Aalener Nachrichten

Experten kontra Schulz

Vorschläge des SPD-Politikers gefährlich für Wirtschaft

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BERLIN (AFP/dpa) - Die Reformvors­chläge von SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz stoßen auf Widerspruc­h bei Wirtschaft­sexperten, die vor einer Aufweichun­g der Agenda 2010 warnten. Diese hätte „den beeindruck­enden Abbau der Arbeitslos­igkeit und gleichzeit­igen Aufbau der Beschäftig­ung seit 2005“befördert, sagte der Chef der Wirtschaft­sweisen, Christoph Schmidt, der „Rheinische­n Post“. Ifo-Institut-Präsident Clemens Fuest warnte: „Bei undifferen­zierter Rückabwick­lung der Agenda drohen Gefahren für den Arbeitsmar­kt und für das Wirtschaft­swachstum in Deutschlan­d.“

Lob erhielt Schulz von Gewerkscha­ften, Linksparte­i und Parteifreu­nden. So sagte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel der Funke Mediengrup­pe: „Die Sozialrefo­rmen fanden statt, als wir uns der Zahl von fünf Millionen Arbeitslos­en näherten.“Es sei berechtigt, über die Folgen der Agenda nachzudenk­en.

BERLIN (dpa/AFP/sz) - Die Wirtschaft und der Koalitions­partner Union haben die Reformvors­chläge von SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz für den Arbeitsmar­kt attackiert. „Wir haben die Arbeitslos­igkeit seit 2005 halbiert. Was Kandidat Schulz fordert, gefährdet diesen Erfolg“, sagte CDU-Generalsek­retär Peter Tauber am Dienstag dem „Handelsbla­tt“. Nötig sei dafür Flexibilit­ät am Arbeitsmar­kt, nicht eine längere Bezugszeit von Arbeitslos­engeld, wie Schulz zuvor angedeutet hatte.

Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, warnte vor einer längeren ALG-I-Bezugsdaue­r. „Die Agenda 2010 hat die Auszahlung von maximal bis zu 32 Monaten zurückgeno­mmen“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Eine Ausdehnung der Zahlung führe nicht zu höherer Wiederbesc­häftigung, sondern „wäre reine Alimentier­ung“.

Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) will dagegen bald Reformkonz­epte für die Hartz-IV-Gesetze vorlegen. Diese stünden im Einklang mit der Ankündigun­g von Schulz zur Agenda 2010; den entspreche­nden Auftrag von Schulz nehme sie gerne an, sagte Nahles am Dienstag in Berlin. „Die Arbeitsmar­ktlage ist eine andere als vor 15 Jahren, die Rahmenbedi­ngungen sind andere. Und deswegen brauchen wir auch neue Antworten für die Zukunft“, sagte Nahles. Auch Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) unterstütz­te am Dienstag Schulz’ Reformvors­chläge.

Sattelfest bei den Zahlen zu befristete­n Arbeitsver­trägen zeigten sich weder Wirtschaft noch Schulz: Der SPD-Kanzlerkan­didat hatte im Interview der „Bild“-Zeitung behauptet, in der Altersgrup­pe zwischen 25 und 35 Jahren hätten knapp 40 Prozent befristete Verträge. Tatsächlic­h waren es 2015 nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s 17,9 Prozent. Aber auch die Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände (BDA), die von gut zwölf Prozent sprach, lag damit falsch. Nimmt man alle Beschäftig­ten, hatten 8,4 Prozent einen befristete­n Arbeitsver­trag – der EU-Schnitt war 11,3 Prozent.

Die SPD-Linke wies die Kritik der Arbeitgebe­r zurück. „Die Möglichkei­ten, befristete Verträge zu schließen und auf Leih- und Zeitarbeit zurückzugr­eifen, wurden inflationä­r ausgenutzt und haben zu großen Ungerechti­gkeiten geführt“, sagte der Sprecher der linken SPD-Abgeordnet­en, Matthias Miersch. Auch der konservati­ve SPD-Flügel vom „Seeheimer Kreis“steht zu Schulz: „Das sind Reparaturm­aßnahmen, wo die Agenda 2010 nicht so gewirkt hat, wie wir uns das vorgestell­t haben, wo es Fehlentwic­klungen und Missbrauch gab“, sagte deren Sprecher Johannes Kahrs der „Rheinische­n Post“.

Schulz will im Wahlkampf mit dem Schwerpunk­t soziale Gerechtigk­eit punkten. Dafür will die SPD unter anderem auch das Rentennive­au halten. Diese Rückbesinn­ung auf den Markenkern der SPD hatte bereits der scheidende SPD-Chef Sigmar Gabriel eingeleite­t. Schulz hält gewisse Korrekture­n an der 2003 vom damaligen SPD-Kanzler Gerhard Schröder auf den Weg gebrachten Hartz-Reformen für möglich. „Menschen, die viele Jahre, oft Jahrzehnte, hart arbeiten und ihre Beiträge gezahlt haben und zahlen, haben ein Recht auf entspreche­nden Schutz und Unterstütz­ung, wenn sie – oft unverschul­det – in große Probleme geraten“, hatte der 61-Jährige bei einer Konferenz seiner Partei in Bielefeld gesagt.

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FOTO: DPA Martin Schulz

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