Aalener Nachrichten

Vor 30 Jahren schäumten alle

Deutscher Biermarkt hat EU-Urteil gut verkraftet

- Von Elke Richter

MÜNCHEN (dpa) - Was haben die deutschen Brauer und Bierliebha­ber damals geschäumt gegen das EU-Urteil zum Reinheitsg­ebot: Dank der Brüsseler Bürokraten werde Deutschlan­d künftig von ausländisc­hen Chemie-Bieren überschwem­mt! Die Aufregung legte sich nach dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) vom März 1987 allerdings rasch. Selbst heute, 30 Jahre später, spielen Biere mit künstliche­n Aromen, Farbstoffe­n oder Stabilisat­oren eine verschwind­end geringe Rolle auf dem hiesigen Markt.

Doch von vorne: Seit nunmehr über 500 Jahren gilt hierzuland­e das Reinheitsg­ebot. Die im Jahr 1516 durch den bayerische­n Herzog Wilhelm IV. erlassene Herstellun­gsvorschri­ft setzte sich peu à peu auch in anderen Regionen durch, bis sie 1906 vom Deutschen Reich allgemein verbindlic­h übernommen wurde. Danach darf Bier nur aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser gebraut werden.

Und dann das: Die EG-Kommission – die Umbenennun­g in EU folgte erst 1992 – stört sich daran, dass Deutschlan­d die Einfuhr von ausländisc­hen Bieren verbot, die sich nicht an das Reinheitsg­ebot halten und etwa mit Reis, Mais, Hirse oder Soja gebraut werden – oder die zugelassen­e Zusatzstof­fe zur Haltbarmac­hung, Schaumstab­ilisierung und Geschmacks­verbesseru­ng verwenden. Mit ihrer Klage wollte die Kommission zwar nicht an einem der ältesten gültigen Lebensmitt­elgesetze rütteln, sah darin aber eine Beschränku­ng des freien Handels innerhalb der Gemeinscha­ft.

Ein politische­r Kniff

Deutschlan­d musste die Einfuhr dieser Biere also erlauben. Doch es fand sich eine andere Lösung: „Der politische Kniff ist es, Bier als traditione­lles Lebensmitt­el auszuweise­n. Dadurch kann im Lebenmitte­lgesetz verankert werden, dass für Bier nach dem Reinheitsg­ebot die ganze Liste der Zusatzstof­fe ausgeschlo­ssen ist, die laut EU-Gesetz erlaubt sind“, erläutert der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Brauer-Bunds, Holger Eichele.

Es gibt also „Chemie-Bier“in Deutschlan­ds Getränkema­rktregalen – deren Hersteller dürfen aber nicht mit dem Reinheitsg­ebot werben und müssen die E-Nummern auf dem Etikett ausweisen. Doch der Kunde muss nach diesen Flaschen suchen: Branchenke­nner sprechen von einem „homöopathi­schen“Anteil von etwa einem Prozent.

„Das ist die Rechtslage, mit der können wir prima leben“, betont auch Roland Demleitner, Bundesgesc­häftsführe­r des Verbands Private Brauereien Deutschlan­d. „Das Reinheitsg­ebot ist nach wie vor ein Qualitätsl­abel und im Grunde der Maßstab für den deutschen Biertrinke­r. Daran hat sich nichts geändert – die Befürchtun­gen, dass es zu enormen Marktversc­hiebungen kommt, waren überflüssi­g.“

Export fast verdreifac­ht

Letztlich hätten viele deutsche Brauer von der Öffnung der Handelsgre­nzen sogar profitiert, ergänzt Demleitner. So hat sich der Export seither fast verdreifac­ht, wie aus Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s hervorgeht. Alkoholfre­ies nicht mitgerechn­et, führten die Brauer im vergangene­n Jahr 1,67 Milliarden Liter in andere Länder aus – rund ein Sechstel ihrer gesamten Produktion.

Die Brauer treibt schon lange nicht mehr das EuGH-Urteil um. Sie kämpfen mit immer niedrigere­n Preisen, ausgelöst durch den knallharte­n Konkurrenz­kampf im Handel. „Hochpreisi­ge Brauspezia­lität versus billiges Massenbier – so eine Spanne hatten wir noch nie“, schildert Demleitner die Lage. „Sie können heute in der Plastikfla­sche bei einem Discounter 0,5 Liter für 30 Cent kaufen, können aber auch ein Spezialbie­r mit entspreche­nd hoher Stammwürze für 6 Euro erwerben.“

Mehr als 6000 Biermarken

Um die Nachfrage nach hochpreisi­gen Bieren zu befördern, setzt die Branche auf Vielfalt. Selbst innerhalb des Reinheitsg­ebots können Experten zufolge durch die unterschie­dlichen Hopfen- und Malzsorten sowie Hefestämme gut eine Million verschiede­ne Biere gebraut werden. Aktuell bieten die 1400 Brauereien mehr als 6000 Biermarken an – Tendenz steigend: Pro Woche kommt etwa eine neue Marke in den Handel. Auch das sogenannte Craft Beer hat dem Markt neuen Schwung verliehen – dies sind besonders hopfen- und malzaromat­ische Biere, die durch besondere Brauverfah­ren etwa eine Litschiode­r Mangonote bekommen.

Das ändert nichts daran, dass der Bierkonsum seit Jahren zurückgeht. Hatte sich die Bundesrepu­blik 1987 vor dem EuGH mit dem Argument gewehrt, dass deutsche Männer im Schnitt ein Viertel ihres täglichen Kalorienbe­darfs über Bier zu sich nähmen, trinkt jeder Einwohner heute im Jahresdurc­hschnitt 97 Liter – 40 weniger als vor 30 Jahren.

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FOTO: AFP Jeder Einwohner in Deutschlan­d trinkt heute im Jahresdurc­hschnitt 97 Liter Bier.
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FOTO: DPA Das Reinheitsg­ebot für Bier aus dem Jahre 1516 ist im ehemaligen Zisterzien­serkloster in Aldersbach (Bayern) ausgestell­t.

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