Ausverkauf einer Insel
Seit auch US-Touristen kommen, quillt Kuba über – Die Nachfrage nach Hotelbetten und Mietwagen übersteigt das Angebot
Wer dieser Tage von der Uferpromenade Malecón auf die Bucht von Havanna blickt, kann bis zu dreimal die Woche große Kreuzfahrtschiffe sehen, die auf den Hafen der kubanischen Hauptstadt zusteuern. An Bord sind bis zu 2000 Passagiere, meist Rentner aus den USA, die sich dann in die ohnehin von Touristen überlaufene Innenstadt ergießen. Das Bild der Kreuzfahrtschiffe in Havanna ist relativ neu, erst seit 2015 steuern sie die kommunistische Karibikinsel wieder an. Im Mai 2016 machte nach mehr als 50 Jahren wieder das erste Kreuzfahrtschiff aus den USA in Havanna fest.
Man kann darin eine Zeitenwende sehen. Denn zu dem Bild der vielen Kreuzfahrtschiffe gehört ein anderes: das der weniger werdenden Öltanker, die man vor Kubas Küste sieht. Jahrelang schickte der große Bruder und engste Kooperationspartner in Venezuela bis zu 115 000 Fass Öl pro Tag zum Vorzugspreis nach Kuba. Das schwarze Gold aus Venezuela war der Treibstoff, der die stets klamme kubanische Wirtschaft so gerade am Laufen hielt. Aber nun sendet Caracas nur noch die Hälfte an Rohöl, weil das Land selbst dem wirtschaftlichen Kollaps nahe ist. Die Folge lässt sich an einer simplen Statistik absehen: Kuba fiel in die Rezession, die Wirtschaft schrumpfte vergangenes Jahr um 0,9 Prozent.
Als Reaktion setzt die Führung in Havanna einen Plan um, den sie mindestens verfolgt, seit der damalige US-Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro 2014 das Ende der Eiszeit zwischen beiden Staaten verkündeten. Die USA und vor allem der Tourismus von dort sollen die fehlende Unterstützung aus Venezuela ersetzen: Touristenstatt Petro-Dollar. Ein gewagtes Unterfangen, nicht nur wegen politischer Unwägbarkeiten in Washington, sondern vor allem auch deshalb, weil die kommunistische Karibikinsel für Massentourismus weder die Infrastruktur hat, noch die Kubaner nach 50 Jahren Sozialismus wissen, wie eine serviceorientierte Tourismusindustrie funktioniert.
Schon jetzt herrscht beim PreisLeistungsverhältnis eine dramatische Schieflage. Die Hotel-Preise haben sich verdoppelt bis verdreifacht: 350 bis 450 Euro pro Nacht sind in Havanna keine Seltenheit. Dafür bekommt man ein Drei-Sterne-Bett, ein Zwei-Sterne-Büffet und einen EinSterne-Service sozialistischer Prägung. Dazu lange Schlangen vor Museen, Jazz-Clubs und privaten Restaurants und ein Internet wie vor 20 Jahren. Dennoch stürmen die Urlauber die Insel.
Denn Kuba hat den konkurrenzlosen Museumsfaktor: die alten Autos, das Morbide, das in der Zeit Stehengebliebene. Und gerade die US-Touristen sind so froh, Kuba noch einmal sehen zu dürfen, dass sie bereit sind, jeden Preis zu zahlen, bevor vielleicht bald doch Burger King, Starbucks und derlei Ketten mehr die Insel kapern.
Kuba platzt schon jetzt aus allen Nähten. So mehren sich die Regressforderungen der Urlauber bei den Reiseveranstaltern, wenn das zugesicherte Bett belegt war und der bestellte Mietwagen leider gerade kaputt ist. Havanna, aber auch Viñales, Trinidad und Santiago sind belagert von Urlaubern aller Hautfarben. Und nur weil die Regierung Privatunterkünfte zulässt, kann die Insel all die Menschen überhaupt beherbergen.
Aber die Führung in Havanna setzt ungezügelt auf den Tourismus, der längst Haupteinnahmequelle Kubas ist. Im Januar kamen noch mal 15 Prozent mehr Urlauber auf die Museumsinsel als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Vor allem immer mehr US-Urlauber stürmen Kuba. 285 000 waren es im vergangenen Jahr. Ein Plus von 74 Prozent. Sie halfen, dass Kuba im 57. Jahr der Revolution zum ersten Mal mehr als vier Millionen Touristen begrüßte. Aber vier Millionen Touristen bringen ein Land mit elf Millionen Einwohnern an den Rand des Zusammenbruchs.