Fall Yücel sorgt für neue Spannungen
Die Festnahme des deutsch-türkischen Journalisten belastet die Beziehungen zwischen den beiden Ländern
ISTANBUL - Die türkische Polizei hat ihre Ermittlungen gegen den deutsch-türkischen Reporter Deniz Yücel offenbar abgeschlossen. Derzeit werde Yücel nur noch „aus politischen Gründen“festgehalten, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu der „Schwäbischen Zeitung“. Mutlu hatte am Donnerstag das Istanbuler Polizeipräsidium besucht, in dem der „Welt“-Korrespondent Yücel seit dem 14. Februar festgehalten wird.
In den kommenden Tagen entscheidet die türkische Justiz, ob der Reporter freigelassen oder in Untersuchungshaft muss. Die Staatsanwaltschaft in Istanbul prüft ihr weiteres Vorgehen im Fall Yücel vor dem Hintergrund wachsender Spannungen im türkisch-deutschen Verhältnis. Die Bundesregierung fordert die Freilassung des Journalisten, über dessen weiteres Schicksal bis zum 28. Februar entschieden werden muss. Noch hat sich die Staatsanwaltschaft nicht dazu geäußert, ob sie die Entlassung oder Untersuchungshaft für den deutsch-türkischen Doppelstaatler beantragen will.
Dem Journalisten wird wegen Berichten über die von einer Hackergruppe veröffentlichten Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak die Verbreitung von Terrorpropaganda vorgeworfen; Albayrak ist ein Schwiegersohn des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Neben Yücel wurden sechs türkische Journalisten festgenommen, von denen drei inzwischen unter Auflagen wieder auf freiem Fuß sind. „Mein Eindruck ist: Es ist jetzt eine politische Frage“, sagte Mutlu.
Diplomaten beantragen Asyl
Der Streit um Yücels Festnahme hat die Spannungen im ohnehin krisengeschüttelten Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei weiter verschärft. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin warf Deutschland vor wenigen Tagen wegen des Vorgehens gegen mutmaßliche türkische Spitzel-Imame „niedere Motive“vor. Zugleich wurde bekannt, dass 136 türkische Diplomaten und deren Familienangehörige in Deutschland politisches Asyl beantragt haben. Ankara verlangt die Auslieferung der Betroffenen, weil diese als Anhänger des als Putschführer bezeichneten Predigers Fethullah Gülen gelten.
Auch die neuen Vorwürfe gegen türkische Vertretungen in Deutschland, die türkische Eltern und Schüler zur Bespitzelung von Lehrern in deutschen Schulen aufgefordert haben sollen, sorgen für Empörung in der Türkei. Damit sei „eine weitere freche Lüge“in die Welt gesetzt worden, hieß es in der Erdogan-treuen islamistischen Zeitung „Yeni Akit“.
Die Kritik in der Bundesrepublik an dem offenbar geplanten Wahlkampfauftritt Erdogans in Deutschland im März wird ebenfalls zurückgewiesen. „Die deutsche Politikerlandschaft ist aufgerufen, einen möglichen Auftritt des türkischen Präsidenten in Deutschland mit der gebotenen Sachlichkeit und Selbstreflexion zu begleiten“, erklärte Mustafa Yeneroglu, Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament und Mitglied in der Erdogan-Partei AKP. Die „populistischen Reaktionen“in Deutschland auf den möglichen Besuch Erdogans gäben Anlass zur Sorge.
In der aufgeladenen Atmosphäre birgt der Fall Yücel weiteren politischen Sprengstoff. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am vergangenen Wochenende mit Erdogans Premier Binali Yildirim gesprochen und dabei ein rechtsstaatliches Verfahren für den Journalisten verlangt. Ob Erdogan bei seinem möglichen Deutschland-Besuch im März mit Merkel sprechen will, ist nicht bekannt.