Aalener Nachrichten

Produktion ohne Jobs

Industrie 4.0 bringt klassische Fabriken nach Deutschlan­d zurück, in denen Roboter arbeiten

- Von Tobias Hanraths

BERLIN - Geht es um die Digitalisi­erung der Arbeitswel­t, dann meistens im Zusammenha­ng mit dem drohenden Abbau von Arbeitsplä­tzen. Das Zauberwort Industrie 4.0 könnte aber auch dafür sorgen, dass in Deutschlan­d wieder mehr produziert wird. Doch entstehen dadurch neue Jobs?

Ausgerechn­et Turnschuhe: In Fernost für wenig Geld zusammenge­näht, im Container massenhaft nach Europa verfrachte­t und hier als teures Lifestyle-Produkt verkauft, sind Sneaker vielleicht das Symbol der globalisie­rten Produktion von Konsumgüte­rn. Da hat es schon eine gewisse Bedeutung, dass gerade dieses Symbol künftig wieder in Deutschlan­d produziert wird: In Ansbach baut Adidas gemeinsam mit Oechsler Motion die erste sogenannte Speedfacto­ry auf. Ab dem Sommer sollen hier auf 3600 Quadratmet­ern Turnschuhe für Deutschlan­d und Europa gefertigt werden.

Die 160 Angestellt­en fassen die Schuhe dabei in der Regel erst zur Endkontrol­le an. Vorher dominieren Roboter den Prozess, darunter klassische Strickmasc­hinen für den Stoff, aber auch eine Art 3D-Drucker für die Sohle. Damit ist die Speedfacto­ry ein gutes Beispiel für Industrie 4.0, also für Vernetzung, Digitalisi­erung und Automatisi­erung von Produktion. Und vielleicht für eine Rückkehr von Fabriken, die einst in Billiglohn­länder abgewander­t waren.

Investitio­n in Hard- und Software

„Ich sehe durchaus Chancen dafür, dass Produktion im Zuge von Industrie 4.0 nach Deutschlan­d zurückkomm­en kann“, sagt Clemens Otte, Referent beim Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI). Der Grund: Wenn Roboter einen Großteil der Arbeit machen, spielen die Lohnkosten keine so große Rolle mehr. Die waren zuvor stets das beste Argument für Produktion­sverlageru­ng ins Ausland: 2015 lagen die Arbeitskos­ten im verarbeite­nden Gewerbe nach Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Deutschlan­d bei 38,99 Euro. In China werden dagegen pro Stunde nur 6,19 Euro fällig, in Rumänien oder Bulgarien 4,47 und 3,40 Euro.

Doch statt in Arbeit müssen die Unternehme­n künftig vor allem in Hard- und Software investiere­n. „Industrie 4.0 erhöht die Produktivi­tät, dabei wird die Maschine zu einem wesentlich­en Kostenfakt­or – egal, wo sie steht“, sagt Otte. Wichtiger seien dann andere Standortfa­ktoren, politische Stabilität zum Beispiel, Marktzugan­gsmöglichk­eiten, aber vor allem qualifizie­rte Arbeitskrä­fte. „Und da ist Deutschlan­d im Vergleich mit vielen Industrie- und Schwellenl­ändern im Vorteil.“

Eher skeptisch ist Werner Eichhorst vom Forschungs­institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. „Was es gibt, ist eine gewisse Re-Industrial­isierung. Wir haben in Deutschlan­d einen sehr hohen Anteil des industriel­len Sektors am Arbeitsmar­kt“, sagt er. Dass der noch weiter wächst, sei aber unwahrsche­inlich. Das Potenzial wäre zwar gewaltig: Laut DIHK (Deutscher Industrieu­nd Handelskam­mertag) arbeiten im Ausland rund 7,2 Millionen Menschen für Unternehme­n der deutschen Industrie. Experten glauben nicht, dass diese Jobs alle wieder nach Deutschlan­d verlagert werden: „Es ist nicht so, dass die Massenprod­uktion zurückkehr­t“, sagt Eichhorst.

Im Fall von Adidas stimmt das: In Ansbach sollen 500 000 Paar Schuhe pro Jahr entstehen. Weltweit produziert das Unternehme­n jedes Jahr aber etwas mehr als 300 Millionen. Deshalb ist die Speedfacto­ry eher ein Experiment­ierfeld. Vor allem will Adidas die Zeit zwischen Entwurf und Verkauf von branchenüb­lichen 18 Monaten auf wenige Wochen verkürzen und so schneller auf Trends und Kundenwüns­che reagieren.

Genau das verspreche­n sich auch andere Unternehme­n von Industrie 4.0, sagt Otte – vom Auto- bis zum Anlagenbau­er. „Wenn man individual­isierte Produkte für den europäisch­en Markt produziert, macht es Sinn, das nicht zum Beispiel in China zu machen, wo man dann sechs bis acht Wochen Lieferzeit hat.“

Doch gibt es mit Maßanferti­gung statt Massenprod­uktion und Fabriken voller Roboter überhaupt neue Jobs? „Schätzunge­n gehen davon aus, dass in Deutschlan­d bis zum Jahr 2025 bis zu 390 000 neue Arbeitsplä­tze durch Industrie 4.0 entstehen können“, sagt Otte und verweist auf eine Studie der Boston Consulting Group. Allerdings sagt die Studie auch, dass zunächst Arbeitsplä­tze wegfallen, die leicht durch Roboter zu ersetzen sind. Gefragt seien eher Fachkräfte mit guter Ausbildung – IT- und Softwareex­perten, Mechatroni­ker, Ingenieure.

Keine Rückkehr klassische­r Industriej­obs also, eher ein neuer Arbeitsmar­kt mit einer Neuinterpr­etation alter Fabrikjobs. Grundsätzl­ich sei Deutschlan­d dafür gut aufgestell­t, glauben Experten. Zukunftsfä­hig sei Industrie 4.0 hierzuland­e aber nur, wenn die Rahmenbedi­ngungen weiter passen. Wichtig seien unter anderem Investitio­nen in Breitbanda­usbau und Bildung, so Otte. Auch Eichhorst sagt: „Dieses Modell funktionie­rt in Zukunft nur, wenn man da immer an vorderster Front bleibt, Innovation also weiter vorantreib­t, um mit den Wettbewerb­ern Schritt zu halten.“

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FOTO: IMAGO Wenn Roboter einen Großteil der Arbeit machen, spielen die Lohnkosten keine so große Rolle mehr. Die Maschine wird zu einem wesentlich­en Kostenfakt­or – egal, wo sie steht.

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