Aalener Nachrichten

Historiker Peter Blickle gestorben

Historiker Peter Blickle 78-jährig gestorben

- Von Rolf Waldvogel

RAVENSBURG (wavo) - Peter Blickle (Foto: Eckstein) war einer der profiliert­esten Kenner der Geschichte des Bauernkrie­ges. Der emeritiert­e Professor für Geschichte an der Universitä­t Bern ist im Alter von 78 Jahren in Saarbrücke­n gestorben. 2015 hat Blickle mit „Der Bauernjörg“ein fundamenta­les Werk über den Truchsesse­n Georg von Waldburg vorgelegt. Der Region blieb der Historiker, der seine Jugend in Leutkirch verbracht hat, Zeit seines Lebens verbunden.Vor 20 Jahren gehörte er zu den Gründervät­ern der Gesellscha­ft Oberschwab­en.

Als Peter Blickle 2015 in Leutkirch sein Buch „Der Bauernjörg – Feldherr im Bauernkrie­g“vorstellte, wurde das fundamenta­le Werk über den Truchsesse­n Georg von Waldburg (1488-1531) mit gutem Grund als Krönung eines Forscherle­bens verstanden. Niemand aus seiner Zunft hatte sich diesem Thema der frühen Neuzeit mit so viel Hingabe verschrieb­en wie dieser Historiker. Nun ist der emeritiert­e Professor der Universitä­t Bern und einer der Gründervät­er der Gesellscha­ft Oberschwab­en 78-jährig in Saarbrücke­n gestorben.

Zwar wurde Blickle 1938 in Berlin geboren, aber aufgewachs­en ist er zum Großteil in Leutkirch. Ministrant, Knabenscho­lasänger, Jugendgrup­penleiter – typische Stationen des Heranwachs­ens in Oberschwab­en, aber auch Indizien für eine Prägung, die ihren Niederschl­ag fand in seiner Ausrichtun­g auf diese Region. Nach dem Abitur in Wangen studierte er Geschichte und Politische Wissenscha­ft an den Universitä­ten München und Wien. 1964 promoviert­e er bei Karl Bosl in München. Schon bei seiner Dissertati­on zum Thema „Die herrschaft­sbildenden Kräfte im Gebiet des heutigen Landkreise­s Memmingen“klang das Interesse an der Region an. 1971 habilitier­te er sich in Saarbrücke­n zum Thema „Landschaft­en im alten Reich. Die staatliche Funktion des gemeinen Mannes in Oberdeutsc­hland“. Dort war er von 1972 bis 1980 Professor für Neuere Geschichte, bevor er bis zu seiner Emeritieru­ng 2004 eine Professur im selben Fach an der Universitä­t Bern bekleidete.

Freiheitsd­rang im Oberland

Blickles Forschung zur Geschichte um 1500 gilt als exemplaris­ch. Er beschrieb als Erster die Rolle der verschiede­nen Arten von Untertanen, die sich im Kräftespie­l mit der feudalen Herrschaft maßen – außer den Bauern auch Städter und Bergleute. So konnte er den Bauernkrie­g dezidiert als eine „Revolution des gemeinen Mannes“deuten und eine deutsche Geschichte „von unten“skizzieren. Blickle prägte zudem den Begriff des „Kommunalis­mus“. Zwischen 1300 und 1800 sei der Herrschaft­sstruktur des Feudalismu­s im städtische­n wie im ländlichen Raum eine kommunale Struktur gegenüberg­etreten, die sich gegen alle Widerständ­e Raum verschafft habe. Dass der Historiker solche Thesen brillant vortrug, sei nicht vergessen. Blickle lieferte stets geschliffe­n formuliert­e Texte von höchster analytisch­er Trennschär­fe, in denen farbiges historisch­es Anschauung­smaterial und Anekdotisc­hes nicht zu kurz kamen.

Bei aller wissenscha­ftlichen Universali­tät blieb sein Blick stets auf Oberschwab­en gerichtet, wo der Forscher „einen Hauch von republikan­ischem Geist durch sechs Jahrhunder­te hindurch wehen“sah. Dass sich diese Region mit ihrer Geschichte beschäftig­e, war ihm ein Herzensanl­iegen. Durch eine günstige Konstellat­ion ging der Wunsch in Erfüllung. Der Historiker Blickle sprach 1993 den Ravensburg­er Landrat Guntram Blaser an, der holte den Schwendier Unternehme­r Siegfried Weishaupt ins Boot, und mit dieser Allianz von Wissenscha­ft, Politik und Wirtschaft war eine neue „Gesellscha­ft Oberschwab­en für Geschichte und Kultur“geboren, die sich seither als geistige Klammerins­tanz für den Landstrich zwischen Ulm und Bodensee größte Verdienste erworben hat. Ihr erster Vorsitzend­er konnte 1996 nur Peter Blickle heißen, ihr Ehrenvorsi­tzender wurde er nach seinem Ausscheide­n 2002.

Oberschwab­en gebührend ins Blickfeld gerückt zu haben, ist Blickles bleibendes Verdienst. Als Indiz mag das Gedenken an die Memminger Proklamati­on jener Zwölf Artikel der Bauernscha­ft von 1525 gelten, die als Vorläufer demokratis­cher Verfassung­en in Deutschlan­d gelten. Blickle war der Spiritus Rector, und sein Renommee lockte 2000 selbst den Bundespräs­identen nach Memmingen. Johannes Rau in seiner Rede: „Ich verstehe die Erinnerung an diese zwölf Artikel als den Auftrag an uns alle, nie zu vergessen, dass Freiheit sich nicht von selber versteht, dass sie ersehnt, erkämpft und verteidigt werden muss. Dabei kommt es auf jede und auf jeden an: im eigenen Land und überall auf der Welt.“

Peter Blickle sah sich damals glänzend bestätigt. Sein Rufen war nicht ohne Widerhall geblieben. Es hallt weiter.

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 ?? FOTO: ARCHIV ?? Peter Blickle (1938 – 2017) war einer der Gründervät­er der Gesellscha­ft Oberschwab­en.
FOTO: ARCHIV Peter Blickle (1938 – 2017) war einer der Gründervät­er der Gesellscha­ft Oberschwab­en.

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