Steinewerfer von Giengen steht vor Gericht
Angeklagter bedroht Vater, dessen Familie bei dem Anschlag schwer verletzt wurde
ELLWANGEN - Seit Donnerstag muss sich der mutmaßliche Steinewerfer von Giengen vor der Schwurgerichtskammer im Ellwanger Landgericht wegen versuchtem, vierfachen Mord verantworten. Das große überregionale Medieninteresse gilt dem 37-jährigen Mann aus Heidenheim mit Vollbart und Basecap, der nach außen ungerührt in Hand- und Fußfesseln auf der Anklagebank sitzt. Er wurde aus dem Zentrum für Psychiatrie Bad Schussenried vorgeführt.
Die Staatsanwaltschaft legt ihm versuchten Mord in vier Fällen, schwere Körperverletzung und gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zur Last. Der Angeklagte soll in der Nacht zum 25. September 2016 gegen 1.30 Uhr von einer Brücke bei Giengen einen zwölf Kilo schweren Betonpflasterstein auf die rechte Fahrbahn der A 7 geworfen haben. Eine vierköpfige Familie verunglückte schwer, weil der Vater dem Hindernis nicht ausweichen konnte. Die junge Mutter schwebte lange in Lebensgefahr. Ihr musste das rechte Bein unterhalb des Knies amputiert werden. Den Stein soll der Angeklagte vom Flugplatz Giengen herbeigeschafft haben. Ein Mitarbeiter des Segelflugplatzes berichtete, dass ein Eckstein in einer Palette fehlte.
Familie war auf dem Rückweg von einer Hochzeit
Zu Beginn der Verhandlung wurden dem Beschuldigten die Handschließen abgenommen. Das änderte sich, als er den 33-jährigen Familienvater während dessen Vernehmung bedrohte: „Wenn ich wieder draußen bin, musst du aufpassen. Ich kann Nahkampf und habe Waffen“, rief er. „Ich bin nicht schuld an deinem Unfall.“Doch der Geschädigte blieb besonnen und ließ sich nicht provozieren. Morgen, sagte er, beginne er wieder in Vollzeit zu arbeiten. Täglich besuche er seine Frau in der Reha, am Wochenende mit den Kindern.
Die Familie befand sich auf dem Rückweg von einer Hochzeit bei Regensburg. Die beiden Kinder im Alter von vier und sechs Jahren schliefen auf der Rückbank, ihre Mutter auf dem Beifahrersitz. Beim Aufprall auf den Stein verlor der 33-jährige Familienvater die Kontrolle über sein Auto. Der rechte Vorderreifen platzte, das Auto überschlug sich mehrmals: „Ich hörte einen lauten Knall und sah eine graue Rauchwolke“, sagte sein älterer Bruder, der hinter dem Unfallauto fuhr. Die Kinder wurden offenbar herausgeschleudert und erlitten Gehirnerschütterungen und Prellungen. Noch schlimmer sei das seelische Trauma, das sie davontrugen: „Das Mädle war apathisch und ganz ruhig. Der Bub war fast hysterisch, schrie und wollte unbedingt zu seiner Mutter“, schilderten Autofahrer, die den Unfallopfern zu Hilfe kamen, die furchtbare Situation.
Unklar ist, ob die Kinder angeschnallt waren. Möglich ist auch, dass sie sich nach dem Unfall selbst aus dem zerstörten Wagen befreien konnten. Ihre 26-jährige Mutter wurde ohnmächtig aus dem Fahrzeug geborgen und kam erst zwei Wochen später in der Ulmer Uniklinik wieder zu sich. Ihr rechter Fuß, so der be- handelnde Chirurg, sei nicht zu retten gewesen. Am 5. Oktober wurde wegen der Gefahr einer Blutvergiftung auch der rechte Unterschenkel unterhalb des Knies amputiert.
Die Mutter sitzt seit dem Unfall im Rollstuhl
Sie machte ihre Aussage im Rollstuhl, an den sie aufgrund einer Halsund Brustwirbelfraktur möglicherweise für immer gefesselt ist. „Ich habe Phantomschmerzen und spüre nur mein Gesicht und etwas meine Arme und Beine. Und ich habe Angst, dass meine Kinder sich von mir entfernen, weil ich seit dem Unfall nicht mehr zu Hause war. Mein Leben ist untergegangen. Ich möchte nur wieder ein normales Leben führen.“Ihr Mann weinte während ihrer Aussage.
„Meine Familie ist kaputt“, sagte der schmächtige türkischstämmige Mann in exzellentem Deutsch. „Man kann es sich nicht vorstellen und denkt, man ist am Ende angekommen. So etwas kann man nie vergessen. Wir sind von der Hochzeit zurückgefahren, um einen ruhigen Sonntag zu Hause zu erleben.“
Es kam anders. Oberstaatsanwalt Peter Staudenmaier geht vom Mordmerkmal der Heimtücke aus, weil der Steinewerfer wusste, dass Autofahrer, die sich der Brücke näherten, nicht mit einem Anschlag rechnen konnten und deshalb nicht in der Lage waren, rechtzeitig zu reagieren. Die Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Gerhard Ilg muss prüfen, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat steuerungsfähig war. Er soll unter einer schweren psychiatri- schen Erkrankung leiden und wurde wenige Tage nach der Tat auf einem Gartengrundstück bei Herbrechtingen festgenommen.
Außerdem wird der mutmaßliche Steinewerfer beschuldigt, eine zur scharfen Waffe umgebaute Pistole Walther P88, einen voll funktionsfähigen sechsläufigen Schussapparat sowie einen selbst hergestellten sechsschüssigen Revolver und insgesamt 173 Patronen mit selbst gegossenen Projektilen in einem Versteck am Rand eines Heidenheimer Zementsteinbruchs verwahrt zu haben. Seine Drohung im Gerichtssaal erhält auch unter diesem Aspekt besondere Brisanz.