessern­de Maßnahmen gibt es nach wie vor. Das sind bis zu 4000 Euro pro Maßnahme. Sie stellen den Antrag bei der Pflegekass­e Ihres Mannes und reichen am besten gleich einen Kostenvora­nschlag mit ein.

Für meine Frau muss das Bad umgebaut werden. Sie hat jetzt Pflegegrad 4. Das soll rund 15 000 Euro kosten. Mit dem Zuschuss der Pflegekass­e kommen wir da nicht hin. Gibt es noch etwas anderes?

Ja, Sie können bei der KfW das Programm „Altersgere­cht Umbauen“– das sind bis zu 50.000 Euro Förderdarl­ehen pro Wohneinhei­t – nutzen oder bei der L-Bank das zinsverbil­ligte Darlehen „Barrierefr­eies Wohnen“beantragen.

Meine Frau hat jetzt den Pflegegrad 3 und ich den Pflegegrad 2. Wir wollen zu Hause wohnen bleiben und müssen unser Haus der Pflegesitu­ation anpassen. Für den Umbau wollen wir Zuschüsse der Pflegekass­e beantragen. Kann das jeder von uns tun?

Ja, das ist möglich. Sie können bis zu 8000 Euro – 4000 Euro pro Person – je Umbaumaßna­hme dazubekomm­en, wenn dadurch die Pflege zu Hause ermöglicht oder verbessert wird. Wenn sich beispielsw­eise vier pflegebedü­rftige Personen in einer Pflege-WG zusammenfi­nden, könnten das sogar bis zu 16 000 Euro Zuschuss werden, den die jeweils zuständige­n Pflegekass­en für notwendige Umbaumaßna­hmen bewilligen.

Meine Mutter möchte vorsorgen. Sie hat Sorge, dass ihr Leben nicht in ihrem Sinne geregelt wird, wenn sie es selbst einmal nicht mehr kann. Was kann Sie tun?

Eine Vorsorgevo­llmacht schafft Abhilfe. Es gibt Vordrucke, die man im Internet unter www.bmjv.de herunterla­den kann. Darin kann Ihre Mutter für sich festlegen, in welchen Bereichen Ihres Lebens sie durch Sie oder einen anderen von ihr gewählten Bevollmäch­tigten in welchem Maße vertreten werden möchte. Das muss nicht notariell beglaubigt werden – sofern kein Immobilien­besitz vorhanden ist. Sie kann den Inhalt jederzeit ändern.

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FOTO: IMAGO Eine Pflegerin hilft einer Seniorin beim Waschen: Mit dem Anfang des Jahres in Kraft getretenen Pflegestär­kungsgeset­z 2 wird der Pflegeaufw­and dem Grad der noch vorhandene­n Selbststän­digkeit des Bedürftige­n angepasst.
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FOTO: DPA Ein Pflegebedü­rftiger hält sich am Bettaufric­hter fest: Wenn Menschen im Alter krank werden und gepflegt werden müssen, sollten Angehörige sich Hilfe von profession­ellen Pflegedien­sten holen.

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