„Das hat etwas von einem Ritterturnier“
Autorin und Moderatorin Thea Dorn gehört von März an zu den Kritikerinnen der Sendung „Das Literarische Quartett“
BERLIN - Sie ist die Neue im „Literarischen Quartett“: Thea Dorn ersetzt Schriftsteller Maxim Biller, der sich aus dem Kritikerensemble verabschiedet hat. Am 3. März wird die meinungsfreudige Autorin und Moderatorin zum ersten Mal in der neuen Ausgabe des Lesemagazins „Das Literarische Quartett“im ZDF zu sehen sein. Mit ihren Mitstreitern Volker Weidermann und Christine Westermann sowie dem Gast Elke Schmitter diskutiert sie über Neuerscheinungen von Martin Walser und Julian Barnes. Martin Weber hat mit ihr gesprochen.
Frau Dorn, ab März gehören Sie zum Kritikerensemble von „Das Literarische Quartett“. Was reizt Sie an der Sendung?
Am „Literarischen Quartett“hat mir schon immer gefallen, dass es ein äußerst puristisches Konzept hat: Vier Bücher und vier Menschen, die mit all ihrer Leidenschaft und ihrem Witz für diese Bücher streiten, sonst nichts. Keine Einspieler, kein anderer Fernseh-Schnickschnack, herrlich! In seiner Archaik hat das fast etwas von einem Ritterturnier.
Was kann man verbessern?
So wie der Purismus die große Chance dieser Sendung ist, birgt er auch ihre größte Gefahr. Wenn die Bücher nicht gut ausgewählt sind, sprich: Wenn es sich um Bücher handelt, die mehrheitlich zu lauen bis ratlosen Reaktionen verleiten, hat man ein Problem. Wenn es nicht gelingt, das Buch, für das man sich stark machen will, so zu präsentieren, dass der Zuschauer versteht, warum einen dieses Buch so begeistert, hat man das nächste Problem.
Maxim Biller ist durch seine harsche Kritik aufgefallen. Wollen Sie in seine Fußstapfen treten?
Ich schätze Maxim Biller sehr, seine unerschrockene Lust an der Konfrontation, seine Intelligenz und seine Begabung, Dinge zuzuspitzen. Im letzten Jahr, als ich beim „Literarischen Quartett“Gast gewesen bin, habe ich es sehr genossen, die Klinge mit ihm zu kreuzen. Dennoch verfügen wir beide über höchst unterschiedliche Temperamente.
Welche Rolle wollen Sie in der Runde spielen?
Ich glaube nicht, dass es in dieser Sendung darum gehen kann, eine Rolle zu spielen. Im Gegenteil: Die Sendung lebt davon, dass alle vier Mitstreiter möglichst unverstellt auftreten. Im „Literarischen Quartett“wird also dieselbe Thea Dorn sitzen, die sonst auf öffentlichen Podien sitzt: begeisterungsfähig und – wenn es sein muss – auch mal streng, aber immer darum bemüht, fair und genau zu argumentieren.
Sie haben Erfahrung mit der Moderation von Literatursendungen, sind aber auch Schriftstellerin. Sie kennen also beide Seiten. Auf welcher fühlen Sie sich wohler?
Auch wenn ich mich jetzt wieder ins Fernsehen begebe: Ich bin und bleibe Schriftstellerin. Schreiben ist mein eigentlicher Beruf, mein Weg, mich mit mir und der Welt auseinanderzusetzen. Wenn ich eine Weile nicht an den Schreibtisch komme, werde ich erst unruhig, dann schwermütig. In früheren Zeiten oder in anderen Ländern wie Frankreich und den USA war oder ist es allerdings selbstverständlich, dass Schriftsteller auch öffentlich über die Bücher von Kollegen reden. So gesehen verstehe ich mich eher in dieser Tradition, als dass ich Anspruch darauf erheben würde, „Kritikerin“zu sein.
Haben Sie schon mal bereut, wie Sie mit dem Buch eines schreibenden Kollegen umgegangen sind?
Bislang habe ich ja vor allem „Literatur im Foyer“moderiert, eine Sendung, in der Autoren mit ihren Büchern Gast gewesen sind. Da stellt sich diese Frage weniger. Ein einziges Mal in meinen elf Jahren beim SWR habe ich es nicht geschafft, das Buch eines Kollegen so gründlich zu lesen, wie ich es hätte tun wollen und sollen. Das tut mir bis heute leid.
Was für eine Art von Literatur mögen Sie als Leserin?
Das ist pauschal schwer zu beantworten: Ich liebe Werke, die einen echten Glutkern besitzen – bei denen ich spüre, dass der Autor um etwas gerungen hat. Werke, die mich dazu bringen, die Welt mit anderen Augen zu sehen, oder aber Werke, die mich so in ihren Bann ziehen, dass ich alles um mich herum vergesse. Was das Genre angeht, bin ich nicht festgelegt: Ein Thriller wie „Das Schweigen der Lämmer“ist nicht minder große Literatur, als Eichendorff-Gedichte spannend sind.
Welches sind die drei, vier Bücher, die Sie in Ihrem Leben immer mal wieder gelesen haben?
Homers „Ilias“, Goethes „Faust“, Flauberts „Madame Bovary“, Kafkas „Die Verwandlung“. Alle vier Werke sind mir in meiner Kindheit oder Jugend zum ersten Mal begegnet, alle vier entdecke ich immer wieder aufs Neue. Elias Canettis „Die Blendung“ist vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren einer meiner absoluten Lieblingsromane gewesen. Als ich ihn unlängst wieder aus dem Regal genommen habe, musste ich feststellen, dass er mir leider überhaupt nichts mehr sagt.
Die Verlagsbranche pumpt jedes Jahr Zigtausende Titel auf den Markt, die meisten sind nach kurzer Zeit vergessen. Hat es anspruchsvolle Literatur heute immer schwerer – oder wird sie überhaupt nicht mehr wahrgenommen?
Ich fürchte, das ist so. In den letzten 200 Jahren hat sich die literarische Welt mehr und mehr zum reinen Buchmarkt hin entwickelt. Die alte Bundesrepublik und auf verwinkeltere Weise auch die DDR waren nochmals Refugien, in denen das klassische deutsche Bildungsbürgertum mit seinen sorgsam gefüllten Bibliotheken überwintern konnte. Eine ältere Buchhändlerin hat mir erzählt, dass sie selbst vor 20 Jahren noch einen festen Kundenstamm hatte, der bei ihr alle Halbjahr einfach die zehn Neuerscheinungen bestellt hat, von denen sie überzeugt war, dass jeder Literaturfreund sie gelesen haben müsse. Diese Zeiten scheinen nun allerdings endgültig vorbei zu sein.