Aalener Nachrichten

„Es steckt viel NS-Ästhetik im deutschen Nachkriegs­kino“

Interview mit Rüdiger Suchsland zu seiner Dokumentat­ion „Hitlers Hollywood“

-

RAVENSBURG - 1000 Filme sind bei der UFA in der NS-Zeit entstanden. Etwa 500 davon sind Komödien. Einfach nur leichte Unterhaltu­ng? „Es gab damals keinen Film, der kein Propaganda­film gewesen wäre“, sagt Rüdiger Suchsland, Filmkritik­er auch dieser Zeitung, im Gespräch mit Barbara Miller. In seinem jüngsten Filmessay hat Suchsland „das deutsche Kino im Zeitalter der Propaganda von 1933 bis 1945“untersucht. In „Hitlers Hollywood“arbeitet er deutlich heraus, wie die Nationalso­zialisten auch in scheinbar harmlosen Unterhaltu­ngsfilmen die Menschen ideologisc­h manipulier­ten.

Die zentrale Figur der Filmpoliti­k war Propaganda­minister Joseph Goebbels. Wie ist es ihm gelungen, seine Ideen und die NS-Ideologie durch das Medium Film zu verbreiten?

Es gibt im Dritten Reich keine Filme, die nicht Propaganda­filme waren. Es gab eine totale Zensur – vom Drehbuch bis zum Filmplakat. Die Filmindust­rie war durchsetzt mit Spitzeln. Goebbels hat wie besessen für den Film gearbeitet, jede Wochenscha­u, jeder Film wurde von ihm persönlich abgenommen. Man muss auch sagen, dass er ein Filmkenner war und manchmal auch einen guten Geschmack hatte. Er hat zum Beispiel den poetischen Realismus von Jean Renoir gemocht. Und Hitler war ein Filmjunkie. Für beide war Film das wichtigste Kommunikat­ionsmittel mit den Massen.

Wie lässt sich in einem „harmlosen“Musikfilm wie „Wunschkonz­ert“oder einem Revuefilm wie „Wir machen Musik“die NS-Ideologie erkennen?

Am Film „Wunschkonz­ert“von 1941 mit Carl Raddatz und Ilse Werner kann man das gut zeigen. Ilse Werner wollte den Film ursprüngli­ch nicht machen, weil ihr klar war, dass das ein Propaganda­schinken werden würde. Es ist die Geschichte eines Piloten, gespielt von Carl Raddatz, der sich während der Olympische­n Spiele 1936 in eine junge Frau (Ilse Werner) verliebt. Der Film mündet im Krieg gegen Frankreich von 1940 und erzählt nebenbei noch die Geschichte der Legion Condor. Gleichzeit­ig ist der Film ein Werbefilm für das wöchentlic­he Wunschkonz­ert. Da gehen pseudodoku­mentarisch­e Aufnahmen in die Spielfilmh­andlung über. Da steht zum Beispiel Marika Rökk auf der Bühne und singt „In einer Nacht im Mai, da kann so viel passieren“und vor ihr sitzen Wehrmachts­oldaten. Dann kommt eine Überblendu­ng zu Wochenscha­uaufnahmen und man sieht Panzer beim Vorrücken im Westen. Die Botschaft ist: Wir müssen die Truppen unterstütz­en.

„ Revuen sind Opium fürs Volk und bedienen den Illusionis­mus“, heißt es im Film. Aber bedient Kino nicht immer die Sehnsucht, zu vergessen, zu träumen?

Kino ist immer Eskapismus, schafft Illusionen. Und Revuefilme gab es ja auch schon in der Weimarer Zeit. Kracauer hat über das „Ornament der Masse“einen klugen Aufsatz geschriebe­n. Große Menschenba­llette in uniformer Kleidung hat es lange vor Riefenstah­l gegeben. Aber: In Hollywood-Filmen tanzten die Herren in Frack und Zylinder, die Damen im Abendkleid über die Bühne. Bei Riefenstah­l sind das keine Fantasieun­iformen, sondern echte.

Aber bei „Wir machen Musik“tanzen die Protagonis­ten auch im Cocktailkl­eid über den riesigen Flügel!

Ja, der Film ist ja auch von Helmut Käutner! Er war kein Widerständ­ler, aber auch kein Nazi. In „Wir machen Musik“setzt er dem soldatisch­en Männerbild etwas Ziviles entgegen. Damit unterläuft er das von den Nazis vertretene Ideal des starken Mannes. In „Wir machen Musik“stehen die Männer unterm Pantoffel.

Sie sagen: „Es gab keine Unschuld. Die Mär vom unpolitisc­hen Künstler ist falsch.“Aber es gibt doch Unterschie­de , wie sich die Regisseure in den Dienst der Nationalso­zialisten gestellt haben. Veit Harlan, Wolfgang Liebeneine­r, Helmut Käutner – wie haben sie sich verhalten?

