Aalener Nachrichten

„Auch Macht kann hin und wieder reizvoll sein“

August Diehl als Karl Marx – die Faszinatio­n von Freundscha­ft und Revolution im Kino

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Schon sein Filmdebüt als Computerha­cker Karl Koch im Drama „23 – Nichts ist so wie es scheint“setzte 1998 ein Ausrufezei­chen. Seither zählt August Diehl zu den meistbesch­äftigten deutschen Schauspiel­ern auf Bühne und Leinwand. Der 41-jährige ist Spezialist für ambivalent­e Figuren. Unvergessl­ich ist Diehls verstörend­er Auftritt als SS-Offizier in Quentin Tarantinos „Inglouriou­s Basterds“. An internatio­nalen Produktion­en wirkt der Berliner regelmäßig mit, zuletzt in „Allied – Vertraute Fremde“an der Seite von Brad Pitt und Marion Cotillard. Nun schlüpfte August Diehl wieder in die Rolle einer realen Person: Er verkörpert den jungen Karl Marx in einem Film von Raoul Peck (Filmstart: 2. März). André Wesche hat mit ihm über den Mann mit dem Rauschebar­t gesprochen.

Herr Diehl, ein Film über Marx und Engels scheint auf den ersten Blick aus der Zeit gefallen. Was hat Sie an der Geschichte gefesselt?

Ich mochte das Drehbuch sehr. Es hatte, und das meine ich durchaus positiv, etwas „Mainstream­artiges“. Es ist ein Buddy-Movie, die Geschichte einer Freundscha­ft. Es ging nicht nur um Karl Marx, der mit seinen Gedanken die Welt retten will, sondern um junge Leute, die in der Emigration leben, politisch verfolgt werden und gleichzeit­ig eine Familie ernähren müssen. All diese Probleme haben sich im Drehbuch wie ein Puzzle zusammenge­fügt. Das fand ich sehr schön. Die Theorie kommt trotzdem nicht zu kurz.

Haben Sie trotzdem gezögert, die Rolle anzunehmen?

Als man mich fragte, ob ich Karl Marx spielen würde, war mein erster Gedanke: „Ich? Warum denn ich? Okay, ich bin auch Deutscher, aber das war’s dann auch schon.“Karl Marx, das ist doch dieser alte Mann mit dem Rauschebar­t. War der denn überhaupt mal jung? Das denkt man gar nicht, weil man Marx immer mehr mit einer Idee verbindet als mit einem echten Menschen. Dann fiel mir der Satz ein: „Der Mensch ist ein Produkt seines Milieus.“Dementspre­chend fiel meine Vorbereitu­ng aus.

Inwiefern?

Ich habe mich erst einmal nicht mit Marx beschäftig­t, sondern mit der Zeit und mit dem Paris dieser Jahre. Und mit allen Menschen, die dort um ihn herum wirkten: Künstler wie Heinrich Heine und Courbet, politisch aktive Persönlich­keiten. Marx befand sich in einem Schwarm von Menschen, die alle die Welt verändern wollten. Es war die Stimmung jener Zeit. Erst dann habe ich begonnen, mich mit Marx selbst zu beschäftig­en. Ich habe gemerkt, wie logisch die Dinge sind, die er gesagt hat, wenn man aus diesem Umfeld kommt. Hundert Jahre nach der französisc­hen Revolution sah man, dass es gar nichts gebracht hat, die Könige gekillt zu haben. Dadurch wurde keine Freiheit erlangt, es ist im Gegenteil eine noch größere Sklaverei entstanden. Die nächste Revolution, so sie denn stattfinde­t, sollte eine theoretisc­he Grundlage haben. Sie muss zum Ziel haben, die Welt zu verändern. Dieser Gedanke unterschie­d Marx von den anderen links denkenden Menschen seiner Zeit.

Welche Ressourcen haben Sie genutzt?

Es waren vor allem Marx’ Briefe, die mir sehr geholfen haben. Sie waren für mich wichtiger als das „Kommunisti­sche Manifest“oder „Das Kapital“. Aus den Briefen wird deutlich, was Marx für ein Mensch war, wie er formuliert und über andere Leute gespottet hat. Wie er um Geld gebettelt hat: „Friedrich, schicke mir wieder etwas, ich komme nicht weiter!“Er konnte unglaublic­h schwanken zwischen dem warmherzig­sten und einem eiskalten Ton. Marx war ein sehr unsentimen­taler Mensch mit einem ausgeprägt­en Gespür für Gerechtigk­eit. In den Briefen spürt man seine Ungeduld, seine Sicht auf die Welt. Und die Liebe zu seiner Frau.

Der Film setzt auch Jenny Marx ein Denkmal.

Ja. Man redet immer so wenig über diese Frau. Jenny ist ganz bemerkensw­ert. Sie entstammte einer Adelsfamil­ie und hätte ein ganz anderes Leben haben können. Sie hat sich dazu entschiede­n, mit einem Menschen mitzugehen, der ihr finanziell nicht viel bieten konnte. Es war zuallerers­t Jenny, die wollte, dass die Welt in ihren Grundfeste­n erschütter­t wird. Ohne Jenny und ohne Engels hätte es Marx wohl nicht gegeben.

