Der umstrittenste Spieler Deutschlands
Seit seiner Schwalbe wird Timo Werner beständig angefeindet – Löw aber adelt ihn
STUTTGART (falx/SID) - Es war ein Moment der Schwäche, eine in Sekundenbruchteilen getroffene, unüberlegte Entscheidung, die aus Timo Werner den umstrittensten Spieler Deutschlands machte. Eine Aktion, um den kompletten Hass der Fußballfans auf sich zu ziehen und sich den Stempel des unfairen Profis abzuholen, der ihm bis heute anheftet. Rückblick: Es läuft die erste Minute im Bundesligaspiel seiner Leipziger gegen Schalke 04, Werner sinkt zu Boden, es gibt Elfmeter – Tor. Die Fernsehbilder entlarften ihn als Täuscher und sein stures Leugnen verschärft den Ton. Die Abneigung gegen ihn gräbt sich tief ins Fan-Gedächtnis ein.
Dass er seitdem der Buh-Mann ist, damit hat der 20-Jährige gelernt zu leben. Nun, auch fast drei Monate später, kocht der Groll fast wöchentlich wieder hoch und doch zeigt Werner konstant gute Leistungen auf höchstem Niveau. Auch am Wochenende in Mönchengladbach ertrug der Torjäger fast 90 Minuten lang Pfiffe und Gesänge. Und nach einem ganz leichten Schubser von Tony Jantschke in der Nachspielzeit musste er sich wieder Schwalbenvorwürfe gefallen lassen, weil er für manche etwas zu theatralisch zu Boden gegangen war. „Man sieht deutlich, dass er mir mit beiden Beinen auf den Fuß steigt. Mehr ist dazu nicht zu sagen“, sagte Werner fast ein wenig trotzig zu der Szene.
Gladbach-Trainer Dieter Hecking sah das etwas anders. „Die Aktion von Timo Werner vor unserer Tribüne war unnötig. Jeder hat gesehen, dass es nicht der große Schubser war. Das hat die Atmosphäre angeheizt“, sagte er. Dass die Atmosphäre in Bezug auf Werner bereits vorher angeheizt war, davon allerdings kein Wort von Hecking. So sah sich RBTrainer Ralph Hasenhüttl gezwungen, seinen Stürmer, der mit zwölf Toren der erfolgreichste deutsche Angreifer der Bundesliga ist, in Schutz zu nehmen. „Timo ist getroffen worden. Wir müssen da vorsichtig sein. Er hat eine Vorgeschichte, da wird oft mehr draus gemacht“, sagte er.
Am Montag legte Hasenhüttl gegen die Kritiker nach: „Wenn man ihn nach dem Abpfiff auf eine Szene reduziert, wo ein gegnerischer Spieler ihm mit Absicht auf den Fuß steigt, dann ist das ein Versuch, ihn mit Absicht zu verunglimpfen. Das kann nicht sein.“
Die Vorgeschichte ist bekannt. Auch jetzt hagelte es für Werner, dessen Stern einst beim VfB Stuttgart aufging, in den sozialen Netzwerken wieder heftige Kritik. Wünschenswert und doch ungewöhnlich war die Aktion Ilkay Gündogans. Der Nationalspieler sprang via Twitter zur Seite: „Fehler gemacht – Ja. Aber langsam sollten einige ,Fans’ ihren Umgang mit Timo Werner mal kritisch überdenken. Der Junge ist erst 20!“
Auch Hecking wollte das Problem nicht auf Werner allein manifestieren: „Ich würde nicht ausschließen, dass meine Spieler ähnlich reagiert hätten, wenn wir 2:1 geführt hätten.“ Hecking sprach dann auch von einem „generellen Problem“des Zeitschindens.
Einer wie Cavani und Suárez
Ärgerlich für Werner, auf den wieder wüste Beschimpfungen und Schmähungen einprasselten. Noch ärgerlicher: Werners erneut starkes Spiel, er traf auch zum 2:0, rückte so wieder einmal in den Hintergrund. Bundestrainer Joachim Löw traut Werner sogar den Schritt in die Weltklasse zu, vergleicht ihn mit Edison Cavani von Paris Saint-Germain und Luis Suárez vom FC Barcelona. „Es ist ihm zuzutrauen, er hat Potenzial und gute Voraussetzungen: Er geht immer in die Tiefe, ist schnell und vor dem Tor abschlussstark.“, so der Bundestrainer zum „Kicker“. Eine Einladung zum Länderspiel im März gegen England wird immer wahrscheinlicher. Vor allem, da Werner eine andere Art Angreifer sei. „Ein Stürmertyp wie Werner ist schwer zu fassen, er bringt Unordnung in eine Ordnung“, so Löw.
Dass der Sohn des ehemaligen Stuttgarter-Kickers-Profi Günther Schuh alle Nebengeräusche so souverän ausblenden und seine Leistungen abrufen kann, grenzt da schon fast an ein Wunder. Oder eben auch nicht, betrachtet man den Weg, den er trotz seiner erst 20 Jahre zurücklegen musste. Seit seinem achten Lebensjahr kickte er für den VfB Stuttgart und mischte als unbekümmerter Jungstar mit gerade 17 Jahren die Bundesliga auf. Doch wurde aus dem bis heute jüngsten Doppeltorschützen der Bundesligageschichte durch Trainer- und Taktikwechsel schnell ein frustrierter Angreifer, an dem die Zweifel immer größer wurden. Einen Aufschrei der Empörung gab es am Ende auch nicht wirklich, als der VfB sein größtes Talent, das doch als Versprechen auf eine goldene Zukunft galt, für zehn Millionen Euro nach Leipzig verkaufte.
Doch all das scheint Werner nur noch stärker gemacht zu haben. Jetzt erst recht scheint sein Motto. Dem Moment der Schwäche folgten Phasen der Stärke, die ihn bis auf das Radar der Nationalmannschaft gehievt haben. Bleibt nur zu hoffen, dass dadurch der Stempel langsam verblasst.