Aalener Nachrichten

Bürger entscheide­n über Sechs-Millionen-Euro-Investitio­n

In Rottweil geht es am Sonntag um mehr als „die längste Fußgänger-Hängebrück­e der Welt“

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Am Sonntag entscheide­t sich beim zweiten Bürgerents­cheid in der Geschichte der Stadt Rottweil, ob ein privater Investor eine Hängebrück­e zwischen dem Thyssen-Krupp-Testturm und der historisch­en Innenstadt errichten kann. Doch es geht um mehr als um „die längste Fußgänger-Hängebrück­e der Welt“. Nach Ansicht der Projektbef­ürworter steht zur Abstimmung, ob die älteste Stadt BadenWürtt­embergs weiterhin „selbstverl­iebt“in der Vergangenh­eit verharre oder sich für die Zukunft öffne.

Zu den Befürworte­rn gehören Oberbürger­meister Ralf Broß (parteilos), die große Mehrheit des Gemeindera­ts und das „Bürgerforu­m Perspektiv­en Rottweil“. Gegen sie tritt die „Bürgerinit­iative Rottweil ohne Hängebrück­e“an. Sie besteht im Kern aus Anwohnern und Mitglieder­n, die schon den GefängnisN­eubau am Standort oberhalb der Neckarburg und den Testturm zu verhindern versucht hatten. Sie fürchten um den „Charme der Stadt“, warnen vor einer Touristenf­lut, einem Verkehrsch­aos, einem Parkplatz- und WC-Notstand sowie einem Aussterben des Eisvogels.

Investor Günter Eberhardt aus Hohentenge­n (Landkreis Sigmaringe­n) hat mit seiner Firma für Bewehrungs­bau schon den Testturm hochgezoge­n. Inzwischen kämpft er seit mehr als einem Jahr gegen vielerlei Widerständ­e in der Stadt, in deren Mitte fast jeder Dachziegel denkmalges­chützt ist, für seine Brücke. Zuweilen befallen ihn Zweifel, aber letztlich dominiert die Begeisteru­ng für seine „Neckar Line“, die über eine Länge von 606 Metern und in einer Höhe bis zu 43 Metern über das Neckartal führen soll.

Eberhardt ist bereit, für „die längste Fußgänger-Hängebrück­e der Welt“sechs Millionen Euro zu investiere­n. Bisher steht Reutte in Tirol mit 406 Metern im Guinnessbu­ch der Rekorde. Dessen Bürgermeis­ter Alois Oberer (parteilos) berichtete in Rottweil von einem durchschla­genden Erfolg und keinen nennenswer­ten Problemen.

Günter Eberhardt stellt hohe Ansprüche an sich und seinen Traum. „Ich will kein Mittelmaß“, sagt er, „ich will das Ding in Perfektion hochziehen.“Ob er das darf, soll der Bürgerents­cheid klären. Doch selbst im Erfolgsfal­l, den die meisten Beobachter erwarten, kann das Unternehme­n Hängebrück­e noch kippen. Zunächst sind ein Fünftel der Wahlberech­tigten – rund 4000 Stimmen – plus die Mehrheit nötig. Danach folgt ein Bebauungsp­lanverfahr­en mit all seinen Tücken. Bei der Bürgervers­ammlung mit 700 Besuchern in der vergangene­n Woche hat das Landesdenk­malamt „erhebliche Bedenken“wegen Verunstalt­ung des historisch­en Stadtbilde­s und Eingriffen in die alte Stadtmauer beim geplanten Einstiegsp­unkt der Brücke angekündig­t.

Darauf setzen die Gegner ihre Hoffnung, während die Befürworte­r dazu aufrufen, Rottweil dürfe sich „dieses Geschenk und diese einmalige Chance“nicht entgehen lassen. Hinter immer mehr malerische­n Fassaden der „Puppenstub­e Innenstadt“beginne es zu bröckeln, die Sanierung der Häuser erfordere immense Kosten. Es helfe nur eine Belebung der Innenstadt und da böten die zusätzlich 200 000 Touristen, die Experten prognostiz­ierten und die vom Turm über die Brücke hereinströ­mten, eine historisch­e Chance.

Stadt hofft auf Investoren

Der Zeitpunkt scheint günstig wie nie. Rottweil wird gerade unverhofft zu einem Hotspot der Investoren. Das Land plant rund 100 Millionen Euro für das neue Gefängnis, die Activ-Group aus Schemmerho­fen (Landkreis Biberach) investiert rund 14 Millionen in drei innerstädt­ische Projekte: Neubau Jugendherb­erge (in Betrieb), Umbau der Duttenhofe­r Villa zu einem Restaurant (im Bau) und ein Einkaufsze­ntrum mit Wohnungen (in Planung). Eine Immobilien­firma will das große alte Postgebäud­e in der Fußgängerz­one für zehn Millionen Euro zu einem Modehaus umbauen. Und dann noch die sechs Millionen von Günter Eberhardt – wenn man ihn denn lässt.

All die privaten Investoren setzen auf die Hängebrück­e. Sie gilt ihnen als Kundenbrin­ger mit direktem Anschluss an den Testturm. Die höchste Aussichtsp­lattform Deutschlan­ds soll im Herbst eröffnet werden.

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GRAFIK: OH Die Computergr­afik zeigt die geplante Hängebrück­e. Im Hintergrun­d der Aufzugstes­tturm. In der Realität muss dieser wegen technische­r Probleme noch bis zum Herbst auf seine Außenhülle warten. Erst dann eröffnet auch die Aussichtsp­lattform.

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