Zug um Zug aus der Bahn-Misere
Gerhard Schnaitmann soll im Auftrag des Landes den Schienen-Nahverkehr verbessern
RAVENSBURG - Mit nur einer Minute Verspätung rollt der Zug im Ravensburger Bahnhof ein. Aus Tübingen kommend, hatte Gerhard Schnaitmann beim Umstieg in Aulendorf sechs Minuten Zeit – genug für einen Kaffee und eine halbe Butterseele in der Bahnhofsbäckerei. Der passionierte Bahnfahrer ist zufrieden: „So wie ich es heute Morgen erlebt habe zwischen Tübingen und Aulendorf und zwischen Aulendorf und Ravensburg, so muss es eigentlich sein.“
Aber es ist nicht immer so. Die Bahn hat in Baden-Württemberg ein Pünktlichkeitsproblem. Deswegen hat Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) die Bahn-Tochter DB Regio abgemahnt und gedroht, sie von künftigen Ausschreibungen für Aufträge im Nahverkehr auszuschließen. Und er hat den Managern einen Aufpasser an die Seite gestellt: Gerhard Schnaitmann.
Der Tübinger ist Mitte Februar, wenige Wochen nach seinem Eintritt in den Ruhestand, zum Qualitätsbeauftragten für den Schienennahverkehr berufen worden. Zuvor hatte er 20 Jahre lang Fahrpläne erstellt für die Nahverkehrsgesellschaft Baden Württemberg, die im Auftrag des Landes den Regionalverkehr auf der Schiene koordiniert. Jetzt hat ihn Hermann für zwei Monate reaktiviert. Er soll dafür sorgen, dass es wieder besser wird bei der Bahn. Die Berufung sei eine „Marketingaktion“Hermanns, lästert der FDP-Verkehrspolitiker Michael Haußmann. „Offenbar ist der Minister mit seiner eigenen Nahverkehrsgesellschaft nicht zufrieden, sonst würde er sich die Expertise aus dem eigenen Haus holen.“
Die Kompetenz von Hermanns Sonderbeauftragtem, der für seinen Einsatz lediglich eine Aufwandsentschädigung erhält, stellt aber auch Haußmann nicht infrage. Schnaitmann kennt nicht nur von Berufs wegen jede Trasse im Land. In seiner Freizeit ist er als Lokführer für die Schwäbische Alb-Bahn zwischen Engstingen und Ulm im Einsatz. Kommt man ihm mit der Klage vieler Bahnkunden – Tenor: früher war alles besser –, reagiert er unwirsch. „Der Tenor ist falsch.“Im Gegenteil: „Wir hatten noch nie so ein dichtes und vernetztes Zugangebot in Baden-Württemberg wie heute.“
Allerdings bedeutet das auch ein umso größeres Chaos, wenn ein solch straffer Fahrplan auch noch durch Personalmangel und defekte Züge durcheinandergebracht wird. Diese beiden Punkte waren die häufigsten Problemfälle der vergangenen Wochen. Allein in der ersten Januarwoche fielen im Südwesten 328 Züge aus. Dagegen kämpft Schnaitmann an: „Wenn Züge nicht ausfallen und die vorgesehene Wagenzahl haben, dann geht automatisch die Pünktlichkeit in die Höhe.“Ein entscheidender Zeitfaktor sei das Ein- und Aussteigen der Reisenden. Drängen sich wegen eines Ausfalls beim nächsten Zug die Passagiere am Bahnsteig, schlage das sofort auf die Pünktlichkeit durch. Dasselbe gelte, wenn ein Zug mit weniger Wagen fahre als geplant. Oder wenn sich eine Tür nicht öffnet.
Reparaturtrupps und Ersatzwagen
Deswegen gibt es jetzt acht mobile Reparaturtrupps, die manche Defekte – wie eben kaputte Türen – sofort beheben können, wenn nötig während der Fahrt. Zudem steht neuerdings in Stuttgart und Ulm je ein Ersatzzug dauerhaft bereit, der bei Ausfällen sofort auf den Weg geschickt werden kann. An der Bodenseegürtelbahn kommen Ersatzbusse zum Einsatz und in Heilbronn, wo viele Züge nachts geparkt werden, unterstützen weitere Mitarbeiter die Lokführer am frühen Morgen dabei, die Wagen betriebsbereit zu machen. „Wenn Lokführer merken, dass sie mit solchen Problemen nicht mehr alleingelassen werden, habe ich die Hoffnung, dass sich die Motivation der Menschen wieder verbessert“, sagt Schnaitmann. Auch die war zuletzt ein Problem, vor allem im Raum Stuttgart häuften sich Krankmeldungen beim Personal.
Mit der offiziellen Definition von Pünktlichkeit kann der Bahn-Qualitätsbeauftragte indes nicht viel anfangen. Die lautet: Verspätet ist ein Zug nach sechs Minuten. Erreicht er hingegen das Ziel fünf Minuten und 59 Sekunden zu spät, ist er pünktlich. „Mehdorn-Pünktlichkeit“nennt Schnaitmann das, der ehemalige Bahnchef Hartmut Mehdorn habe sie eingeführt. „Das ist natürlich dummes Zeug.“Für den langjährigen Fahrplanmacher gilt: Ein Zug ist pünktlich, wenn er innerhalb der vorgesehenen 59 Sekunden ankommt oder abfährt.
Nach dieser Definition wäre es allerdings noch ein sehr langer Weg, bis die Vorgabe des Landes erreicht ist. Die lautet: Dauerhaft sollen mehr als 95 Prozent der Züge pünktlich sein – ein Mindestwert, den die Bahn in der vorvergangenen Woche mit 95,7 Prozent erstmals in diesem Jahr übertroffen, in der Folgewoche mit 94,5 Prozent aber schon wieder gerissen hat. Gemessen wurde selbstredend die „Mehdorn-Pünktlichkeit“.
Eine interaktive Karte zu den aktuellen Pünktlichkeitswerten für die Bahnstrecken der Region gibt es unter: schwaebische.de/ verspaetungen