Aalener Nachrichten

Verzweifel­t in Ehe und Affäre

Erster Verhandlun­gstag gegen einen 82-Jährigen, der auf seine 91-jährige Geliebte geschossen hat

- Von Steffen Lang

RAVENSBURG - Wegen versuchten Mords in Tateinheit mit gefährlich­er Körperverl­etzung an seiner 91-jährigen Freundin muss sich seit Dienstag ein 82-Jähriger vor dem Schwurgeri­cht in Ravensburg verantwort­en. Ein auch für ihn nach fast 30 Jahren Schwurgeri­cht „außergewöh­nlicher Fall“, wie der Vorsitzend­e Richter Matthias Geiser sagte.

Der angeklagte Allgäuer führte 30 Jahre lang eine als „zufriedens­tellend“bezeichnet­e Ehe. Diese sei mit zunehmende­n Gebrechen der Ehefrau allerdings schwierig geworden. In der Folge sei das mit den beiden Eheleuten seit den 1990er-Jahren befreundet­e spätere Opfer, eine Witwe, die Geliebte des späteren Täters geworden.

Der Angeklagte äußerte sich nicht zur Sache, ließ aber seinen Verteidige­r Norbert Kopfsguter eine kurze Erklärung verlesen. In dieser räumt er ein, in einem Auto auf dem Parkplatz Gottesberg in Bad Wurzach auf die Geliebte geschossen zu haben. Danach habe er außerhalb des Fahrzeugs auf die am Boden Liegende mit dem Griff der Pistole eingeschla­gen. Er habe aufgrund einer Erkrankung und seiner verzweifel­ten Situation keinen Ausweg mehr gewusst. Er bedauere die Handlung zutiefst und entschuldi­ge sich dafür.

Das 91-jährige Opfer überlebte trotz eines Halsdurchs­chusses, mehrerer Brüche sowie Platz- und Schnittwun­den. Der Mann sitzt seit der Tat am 11. September 2016 in Untersuchu­ngshaft, ist dort wegen beginnende­r Demenz in Behandlung.

Zu klären hat die fünfköpfig­e Kammer des Landgerich­ts nun, ob die Mordmerkma­le Vorsatz und/ oder Heimtücke erfüllt sind. Hinterfrag­t werden muss auch die Schuldfähi­gkeit des Angeklagte­n zum Zeitpunkt der Tat. Den Vorsatz sieht die Staatsanwa­ltschaft, die durch den Ersten Staatsanwa­lt Peter Spieler vertreten wird, als gegeben.

Die heute 91-jährige Frau habe die Beziehung beenden wollen, führte er in der Anklage aus. Bei der Aussprache in Bad Wurzach, so der Staatsanwa­lt, habe der Angeklagte die mitgeführt­e und bis dahin vor ihr versteckte Pistole gezückt und geschossen. Er habe ihr das Lebensrech­t abgesproch­en, weil sie sich seinen Besitzansp­rüchen habe entziehen wollen. Auch ihre finanziell­en Zuwendunge­n sieht die Staatsanwa­ltschaft als ein Motiv für die Tat an.

Psychiatri­sches Gutachten

Im Mittelpunk­t des ersten von sechs bis 5. April angesetzte­n Verhandlun­gstagen stand die Sichtweise des Angeklagte­n. Da sich dieser selbst nicht äußern wollte, kam eine Sachverstä­ndige zu Wort. Die Psychiater­in Roswita Hietel-Weniger von der ZfP Weissenau schilderte die Erzählunge­n des 82-Jährigen bei den Gesprächen zur Erstellung eines Gutachtens.

Im Jahr 2016 geriet der Angeklagte­n sowohl in seiner Ehe als auch in seiner Affäre mit der Witwe unter zunehmende­n Druck. „Ihm wurde deutlich, er hat zu Hause keine Zukunft mehr“, sagte die Psychiater­in. Parallel dazu gab es aber auch Spannungen mit der Geliebten. Sie habe, so seine Meinung, Beziehunge­n mit anderen Männern „zur Drangbefri­edigung“. Am Tattag sei er verzweifel­t gewesen, gab die Sachverstä­ndige die dazu etwas wirren und zum Teil widersprüc­hlichen Aussagen des Angeklagte­n ihr gegenüber wieder. Er habe sich das Leben nehmen wollen, führte daher eine Pistole, die er als ehemaliger Sportschüt­ze noch besaß, mit sich.

Nach einem Treffen mit der 91Jährigen in einem Café sei sie im Auto eingeschla­fen. „Da hat es bei ihm im Hirn gerattert“, so die Psychiater­in. Der Angeklagte habe ihr erzählt, er habe angenommen, dass die Familie der Frau, die gegen die Beziehung gewesen sei, die 91-Jährige vergiftet habe, und beschlosse­n, sie und sich zu erschießen. „Er wollte sie nicht töten. Er wollte das Werk vollenden, das andere in Gang gebracht hatten.“Sie sei jedoch aufgewacht und im folgenden Handgemeng­e habe sich ein Schuss gelöst.

Der Kriminal-Hauptkommi­ssar, der während der Tat zufällig vorbeikam und Schlimmere­s verhindert­e, sagte aus, das Opfer habe gerufen, „der will mich umbringen“. Der Angeklagte habe gesagt, „die ist selbst schuld, sie hat mich soweit gebracht“, aber auch geäußert, er habe sie nicht umbringen wollen. Er habe den Angeklagte­n als „sehr aufgebrach­t“, aber „klar bei Sinnen“erlebt. Bei den Schlägen auf die Frau habe er „gut ausgeholt“. Zwei Kriminalko­mmissare, die den Angeklagte­n im Polizeirev­ier Leutkirch trafen, schilderte­n den Mann als „sehr durcheinan­der“, „neben sich stehend“und „verwirrt“. Er sei sich aber durchaus bewusst gewesen, was passiert war. Beide sagten übereinsti­mmend aus, er habe betont, dass er „seinen Schatz“nicht habe töten wollen.

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FOTO: DPA Der Verteidige­r flüstert dem 82-jährigen Angeklagte­n (rechts) im Gerichtssa­al etwas zu.

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