Ulmer Museum arbeitet NS-Zeit auf
Provenienzforscherin soll Herkunft von rund 2100 Objekten untersuchen
RAVENSBURG - Alexandra Chava Seymann ist die neue Provenienzforscherin am Ulmer Museum. Im nächsten Jahr soll sie die Herkunft aller Objekte klären, die zwischen 1933 und 1945 vom Museum erworben wurden. „Es geht dabei nicht nur um bedeutende Gemälde mit großem Wert, sondern auch um Bücher oder Alltagsgegenstände“, erklärt die 34jährige Wienerin. Ziel der Forschung ist es, mögliche Raubkunst aus der NS-Zeit ausfindig zu machen.
Beantragt wurde die Stelle, nachdem das Ulmer Museum im Sommer 2015 mit einem Restitutionsfall konfrontiert war. Wie sich herausstellte, kamen drei Museumsobjekte der Gold-und Silberschmiedekunst ursprünglich aus der jüdischen Sammlung Budge in Hamburg und waren als NS-Raubkunst einzustufen. Im Jahr 1937 waren sie versteigert worden – den Erlös aus der Auktion haben die Erben bis dahin allerdings nie erhalten.
Ob es noch mehr Ausstellungsstücke mit einer solchen Geschichte gibt, das soll Seymann nun klären. Die 34-Jährige studierte Judaistik und Philosophie an der Universität Wien. Ab 2011 arbeitete sie dann im Jüdischen Museum in Wien und baute dort die Abteilung für Provenienzforschung auf, die sich der Herkunftsgeschichte von Kunstwerken widmet.
Von Gemälden über Bücher bis hin zu Skulpturen: In Ulm warten nun rund 2100 Objekte auf Seymann. Um den Weg der Stücke nachzuvollziehen, durchforstet sie die Inventarbücher und forscht an den Ausstellungsstücken selbst. Kratzer, ehemalige Inventarnummern: Jede Spur wird forensisch erfasst. „Oft gibt es Vermerke am Rahmen oder alte Aufkleber, die auf die vorherigen Besitzer schließen lassen“, erklärt Seymann. Aber auch ausgekratzte Inventarnummern oder Beschädigungen ließen auf eine unrechtmäßige Enteignung schließen. In den meisten Fällen sei es allerdings schwierig, die vorherigen Besitzverhältnisse lückenlos aufzuklären. Kann Seymann nicht ausschließen, dass es sich um Raubkunst handelt, werden die Objekte auf der Internetdatenbank des Deutschen Zentrum Kulturgutverluste „lostart“erfasst.
Sachlich und neutral
Bei ihrer Arbeit gehe es ihr nicht um ein „moralisches Gefühl“, so Seymann, die selbst aus einer jüdischen Familie stammt. „Ich möchte sachlich und neutral vorgehen.“Im Vordergrund stehe für sie die Gerechtigkeit im Sinn des Washingtoner Abkommens. Dieses wurde im Jahr 1998 geschlossen, um Kunstwerke der Raubkunst zu identifizieren und Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen.
Obwohl ihre Arbeit sehr zeitaufwendig sei, ticke im Hintergrund doch immer sprichwörtlich die Uhr. „Es ist eine sehr traurige Sache, wenn man die Forschung abschließt und heraus kommt, dass die Erben bereits verstorben sind“, so Seymann.
Ihre Stelle ist zunächst auf ein Jahr befristet und wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg gefördert. „Wir haben großes Interesse daran, dass die Förderung nicht nach einem Jahr ausläuft“, sagt Museumsdirektorin Stefanie Dathe. Sie plane deshalb einen Folgeantrag zu stellen. Ziel sei, auch den Hintergrund der Werke, die nach 1945 gekauft wurden, zu erforschen. Außerdem gebe es 267 vermisste Werke, die 1937 das Museum als „entartete Kunst“verlassen hätten. „Wir würden gerne herausfinden, was aus den Erwerbungen wurde“, so Dathe.