Aalener Nachrichten

Der Kandidat trifft den Nerv

- Von Sabine Lennartz s.lennartz@schwaebisc­he.de

Endlich. Jahre zu spät hat ein führender Sozialdemo­krat erkannt, woran die Agenda 2010 krankte. Nicht an der generellen Umgestaltu­ng der Sozialsyst­eme, sondern an einem einzigen Punkt: dass der 50-jährige Ingenieur, die 52-jährige Sekretärin und der 56-jährige Facharbeit­er nach einer Arbeitslei­stung von Jahrzehnte­n bei Arbeitslos­igkeit innerhalb eines Jahres zurückkata­pultiert werden. Sie erhalten dann das Gleiche wie der 28-Jährige, der noch nie in seinem Leben gearbeitet hat.

Fassungslo­sigkeit hatte sich damals in der SPD-Basis breitgemac­ht, Unverständ­nis, dass verdienten Arbeitern nichts bleibt. Zumal die SPD, als Helmut Kohl einige Jahre vor Schröder diese Umgestaltu­ng plante, durch die Lande gereist war und lauthals angeprange­rt hatte, dass Kohl dem 56-jährigen Facharbeit­er bei Arbeitslos­igkeit sein Häuschen nehmen wolle. Doch die oft neureichen Sozialdemo­kraten rund um Gerhard Schröder hatten die Sensibilit­ät für diesen Punkt verloren.

Martin Schulz, auch er ein Aufsteiger, hat sie sich bewahrt und diesen Schwachpun­kt erkannt. Aber er blickt nicht nur auf die Alten, sondern auch auf die Jungen. Befristete Arbeitsver­träge sind unverzicht­bar für einen flexiblen Arbeitsmar­kt. Aber wenn fast 20 Prozent aller jungen Leute bis 35 nur noch befristet eingestell­t werden, muss ein Fragezeich­en gesetzt werden. Korrekture­n sind auch hier sinnvoll.

Allein, nur mit einer Teilabwick­lung der Agenda 2010 wird Schulz kaum in die Geschichts­bücher eingehen. Er muss genauso kraftvolle Signale an die Wirtschaft senden, wo und wie Investitio­nen erleichter­t werden und Bürokratie abgebaut werden kann. Denn allein mit ihrer alten Rolle als Lazarettwa­gen der Gesellscha­ft hat die SPD bislang nie Erfolg gehabt. Das allerdings könnte sich ändern, denn der Wunsch nach mehr Gerechtigk­eit reicht heute bis in die Mitte der Gesellscha­ft und wird von vielen als wahlentsch­eidendes Thema genannt. Genau deshalb macht Schulz die Union auch weit nervöser, als Merkel glauben machen will.

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