Er macht es ganz gut
Rechtzeitig vor Lahti springt Andreas Wellinger „g’scheit“Ski – weil akribisches Arbeiten beste Anlagen veredelt
OBERSTDORF - Asien war noch einmal wichtig – die Weltcup-Wettbewerbe in Sapporo und Pyeongchang. „Wenn er da gut durchkommt ...“Wieder einmal hatten sie Werner Schuster, den Bundestrainer der deutschen Skispringer, nach Andreas Wellingers Möglichkeiten bei der Nordisch-WM in Lahti gefragt. In Oberstdorf diesmal, wo der 21-Jährige vom SC Ruhpolding später am gleichen Tag 238 Meter weit fliegen sollte – Schanzenrekord. Werner Schuster also sagte: „Für den Andi ist es das erste Mal, dass er als Medaillenkandidat zu einer Weltmeisterschaft fährt – aber ich denke, er kann es schaffen. Wenn ...“
Das „Wenn“ist inzwischen abgehakt: Vierter und Zweiter in Japan, Zweiter und Dritter in Südkorea ist Andreas Wellinger geworden. Man kann schlechter durchkommen. Und in seinem letzten Wettkampfsprung vor einer WM weniger Terrain gutmachen als jene 13 Plätze, um die sich der Oberbayer auf der Olympia-Normalschanze von 2018 vergangenen Donnerstag noch verbessert hat. Das tat Kopf und Seele wohl, passte prima in die Andreas-Wellinger-nach-der Vierschanzentournee-Serie: zehn Weltcup-Starts solo, ein zwölfter, ein vierter Rang – der Rest Podestplätze. „Wenn er Selbstvertrauen hat, dann ist er schon ziemlich gut“, hat Werner Schuster beobachtet. „Er hat schon ein paar Anlagen, die jetzt nicht alle mitbringen auf diesem Erdball im Skispringen – deswegen hat er in Finnland Chancen.“
Die Anlagen sind das eine. Das andere: was man aus ihnen macht. Im Januar 2014 hat Andreas Wellinger seinen ersten Weltcup-Sieg gefeiert; „da war ich noch jemand, der nicht auf dem hohen Niveau gesprungen ist, wie ich’s jetzt im Moment mache. Da hab’ ich’s einfach hinbekommen, mich zum Wettkampf hin noch extrem zu pushen.“Mittlerweile jedoch habe er „auch vom bewussten Training her so einen Schritt gemacht, dass ich konstanter spring’“.
„Begabung plus Fleiß“heißt die Erfolgsformel, die Werner Schuster in frühen Trainerjahren am Stamser Skigymnasiasten Gregor Schlierenzauer studieren konnte. „Der Andi hat da jetzt auch ’ne ganz gute Haltung eingenommen.“Will sagen: Ein „Passt schon!“bereits nach kleinsten Fortschritten ist verpönt, noch akribischer wird stattdessen gefeilt, noch mehr speziell in der Saisonvorbereitung investiert. Der Bundestrainer: „Wie ich über einen langen Zeitraum etwas gewinne, das muss ich mir über den Sommer erarbeiten. Das zu verstehen, ist nicht so einfach für einen jungen Sportler. Und das ist eigentlich der entscheidende Schritt“– hin auch zu allen Möglichkeiten in Lahti. Mit, nicht zu vergessen, 21 erst.
Sie sind alle ein bisschen Freund
Mit 21 ist Andreas Wellinger nach Severin Freunds Kreuzbandriss bei anhaltendem eigenen Hoch derjenige, den Skisprung-Deutschland zum „Leader“schreibt, kommentiert, diskutiert in diesen Vor-WM-Tagen. Der Bundestrainer relativiert. „Er macht es ganz gut“, sagt Werner Schuster. „Und zum Glück ist er nicht alleine. Deswegen sollte man ihn auch nicht zu sehr da reindrängen.“Zustimmung kommt von seinem Sportler. Leader? Er? Andreas Wellinger sieht das anders: „Das macht uns zurzeit einfach aus, dass wir viele Athleten sind, die extrem gut Ski springen können.“
Sie sind also alle ein bisschen Freund: Andreas Wellinger, Markus Eisenbichler, Richard Freitag, Karl Geiger und Stephan Leyhe. Ein LahtiQuintett mit prima Perspektiven. Über den 25. (Einzel Normalschanze) und 26. Februar (Mixed-Wettbewerb), über den 2. (Einzel Großschanze) und 4. März 2017 (Team-Wettbewerb) hinaus. „Ich seh’ uns noch lang nicht am Ende“, sagt Horst Hüttel, der Sportliche Leiter Skisprung im Deutschen Skiverband. Von einem „ersten Hochplateau“spricht Werner Schuster, das „die Jungs“erreicht hätten. Die 41 TopTen-Platzierungen dieses Winters, der kollektive Formanstieg seit der Tournee und die wachsende Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen (nun, da Severin Freund das nicht kann), seien ein klares Signal: „Jetzt wollen wir durchmarschieren mit dieser Mannschaft.“
„Durchmarschieren“übersetzt Andreas Wellinger mit „ordentlich Ski springen“. Das tut er, ging seinen Weg dorthin unbeirrt, mit stoischer Ruhe mitunter: Nie runterziehen lassen, stets die guten Versuche mitnehmen, an ihnen weiterarbeiten! Bis sie irgendwann stabil funktionieren, auch – der Idealfall! – im WM-Wettkampf. Fehler könne man sich da, bei der aktuellen Leistungsdichte, kaum erlauben. „Wenn ich nicht g’scheit Ski spring’, dann sind andere besser.“
In Asien sprang er „g’scheit“, der Gesamtweltcup-Sechste. Keine Müdigkeit, kein mentaler Durchhänger, die hohe Belastungsverträglichkeit Lohn langer Sommereinheiten. Werner Schuster: „Der Andi, der hatte mit 17, 18, 19 zwei, drei Saisons gehabt, in denen er bis Januar gut gesprungen ist, und dann ist nichts mehr gegangen. Jetzt scheint er in einer anderen Phase zu sein.“
Alles gesagt. Letzte Antworten gibt Lahti.