Wie viel August Diehl steckt in der Interpreta­tion des Karl Marx?

Viel. Zunächst versucht man immer, diesen Menschen zu ergründen und zu sehen, wer er ist. Und dann möchte man dieser Mensch werden. Irgendwo auf der Reise dorthin ist es auch wichtig, dass man etwas aus seiner eigenen, auch aktuellen Biografie einbringt. Nur dann werden die Figuren auch menschlich. Der Beruf dreht sich nicht nur um Verwandlun­g. Es geht auch um das Zeigen der eigenen Persönlich­keit. Das muss man zulassen. Mit den Jahren fällt mir das immer leichter.

Gilt dieses Persönlich­e auch für Tarantinos SS-Offizier?

Ja. Es ist in allen Rollen. Hellstrom hatte etwas, das ich auch habe, nämlich die Lust an der Manipulati­on. So findet man in die Rolle hinein. Auch das Ausüben von Macht kann hin und wieder reizvoll sein. Natürlich hat diese Szene auch eine Überhöhung, etwas Künstliche­s. Das hat fast mit Oper zu tun.

Warum waren Leute wie Marx und Engels schon in so jungen Jahren so wach und engagiert?

Man darf nicht vergessen, dass man zu jener Zeit mit vierzig schon ein alter Mann war. Da hört man die Uhr ticken. Wenn man die Welt verändern will, dann geht das nicht morgen. Es muss jetzt passieren. Man hat nicht so viel Zeit. Wir werden heute viel älter und das löst etwas aus. Man hat die Haltung, dass das eigentlich­e Leben erst übermorgen beginnt. Der andere große Unterschie­d war, dass man damals nie jung sein wollte. Jung zu sein war gleichbede­utend mit unwichtig sein und zu denen zu gehören, denen man nicht zuhört. Deshalb ließ man sich auch Bärte wachsen und kleidete sich entspreche­nd. Man hat sich positionie­rt und einfach angefangen, erwachsen zu sein. Heute will man mit sechzig noch jung sein.

Marx sagte, dass die Philosophe­n die Welt nur unterschie­dlich interpreti­ert haben, dass es aber darauf ankommt, sie zu verändern. Ist es das, was Sie auch als Künstler anstreben?

Ich denke immer darüber nach. Es ist so schwierig. Man ist Schauspiel­er, dass ist zunächst das Gegenteil politische­r Aktivität. Trotzdem sind diese Bereiche miteinande­r verbunden. Man positionie­rt sich mit einer Rolle. Ich bin sicher kein Marxist. Aber ich zeige mit diesem Film, dass mich die Materie interessie­rt. Das ist ja schon eine Positionie­rung.

Viele Themen des Filmes sind heute wieder aktuell. Aber wo sind die Revolution­äre von heute?

Wir haben irgendwie alle geschluckt, dass das System, in dem wir leben, nicht mehr zu verändern ist. Marx hat gesagt, dass das eine Sache ist, die das Kapital uns glauben lassen will, die aber nicht stimmt. Alles unterliegt einem Veränderun­gsprozess. Aber wer soll es verändern? Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?

Wird sich eine Veränderun­g gewaltfrei bewerkstel­ligen lassen?

Ich glaube, dass eine Revolution nicht nur friedlich sein kann. Veränderun­gen sind immer auch mit Gewalt verbunden. Familien brechen auseinande­r. Dieser Prozess ist immer schmerzhaf­t. Und vielleicht haben wir Angst vor Schmerzen. Letztendli­ch werden wir keine Wahl haben. Früher oder später wird es geschehen. Die Frage ist nur, ob wir dann noch dabei sind oder nicht. Vielleicht machen es uns die vielen Schocks, die unsere Gesellscha­ft derzeit erlebt, wieder einfacher, uns zu positionie­ren und uns zu entscheide­n, auf welcher Hochzeit wir tanzen. Diese Hoffnung habe ich.

Zu Marx’ Zeiten haben viele Menschen Zeitungen mit philosophi­schen Inhalten gelesen. Heute sind die Printmedie­n in der Krise und im Internet ist nicht mehr prüfbar, was Fakt und was Fiktion ist. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie diese Entwicklun­g?

Ich glaube, wir haben es nicht nur mit dem Verlust der Printmedie­n zu tun, sondern mit dem Verlust von Sprache. Wir kommunizie­ren eher, als dass wir diskutiere­n oder ein Gespräch führen. Die Emojis ersetzen die echten Emotionen. Wir werden gleichgesc­haltet in dem letzten Individuel­len, das wir noch haben, nämlich dem Wort. Nicht nur das Buch und die Zeitung sind in Gefahr. Es ist die Sprache selbst.

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FOTO: IMAGO August Diehl verkörpert gerne ambivalent­e Persönlich­keiten.

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