Opposition fordert Auftrittsverbote
Bundesverfassungsgerichts-Beschluss verstärkt Streit um türkische Wahlkampftermine
BERLIN/RAVENSBURG - Nach der Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlkampfterminen türkischer Politiker in Deutschland wächst der Druck auf die Bundesregierung. Seitens der Opposition wird der Ruf nach Verboten solcher Auftritte laut.
„Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass es kein Grundrecht für ausländische Regierungsmitglieder gibt, in Deutschland einen Werbefeldzug für eine Diktatur durchzuführen“, erklärte LinkenParteichef Bernd Riexinger am Freitag. „Die Bundeskanzlerin kann die im großen Stil geplanten öffentlichen Auftritte für die Errichtung einer Diktatur nicht weiter stillschweigend hinnehmen, sie darf und muss sie verhindern.“Grünen-Innenexperte Volker Beck sagte der „Schwäbischen Zeitung“, der Beschluss gebe der Bundesregierung Handlungsspielräume für eine klare Kante gegenüber Ankara in dieser Frage: „Wahlkampf zur Schwächung der türkischen Demokratie durch türkische Regierungsmitglieder ist in Deutschland unerwünscht, das sollte die Kanzlerin Ankara unmissverständlich klarmachen.“Noch deutlicher wurde der FDP-Chef. „Die Bundesregierung macht bewusst von ihren Möglichkeiten keinen Gebrauch, die Werbung für eine autoritäre Türkei bei uns zu unterbinden“, sagte Christian Lindner der „Heilbronner Stimme“. Sie sei „in der Pflicht, ihre laxe Haltung abzulegen“.
Dagegen lehnt SPD-Außenpolitiker Niels Annen Auftrittsverbote für türkische Politiker ab. „Ich halte ein Einreiseverbot aber für den falschen Weg“, so Annen. „Unsere Demokratie ist stark genug, Meinungsäußerungen auszuhalten, mit denen wir nicht einverstanden sind.“
Zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer abgewiesenen Verfassungsbeschwerde erklärt, dass weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern einen Anspruch gebe, nach Deutschland zu reisen, um amtliche Funktionen auszuüben.
Die Bundesregierung erklärte jedoch noch am Freitag, auch nach dem Karlsruher Beschluss keine Einreiseverbote zu verhängen.
RAVENSBURG - Im Streit um das Verbot von Wahlkampf-Auftritten türkischer Regierungsmitglieder lässt das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung freie Hand. In der Begründung einer abgewiesenen Verfassungsbeschwerde stellen die Karlsruher Richter klar, dass die Bundesregierung das Recht habe, solche Auftritte in Deutschland zu verbieten. Im Gespräch mit Alexei Makartsev erklärt der Staatsrechtler Christian Pestalozza von der FU Berlin (Foto: Ulrich Dahl, FU Berlin), was diese Regelung bedeutet.
Muss die türkische Regierung jetzt die Bundesregierung um Erlaubnis für alle geplanten Wahlkampfauftritte in Deutschland bitten?
Jedenfalls darf die türkische Regierung nicht ohne die stillschweigende Billigung der Bundesregierung ihre Mitglieder entsenden. Das Bundesverfassungsgericht hat nichts Neues erfunden, sondern darauf hingewiesen, dass ausländische Amtsträger keinen Anspruch haben, auf deutsches Gebiet einzureisen und hier aufzutreten. Das galt auch vorher.
Muss diese Erlaubnis ausdrücklich erfolgen?
Nein, es reicht eine stillschweigende Zustimmung. Unter befreundeten Staaten unterrichtet man die Regierung des Gastlandes davon, dass man kommt und was man vorhat. Das ist deshalb schon notwendig, weil ausländische Politiker geschützt werden müssen. Und so sollte es auch zwischen Deutschland und der Türkei sein. Die Wünsche der Besucher werden dann mit den Wünschen des Gastlandes abgestimmt. In welche Richtung diese Wünsche gehen, haben die letzten Äußerungen der Kanzlerin deutlich gemacht.
Auf welcher rechtlichen Grundlage könnte die Bundesregierung zu einem geplanten Besuchs- und Redewunsch eines ausländischen Politikers Nein sagen?
Die rechtliche Grundlage ergibt sich aus der Souveränität des Staates auf seinem Territorium. Jeder souveräne Staat hat das Recht, auch ohne Begrün- dung einem Mitglied einer anderen Regierung die Einreise zu verweigern. Natürlich geht er damit ein politisches Risiko ein. Es gab ja den Fall, dass die Bundestagsabgeordneten nicht zum Besuch der Bundeswehrsoldaten in die Türkei reisen durften. Darüber brachen die deutschen Politiker nicht in Freude aus. Das war ein unfreundlicher Akt der Türkei, aber keine Rechtsverletzung.
Kann die türkische Regierung nun eine Pauschalerlaubnis für alle geplanten Auftritte ihrer Mitglieder in Deutschland erbeten – und kann diese in Berlin erteilt werden?
Ja. Das wäre auch fair, wenn man vorhat, eine große Gruppe zu vielen Veranstaltungen zu schicken, dass man vorher das „Gesamtpaket“ankündigt. Die Bundesregierung kann aber eine Zusage nur unter Vorbehalt machen, dass es am Tag und Ort eines Auftritts aufgrund von konkreten Ereignissen anders entschieden werden kann und muss, etwa wegen Gefahr für öffentliche Sicherheit. Dann kann die Veranstaltung mit Auflagen versehen oder gar verboten werden.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrifft Politiker in amtlicher Funktion. Könnte ein türkischer Minister, rechtlich gesehen, auf einer privaten Reise öffentlich für das Referendum werben?
Die Reise eines Politikers kann privat sein, aber wenn es um eine politische Werbeveranstaltung geht, kann man kaum glaubhaft machen, dass man als eine Privatperson teilnimmt. Denn man wird auf solch eine Veranstaltung als Amtsträger eingeladen.
Wer muss beurteilen, ob ein solcher Politikerauftritt privat oder in einer offiziellen Funktion erfolgt?
Das ist die Aufgabe der Bundesregierung. Wenn ein Politiker darauf bestehen würde, dass er rein privat kommt, und die Bundesregierung dem jedoch nicht zustimmt, bleibt der Gang vor Gericht.
Hat ein ausländischer Politiker das Recht, unabhängig von einer Erlaubnis der Bundesregierung etwa auf dem Gelände seiner Botschaft, die exterritoriales Gebiet ist, politische Reden zu halten?
Ja, weil die Botschaft rechtlich Ausland ist. Die Souveränität des Aufenthaltsstaates findet hier Grenzen. Aber unter befreundeten Staaten würde man solche Auftritte anzeigen, weil sie zur Reiseroute gehören.