Aalener Nachrichten

Glücksfall Gauck

Heute Abend wird der Bundespräs­ident aus dem Amt verabschie­det

- Von Christoph Plate

Dass ein Bundespräs­ident wenig zu sagen habe, dass er getrieben sei vom Protokoll und dem Zwang zur Höflichkei­t, ist eine Mär. Spätestens seit Richard von Weizsäcker und Roman Herzog ist klar geworden, dass die Limitierun­gen des Amtes, das steife Zeremoniel­l nur die äußere Hülle sind, die mit viel Inhalt gefüllt werden kann. Ein Bundespräs­ident kann sich einmischen, nicht in die Tagespolit­ik, sondern ins Grundsätzl­iche. Er kann sagen, was eine Kanzlerin oder ein Minister aus politische­n Gründen oft im Moment nicht sagen können oder dürfen.

Dieses Privileg des Bundespräs­identenamt­es hat Joachim Gauck, der parteilose Pastor aus dem Osten, immer wieder genutzt. Lange vor Flüchtling­sdeals und Präsidialr­eferenden hat Gauck den damaligen türkischen Ministerpr­äsidenten Recep Tayyip Erdogan bereits in seiner ganzen argumentat­iven Schlichthe­it vorgeführt. Bei einem Staatsbesu­ch 2014 in der Türkei hat der deutsche Mann des Glaubens jenem Mann, der seinen Glauben immer wieder betont, eine öffentlich­e Vorlesung über sein Leben in einer Diktatur gegeben und die Türkei vor dem Weg in ebendiese gewarnt. Erdogan war außer sich und geiferte, Gauck blieb ruhig und legte ein Jahr später mit einer Rede zum Völkermord an den Armeniern noch einmal nach.

Wie wichtig Gauck war, wurde dann besonders deutlich, wenn es mal lange dauerte, bis er sich zu einem Thema zu Wort meldete. Hatte er in den Monaten nach der Amtsüberna­hme von Christian Wulff erst einmal seine Rolle finden müssen, so dauerte es auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise ungewöhnli­ch lange, bis er sich meldete. Und was er sagte über die endlichen Ressourcen, war dann nicht im Sinne der euphorisie­rten Flüchtling­shelfer. Gauck hat im Amt Empathie und Unbequemli­chkeit kunstvoll miteinande­r verbunden.

An den Menschen interessie­rt

Er liebt die Debatte und die gepflegte Auseinande­rsetzung. Ob bei einem Hintergrun­dgespräch im Schloss Bellevue oder beim Austausch mit Bürgern bei einem Sommerfest vermittelt der heute 77-Jährige den Menschen das Gefühl, er sei an ihnen und ihren Geschichte­n interessie­rt. Manche Beobachter haben das Pastorale an ihm kritisiert. Doch das verschwind­et sehr schnell, wenn keine Kameras in der Nähe sind. Gauck wirkt viel gelöster, wenn er nur Staatsmann ist und nicht auch noch Geistliche­r sein muss.

Dem Theologen, der sich in der DDR irgendwie arrangiert hat, ohne der radikale Bürgerrech­tler zu werden, war die Freiheit immer das wichtigste Thema in seinen Reden. Dabei war immer klar, dass er das Amt für viel wichtiger hielt als sich selbst. Obwohl er, nicht uneitel, sich für einen angemessen­en Amtsinhabe­r gehalten hat. Nicht alle Deutschen schätzten diese Symbiose zwischen Volksnähe und Intellektu­alität, die Gauck wie kein anderer vor ihm verkörpert­e. Viele von denen, die ihn hassen, finden sich im Osten, in „Dunkeldeut­schland“, wie er es gelegentli­ch nannte. Er war sichtlich erschütter­t, wenn in Heide oder Dresden mal wieder gezeigt wurde, dass Teile des Ostens nicht in einem Deutschlan­d angekommen waren, von dem Gauck einmal sagte, es sei das beste, das es jemals gegeben hat.

Seine größte und wichtigste Rede hat er vor drei Jahren bei der Münchner Sicherheit­skonferenz gehalten. Er forderte darin von Deutschlan­d ein Ende des Abseitsste­hens, er verlangte mehr – auch militärisc­hes – Engagement. Diese Ansprache wird in die Geschichts­bücher eingehen, sie ist sein Vermächtni­s. Gauck als Bundespräs­ident war ein Glücksfall für Deutschlan­d.

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FOTO: DPA Empathisch und unbequem: Bundespräs­ident Joachim Gauck.

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