„Viel mehr wert als eine beschissene Goldmedaille“
Gregor Schlierenzauer springt immer noch sehr gerne Ski, doch er definiert sich nicht mehr nur über den Sport
Als amtierender Vizeweltmeister von der Großschance ist Gregor Schlierenzauer zur heute beginnenden Nordischen SkiWM nach Lahti gereist. Dass er am Freitag (Quali) und Samstag (16.30/ ZDF und Eurosport) beim Springen von der Normalschanze dabei sein wird, war lange offen. Nicht nur wegen Schlierenzauers Sturz Anfang Februar beim Skifliegen in Oberstdorf. Klaus-Eckhard Jost hat sich mit Schlierenzauer unterhalten.
Herr Schlierenzauer, zwei Wochen vor der Weltmeisterschaft sind Sie beim Skifliegen in Oberstdorf gestürzt. Wie sicher waren Sie, dass es für Sie für einem Start in Lahti reicht?
Eigentlich war ich mir gar nicht sicher. Allerdings war klar, dass ich nichts mit der Brechstange erzwingen werde, sondern mich in Demut und Geduld übe.
Es ist Ihr zweites Comeback in dieser Saison. Ihre erste Auszeit, die mehr als ein Jahr andauerte, haben Sie selbst gewählt.
Ich habe diese Zeit gebraucht. Und in dieser Zeit sind einige Entscheidungen gefallen. Es hat nicht diesen Tag X gegeben, an dem das Pendel auf diese oder die andere Seite ausgeschlagen ist. Es war definitiv eine sehr lehrreiche Zeit, die ich nicht missen möchte.
War es auch eine schmerzhafte Zeit?
Was ist schmerzhaft?
Zu sehen, wie die Kollegen von Wettkampf zu Wettkampf ziehen.
Das war insofern nicht schmerzhaft, weil ich die Entscheidung zu dieser Auszeit aus eigenem Antrieb gefasst habe, um den Abstand zum Skispringen zu suchen.
Hatten Sie die Lust am Skispringen verloren?
Wenn man über Jahre hinweg permanent in der Weltspitze ist, dann kostet das Energie.
Konnten Sie die nicht aus Ihren Erfolgen ziehen?
Das war ja durchaus etwas Schönes und Positives. Aber ich habe nicht mit 16 Jahren, sondern schon mit neun Jahren begonnen den professionellen Weg im Sport zu gehen. Das ist schon eine lange Zeit, um in diesem Hamsterrad mit „schneller, höher, weiter“drinnen zu bleiben.
Warum aber mitten in der Saison?
Ich hatte das schon 2013, nach meinem zweiten Sieg im Gesamtweltcup, machen wollen. Aber direkt vor einer Olympiasaison ist das schwierig. Ich bin mehr oder weniger durch meine guten Leistungen in diese Sackgasse gezwungen worden.
Wie leicht ist es Ihnen gefallen umzuschalten auf den Modus eines normalen Lebens?
Das hat ganz gut geklappt, weil es mein Inneres wollte. Ich habe das andere Leben ja nicht wirklich gekannt, habe mich aber danach gesehnt. Und ich habe es sehr genossen, nicht immer in der Öffentlichkeit zu stehen. Ich bin mit meinen Freunden Kaffee trinken gegangen, ins Kino gegangen, habe auch mal die Sau herausgelassen.
Was hat Ihnen geholfen?
Die Auszeit war wichtig, Zeit mit mir selbst zu verbringen und alles zu reflektieren. Dazu habe ich Ausbildungen zum Mentaltrainer und zum Neurolinguistischen Programmieren sowie eine Trainerlizenz gemacht. Und ich habe Gespräche mit Persönlichkeiten führen dürfen.
Das Ergebnis ist, dass Sie wieder Skispringen.
Diese Gespräche haben mich auf den Punkt gebracht. Jetzt kann ich dieses riesige Privileg wieder richtig genießen, Spitzensportler zu sein. Das macht mir wieder richtig Spaß.
Gehen Sie heute einen Wettbewerb anders an als früher?
Das Springen an sich nicht, nur die Bewertung ist anders, weil ich weiß, wie ich damit umzugehen habe. Als Spitzensportler hat man mehrere Phasen. Zuerst hat man das Ziel, in die Weltspitze zu kommen. Wenn man das geschafft hat, macht man dahinter einen Haken. Dann setzt man sich das Ziel, sich in der Weltspitze zu etablieren. Das ist in meinem Fall auch schnell gegangen.
Und was folgt dann?
Dann kommt der Punkt, fairerweise muss man sagen, dass nicht jeder Spitzensportler dahin kommt, dass man die Benchmarks setzt. Diese sind auf der einen Seite Euphorie und Emotionen, ein absolutes Privileg. Auf der anderen Seite birgt das die Gefahr, nur noch aus dem Manko heraus zu leben, weil man sich auch über den Erfolg definiert. In dieser Phase war ich. Diese Phase haben auch andere Topsportler hinter sich. Deshalb ist es schön zu beobachten, dass Roger Federer nach einer längeren Zeit wieder zurück ist.
Definieren Sie sich nicht mehr über Ergebnisse?
Ich bin nicht so gestrickt, dass ich nur noch dabei sein will. Beim Skispringen definiere ich mich über Topsprünge, dann kommen die Ergebnisse von alleine.
Seit Ihrem Comeback sprechen Sie davon, dass Sie Geduld haben müssen. Das war jedoch früher nicht Ihre Stärke.
Die Leute und die Medien kennen mich nur von der Schanze, nicht wie ich in meinen eigenen vier Wänden bin. Da bin ich eigentlich ein sehr ruhiger, geselliger und auch geduldiger Typ. Jeder Mensch braucht seinen Gegenpol. Auch im Spitzensport braucht man einen gewissen Grad an Geduld, aber mit zu viel Geduld gewinnst du nichts.
Sie haben fast alles gewonnen, lediglich Gold bei Olympischen Spielen fehlt noch. Würden Sie, wenn Ihnen das versagt bliebe, Ihre Karriere als nicht perfekt bezeichnen?
Muss die Karriere perfekt sein, um sich wohl zu fühlen oder um glücklich zu sein?
Das können nur Sie beantworten.
Ich will es mal so beschreiben: Als positiv Getriebener will ich mich ständig verbessern und geile Bewegungen spüren. Das macht süchtig, da hast du unglaubliche AdrenalinAusstöße. Das erleben zu dürfen, das ist etwas ganz Besonderes. Wenn du das am Ende des Tages mit einer Medaille bestätigt bekommst, ist das auch schön. Es gibt ein chinesisches Sprichwort, nach dem nicht der Sieg, sondern der Weg das Ziel ist. Genau das erlebe ich jetzt. Das ist viel, viel mehr wert, als schlussendlich eine beschissene Goldmedaille.
Bitte?
Klar ist es mein Ziel, Olympiasieger zu werden. Deshalb trainiere ich, deshalb mache ich Mentaltraining. Aber ob etwas fehlt, wenn ich es nicht schaffe? Nein!