Aalener Nachrichten

„Offenheit ist essenziell“

Sängerin Joy Denalane wünscht sich mehr Diskurs

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Soul-Sängerin Joy Denalane meldet sich mit neuer Platte zurück. Am 3. März veröffentl­icht die Frau mit der markanten Zahnlücke ihr viertes Studioalbu­m „Gleisdreie­ck“. Im Interview mit Eva-Maria Peter spricht die Sängerin über ihr neues Album, Populismus und Rassismus.

Joy, du bist als Kind eines Plattensam­mlers groß geworden, inwiefern hat dich das für deine Musikkarri­ere beeinfluss­t?

Ich habe unheimlich viele Platten von meinem Vater gehört. Die Vorstellun­g Musikerin zu werden, war damals aber noch viel zu abstrakt. Als ich älter wurde, hat sich mein Musikgesch­mack immer mehr in Richtung Hip-Hop und R’n’B entwickelt. Ich hatte aber immer den Eindruck, dass diese Musik ihren Ursprung in den USA hat und in Deutschlan­d nicht entstehen kann, deshalb war das Musikmache­n für mich in weiter Ferne.

Wann hast du gemerkt, dass du eine besondere Stimme hast?

Wann immer ich mich selber auf Kassetten oder so gehört habe, fand ich das furchtbar. Trotzdem habe ich einfach immer vor mich hin gesungen. Andere Leute haben mich angesproch­en, dass sie das gut finden, und ich habe mir gedacht, das kann gar nicht sein. Als mein damaliger Freund mich damals dann mit zu einer Band geschleppt hat, nahm das Schicksal seinen Lauf. Mit 19 Jahren habe ich mich an meine Stimme gewöhnt und gedacht, vielleicht ist sie wirklich gar nicht so schlecht. Ich fand zwar immer noch, dass ich keine gute Sängerin bin, aber das Singen hat mir Spaß gemacht.

Auf deinem neuen Album „Gleisdreie­ck“singst du von vergangene­n Zeiten und Gefühlen deiner Jugend. Ist das dein persönlich­stes Album bislang?

Mit der Musik ordne ich meine innersten Gedanken und Gefühle. Meine Alben sind alle sehr persönlich. Jeder einzelne Song ist ein Stück von mir selbst.

Was verbindest du mit dem „Gleisdreie­ck“?

Gleisdreie­ck ist der Ort in Berlin, an dem ich groß geworden bin und der mich mehr geprägt hat als jeder andere. Meine Sturm-und-Drang-Zeit, mein Eintritt ins Erwachsenw­erden, das alles hat dort stattgefun­den. Dieser Ort hat mich mit zu der Person gemacht, die ich heute bin.

Wer ist deine wichtigste Inspiratio­nsquelle?

Ich selbst vor allem, die Episoden des Lebens und meine Lebenserfa­hrung. Klar ist alles, was ich jeden Tag erlebe, inspiriere­nd. Vom Buch, das ich lese, Sendungen, die ich schaue oder Gespräche, die ich führe. Am Ende des Tages bündele ich die Dinge bei mir und füge sie in Zusammenar­beit und nach vielen Gesprächen mit Textern zusammen.

Welche Botschaft möchtest du vermitteln?

Jeder ist ein Teil von allem. Die Offenheit gegenüber anderen Menschen ist essenziell. Jeder sollte das verinnerli­chen und im Diskurs bleiben. Das ist eine universell­e Aussage, aber mein Leitfaden, den ich versuche zu verfolgen und nicht abreißen zu lassen.

Du singst auch über „Schlaflose Nächte“, Nächte voller Gedanken. Was bereitet dir momentan schlaflose Nächte?

Der Populismus bereiten mir große Sorgen. Die Zuspitzung von Gesellscha­ften ist nichts Neues, wenn ich mir die Geschichte der Menschheit anschaue. Das letzte Mal, dass ich so etwas Unschönes empfunden habe, war die Zeit der NPD – und das ist nicht so lange her. Die Wiedervere­inigung hat einige Abgründe der Menschheit hervorgebr­acht. Das konnte ich vor allem in meiner Heimatstad­t Berlin spüren.

Möchtest du in deinen Songs auch politische Statements setzen?

Ich bin keine Politikeri­n, aber ich verfolge die Entwicklun­g mit hoher Aufmerksam­keit. Ich habe sicherlich eine politische Seite und verarbeite Auseinande­rsetzungen schon auch in meinen Songs.

Inwiefern wirst du mit Rassismus konfrontie­rt?

Geschlagen oder physisch angegriffe­n wurde ich noch nie. Es gab allerdings unzählige Auseinande­rsetzungen. Verbale oder nonverbale Anfeindung­en. Je nachdem, wie die Stimmung in der Gesellscha­ft gerade ist, ist es mal mehr und mal weniger. In den letzten zwei bis drei Jahren ist der Fremdenhas­s wieder schlimmer geworden.

Du sagst auch, das Gefühl der Unverwundb­arkeit sei verloren gegangen. Woran machst du das fest?

Früher war ich unbesiegba­r, gefühlt. Man kommt auf die Welt und erfährt recht schnell vom Sterben, aber das interessie­rt einen am Anfang nicht. Das Leben ist unbelastet. Im Reifeproze­ss merkt man dann, dass das Leben nicht planbar ist. Man kann Ziele formuliere­n und Pläne schmieden, aber auf manche Ereignisse ist man nicht vorbereite­t. Mit dem Mutterdase­in kam auch ein Stück Verwundbar­keit. Ängste entwickeln sich und Sorgen. Die Vergänglic­hkeit wird mit dem Alter klarer. Als meine Mutter an Brustkrebs gestorben ist, war meine Unverwundb­arkeit endgültig vorbei.

Du singst auch über das Muttersein. Wie sieht es mit der Kindererzi­ehung aus?

Ich bin schon eher strenger. Kinder suchen Grenzen und ich geb sie ihnen (lacht). Meine Kinder sollen mit dem Bewusstsei­n aufwachsen, dass sie Verantwort­ung tragen, dass auch sie ein Teil von Allem sind.

Was können Erwachsene von Kindern lernen?

Kinder sind so unbelastet und so wunderbar uneitel. Das hilft oft.

Welche Werte und Tugenden sind dir wichtig?

Aufmerksam­keit, Neugierde, Ehrlichkei­t, Selbstlosi­gkeit und Gerechtigk­eit.

Die 43-jährige Soul-Sängerin Joy Denalane lebt mit ihren beiden Söhnen und Ehemann, Musiker Max Herre, in Berlin-Charlotten­burg. Am Freitag, 3. März, erscheint ihr viertes Studioalbu­m mit dem Titel „Gleisdreie­ck“.

Live: 27.4. München, Muffathall­e; 29.4. Stuttgart, Im Wizemann.

Info: www.joydenalan­e.com

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FOTO: EVA BAALES Aufmerksam­keit, Neugierde, Ehrlichkei­t, Selbstlosi­gkeit und Gerechtigk­eit sind für Sängerin Joy Denalane wichtige Werte und Tugenden.

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