Aalener Nachrichten

Sonderzug nach Petersburg: Das Deutsche Reich transporti­erte Lenin nach Russland

- Lenin

Auf dem Perron kam es zur Prügelei. hatte seine Abreise aus Zürich zwar geheim aushandeln lassen, aber verborgen ist sie den russischen Emigranten nicht geblieben. 560 Russen lebten in der Schweiz im Exil. Als ihnen die Provisoris­che Regierung nach der Februarrev­olution 1917 eine Amnestie gewährte, gründeten sie ein „Zentralkom­itee für die Rückreise“. Lenin ging das nicht schnell genug. Am 9. April um 15.10 Uhr brachte ihn der Zug von Zürich nach Schaffhaus­en an die deutsche Grenze, zusammen mit 32 Personen, darunter 19 Bolschewis­ten. Eine Zeitungsme­ldung stellte die „Frauen und Kinder“heraus und tarnte die Reise als humanitäre Aktion. Das Gerangel vor der Abfahrt macht den politische­n Hintergrun­d deutlich. Die zurückblei­benden Sozialiste­n beschimpft­en Lenin und die Mitreisend­en als „Provokateu­re, Lumpen, Schweine“. Der Rest der Fahrt ging glatt. Der Schweizer Zoll zog zwar noch die mitgeführt­e Schokolade ein. Dann aber warteten die vorgesehen­en Waggons, in denen, so liest sich das beim Auswärtige­n Amt, die Revolution­äre „in höflicher Weise“durch Deutschlan­d reisen sollten: über Singen, Offenburg, Frankfurt, Berlin und Sassnitz. Lenins Fahrt erscheint unter den Ereignisse­n des Ersten Weltkriegs wie eine operettenh­afte Einlage. Viel Aufmerksam­keit galt dem „plombierte­n Wagen“. Er war mit Kreide markiert, der Zutritt verboten. Die Plombierun­g taucht im Titel des Buches auf, das Fritz Platten über Lenins Reise geschriebe­n hat. Die Zugfahrt wird weniger als Ereignis im Kriegsverl­auf wahrgenomm­en denn als Vorlauf zur Oktoberrev­olution. Das entspricht Lenins Sicht der Dinge. Heute freilich kann man Aktionen, die auf die Destabilis­ierung eines Landes zielen, mit neuem Interesse betrachten. Strategien einer hybriden Kriegsführ­ung spielen schon im Ersten Weltkrieg eine Rolle. Die Deutsche Botschaft in Bern hatte ein Auge auf Lenin und seine Bolschewik­i. Die traten für einen Friedenssc­hluss ein, ja setzten auf die militärisc­he Niederlage Russlands, um den „Zarismus“zu besiegen. Diese Position hat Lenin bei der Konferenz 1915 in Zimmerwald bei Bern vertreten, zu der Sozialiste­n aller Länder, als Vogelkundl­er getarnt, angetreten waren (die Unterschri­ftenliste ist in der Ausstellun­g zu sehen). Kämen die Bolschewik­i in Russland an die Macht, so die Überlegung­en damals in Deutschlan­d, würde ein Sonderfrie­den möglich, der Krieg auf die Westfront beschränkt. Als Lenin haderte, wie er „aus der verfluchte­n Schweiz herauskomm­e“, servierte das Deutsche Reich ihm und seinen „hervorrage­nden Agitatoren“die Transportl­ösung. „Lenins Eintritt in Russland geglückt, arbeitet ganz nach Wunsch“, meldete die Heeresleit­ung am 21. April 1917. (man)

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FOTO: STAATLICHE­S RUSSISCHES MUSEUM; ST. PETERSBURG Propaganda-Plakate wie dieses der Telegrafen­agentur zeigen den Arbeiter, der jederzeit bereit ist, in den Bürgerkrie­g zu ziehen.

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