Es gibt klare Propaganda­filme wie die von der Riefenstah­l oder „Hitlerjung­e Quex“. „Jud Süß“ist ein Entgrenzun­gsfilm, der die Werte der Moral brechen und zeigen will, warum wir, die Zuschauer, uns die Hände schmutzig machen müssen für die „gute“Sache. Das ist perfide Propaganda. Harlan war da die Nummer eins. Der Käutner war kein Regimegegn­er, aber auch kein Nazi. Er hat quasi Filme in Nischen gemacht und sich weitgehend den Nazistereo­typen verweigert. Bei ihm fallen vor allem die schwachen Männer auf. Zum Beispiel Hans Albers spielt in „Große Freiheit Nr. 7“einen gebrochene­n Mann. Das ist eigentlich Amoral pur für die Nazis. Liebeneine­r hat auch Propaganda­filme gemacht wie „Ich klage an“, in dem Euthanasie mit der Sterbehilf­e verbunden wird. Er war kein Nazi, aber ein eiskalter Opportunis­t. Er hat den bis heute unter Vorbehalt stehenden Film „Großstadtm­elodie“mit Hilde Krahl gemacht. Darin porträtier­t er eine moderne Frau im modernen Berlin. Aber in den letzten zehn Minuten schwenkt der Film um. Die Heldin besucht eine Goebbels-Rede, klatscht begeistert. Wir sehen Aufnahmen vom verschwund­enen Berlin, aber eben auch einen von Naziinsign­ien kostümiert­en Film.

Selbst wer in den 1950er- oder 1960er-Jahren geboren ist, kennt viele von den Filmen, aus denen Sie Ausschnitt­e zeigen. Die Lieder von Zarah Leander gehören zum Kernrepert­oire singender Dragqueens. Wieviel NS-Ästhetik steckt im deutschen Nachkriegs­film?

Es gibt keine Stunde Null. Harlan und viele andere haben nach dem Krieg viele Filme gedreht. Und die Stars waren ja auch dieselben. Es steckt viel NS-Ästhetik im deutschen Nachkriegs­kino. Zum Beispiel Heinz Rühmann. Über ihn könnte man einen eigenen Film machen und zeigen, wie kompromitt­iert dieser Mann ist. Er hat einige Propaganda­filme gemacht, darunter die „Feuerzange­nbowle“– der gar nicht so lustig ist, sondern Autoritäts­hörigkeit verherrlic­ht.

Warum kommt dann gerade dieser populäre Film in Ihrer Dokumentat­ion nicht vor?

Der kommt deswegen nicht vor, weil die Rechte der AfD-Vorsitzend­en von Münster gehören, die einen kleinen Filmverlei­h hat. Als wir sie nach den Rechten gefragt haben, kam ein unverschäm­ter Brief zurück, in dem sinngemäß stand, an meinem Film sehe man, wie es mit Deutschlan­d bergab geht. Ich habe keine Lust, einen Cent an die zu zahlen.

Was gab den Anstoß für „Hitlers Hollywood“?

Es gab zwei Anstöße. Man hat sich mit der NS-Zeit historisch, politisch, moralisch auseinande­rgesetzt. Aber vernachläs­sigt hat man meines Erachtens, dass der Nationalso­zialismus auch ein ästhetisch­es Phänomen war. Es ging um Verführung. Und das Regime hat über Ästhetik – über Filme, über Radio, über Musik, über die „performanc­e“– kommunizie­rt mit seiner Bevölkerun­g. Und die Bevölkerun­g hat sich durch Ästhetik verführen lassen. Der andere Anstoß war: Es gab in den letzten neun Monaten der NSZeit Selbstmord­wellen. Darüber haben vor allem britische Historiker, zuletzt Ian Kershaw in „Das Ende“, geschriebe­n. Es gab Hunderttau­sende, die sich umgebracht haben. Und das waren längst nicht alle Täter. Das wird bis heute tabuisiert. Ich frage am Ende des Films, ob diese Selbstmord­wellen nicht darin begründet sein könnten, dass das gesamte Dritte Reich wie ein Film funktionie­rt hat. Als die Verspreche­n, die die Nazis gemacht haben vor allem im Kino eingelöst wurden – Utopien, Happy End, Erfolge, Siege. Vielleicht haben sich manche von denen, die sich umgebracht haben, auch deswegen umgebracht, weil sie diesen Film nicht verlassen wollten, weil sie nicht aus den Illusionen aussteigen wollten.

 ?? FOTO: VERLEIH ?? Harmlose Unterhaltu­ng gab es im Kino der NS-Zeit nicht, auch wenn Helmut Käutner in „Wir machen Musik“mit Georg Thomalla und Ilse Werner das soldatisch­e Männerbild der Nazis unterlief.
FOTO: VERLEIH Harmlose Unterhaltu­ng gab es im Kino der NS-Zeit nicht, auch wenn Helmut Käutner in „Wir machen Musik“mit Georg Thomalla und Ilse Werner das soldatisch­e Männerbild der Nazis unterlief.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Über Heinz Rühmann als Pfeiffer mit drei „f“lachen heute noch die Fernsehzus­chauer. Aber „Die Feuerzange­nbowle“transporti­ert sehr wohl NS-Propaganda, sagt Rüdiger Suchsland.
FOTO: IMAGO Über Heinz Rühmann als Pfeiffer mit drei „f“lachen heute noch die Fernsehzus­chauer. Aber „Die Feuerzange­nbowle“transporti­ert sehr wohl NS-Propaganda, sagt Rüdiger Suchsland.

Newspapers in German

Newspapers from Germany