Dicke Luft im Kabinett
Vor den Beratungen zur Blauen Plakette gibt es neuen Streit zwischen Grünen und CDU
RAVENSBURG - Hornzahnmoos und Graues Zackenmützenmoos sollen die schlechte Luft im Stuttgarter Talkessel verbessern. Mit den beiden eigens gezüchteten Moosarten wird eine 100 Meter lange Wand an der B 14 nahe dem Neckartor bepflanzt. Am Montag wurde mit den Arbeiten begonnen. Dicke Luft herrscht aber nicht nur am Neckartor, sondern auch im Landeskabinett. Am heutigen Dienstag soll sich die Ministerrunde mit einem Maßnahmenpaket zur Luftreinhaltung befassen. Über dessen Inhalt sind Grüne und CDU zuvor in Streit geraten. Fragen und Antworten im Überblick:
Wieso drängt die Zeit beim Thema Luftreinhaltung?
Die Deutsche Umwelthilfe hat das Land wegen der schlechten Messwerte am Neckartor verklagt. Bis Ende Februar muss die Regierung darlegen, mit welchen Maßnahmen sie für bessere Luft sorgen will. Eine Mooswand wird da nicht reichen: Als wichtigstes Instrument nennt das Verkehrsministerium die Einführung einer Blauen Plakette für schadstoffarme Autos.
Worüber streiten Grüne und CDU?
Beide Koalitionspartner wollen die Blaue Plakette. Strittig ist, was das Maßnahmenpaket des Landes noch umfassen soll. Die CDU fordert, den Bau des Nordostringes in Stuttgart in das Maßnahmenpaket aufzunehmen und auch gleich mit den Planungen zu beginnen. So soll die Innenstadt entlastet werden. Das Vorhaben wird im Raum Stuttgart schon länger heftig diskutiert. Die Grünen lehnen es kategorisch ab. Man habe der CDU angeboten, alle Infrastrukturmaßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen, sagt der Grünen-Verkehrspolitiker Hermino Katzenstein. „Ein positiver Effekt des Nordostrings ist aber nicht nachgewiesen.“
Gibt es weitere strittige Punkte?
Uneinig ist man sich bei der Frage, ob höhere Parkplatzgebühren und Parkgebühren für mehr Stellplätze helfen würden. Noch vergangene Woche hatte es auch Abstimmungsbedarf gegeben zwischen Wirtschaftsund Verkehrsministerium bei der Frage nach Ausnahmeregelungen etwa für Handwerker und Lieferanten, die oft Dieselfahrzeuge fahren. Zumindest der letzte Punkt sei mittlerweile geklärt, sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums, ohne Einzelheiten zu nennen.
Geht es bei dem Streit nur um Stuttgart?
Für den Feinstaub ist das Neckartor die einzige Messstelle, bei der an mehr als 35 Tagen – und damit häufiger als erlaubt – der Grenzwert überschritten wird. Landesweit bedrohlicher sind Stickoxide. Hier gibt es an 27 Messstellen im Südwesten bedenkliche Werte. Neben Stuttgart sind etwa Ulm, Reutlingen und Tübingen betroffen, aber auch kleinere Städte wie Backnang, Balingen oder Herrenberg. Sollte die Blaue Plakette kommen, könnten diese Kommunen Blaue Zonen einrichten – analog zu den bestehenden Umweltzonen. Für Autos ohne Blaue Plakette hieße das: Einfahrt verboten.
Und wenn man ohne die Plakette in eine solche Blaue Zone fährt?
Wer heute ohne entsprechende Plakette in eine Umweltzone fährt, riskiert 80 Euro Bußgeld. Gleiches könnte den Plänen zufolge in der Blauen Zone gelten. Die Ordnungsbehörden kontrollieren den fließenden und den ruhenden Verkehr.
Wie viele Autofahrer wären von einem Fahrverbot betroffen?
Die Fahrer aller Dieselfahrzeuge, die nicht der Euro-6-Norm entsprechen. Von den 14,5 Millionen Dieselfahrzeugen in Deutschland erfüllen diese strengen Vorgaben nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes nur 1,39 Millionen Fahrzeuge – neun von zehn Dieselfahrern müssten draußen bleiben. Keine Einfahrerlaubnis bekämen auch alle Fahrer von Autos mit Benzinmotor, die die Euro-3Norm nicht erfüllen – das dürfte aber nur sehr alte Autos betreffen, ihre Zahl ist überschaubar.
Welche Wege gibt es, um die Plakette einzuführen?
Für die Einführung einer Blauen Plakette ist der Bund zuständig. Doch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist dagegen. Deswegen ist Baden-Württemberg über den Bundesrat aktiv geworden. Aber auch in der Länderkammer ist eine Mehrheit nicht in Sicht. Nicht nur Unions-, sondern auch SPD-geführte Landesregierungen sind skeptisch. Weil es im Bundesrat nicht vorwärts geht, wird in Kreisen der Stuttgarter Koalition jetzt erwogen, doch den Weg über die Bundesregierung zu gehen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Vize Thomas Strobl (CDU) sollen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für die Blaue Plakette werben, damit sie Dobrindt zum Einlenken bewegt.
Was sagen die Kritiker?
Aus Sicht der FDP ist eine Blaue Plakette nicht nötig. Sie käme ohnehin frühestens 2020, argumentiert der FDP-Verkehrspolitiker Jochen Haußmann. Bis 2025 würden aber ohnehin die meisten Dieselautos Euro-6 erfüllen, sodass derselbe Effekt ohne den Verwaltungsaufwand zu erzielen wäre. Auch der ADAC hält ein Fahrverbot für „unverhältnismäßig“. „Die Städte haben das Potenzial zur Stickoxidsenkung noch nicht ausgereizt. Sie können ihre eigenen Fahrzeugflotten – wie Stadtbusse – mit alternativen Antriebstechniken ausstatten“, sagt ein ADAC-Sprecher.