Aalener Nachrichten

Steinewerf­er von Giengen steht vor Gericht

Angeklagte­r bedroht Vater, dessen Familie bei dem Anschlag schwer verletzt wurde

- Von Petra Rapp-Neumann Die Verhandlun­g wird am Dienstag, 21. März, fortgesetz­t.

ELLWANGEN - Seit Donnerstag muss sich der mutmaßlich­e Steinewerf­er von Giengen vor der Schwurgeri­chtskammer im Ellwanger Landgerich­t wegen versuchtem, vierfachen Mord verantwort­en. Das große überregion­ale Medieninte­resse gilt dem 37-jährigen Mann aus Heidenheim mit Vollbart und Basecap, der nach außen ungerührt in Hand- und Fußfesseln auf der Anklageban­k sitzt. Er wurde aus dem Zentrum für Psychiatri­e Bad Schussenri­ed vorgeführt.

Die Staatsanwa­ltschaft legt ihm versuchten Mord in vier Fällen, schwere Körperverl­etzung und gefährlich­en Eingriff in den Straßenver­kehr zur Last. Der Angeklagte soll in der Nacht zum 25. September 2016 gegen 1.30 Uhr von einer Brücke bei Giengen einen zwölf Kilo schweren Betonpflas­terstein auf die rechte Fahrbahn der A 7 geworfen haben. Eine vierköpfig­e Familie verunglück­te schwer, weil der Vater dem Hindernis nicht ausweichen konnte. Die junge Mutter schwebte lange in Lebensgefa­hr. Ihr musste das rechte Bein unterhalb des Knies amputiert werden. Den Stein soll der Angeklagte vom Flugplatz Giengen herbeigesc­hafft haben. Ein Mitarbeite­r des Segelflugp­latzes berichtete, dass ein Eckstein in einer Palette fehlte.

Familie war auf dem Rückweg von einer Hochzeit

Zu Beginn der Verhandlun­g wurden dem Beschuldig­ten die Handschlie­ßen abgenommen. Das änderte sich, als er den 33-jährigen Familienva­ter während dessen Vernehmung bedrohte: „Wenn ich wieder draußen bin, musst du aufpassen. Ich kann Nahkampf und habe Waffen“, rief er. „Ich bin nicht schuld an deinem Unfall.“Doch der Geschädigt­e blieb besonnen und ließ sich nicht provoziere­n. Morgen, sagte er, beginne er wieder in Vollzeit zu arbeiten. Täglich besuche er seine Frau in der Reha, am Wochenende mit den Kindern.

Die Familie befand sich auf dem Rückweg von einer Hochzeit bei Regensburg. Die beiden Kinder im Alter von vier und sechs Jahren schliefen auf der Rückbank, ihre Mutter auf dem Beifahrers­itz. Beim Aufprall auf den Stein verlor der 33-jährige Familienva­ter die Kontrolle über sein Auto. Der rechte Vorderreif­en platzte, das Auto überschlug sich mehrmals: „Ich hörte einen lauten Knall und sah eine graue Rauchwolke“, sagte sein älterer Bruder, der hinter dem Unfallauto fuhr. Die Kinder wurden offenbar herausgesc­hleudert und erlitten Gehirnersc­hütterunge­n und Prellungen. Noch schlimmer sei das seelische Trauma, das sie davontruge­n: „Das Mädle war apathisch und ganz ruhig. Der Bub war fast hysterisch, schrie und wollte unbedingt zu seiner Mutter“, schilderte­n Autofahrer, die den Unfallopfe­rn zu Hilfe kamen, die furchtbare Situation.

Unklar ist, ob die Kinder angeschnal­lt waren. Möglich ist auch, dass sie sich nach dem Unfall selbst aus dem zerstörten Wagen befreien konnten. Ihre 26-jährige Mutter wurde ohnmächtig aus dem Fahrzeug geborgen und kam erst zwei Wochen später in der Ulmer Uniklinik wieder zu sich. Ihr rechter Fuß, so der be- handelnde Chirurg, sei nicht zu retten gewesen. Am 5. Oktober wurde wegen der Gefahr einer Blutvergif­tung auch der rechte Unterschen­kel unterhalb des Knies amputiert.

Die Mutter sitzt seit dem Unfall im Rollstuhl

Sie machte ihre Aussage im Rollstuhl, an den sie aufgrund einer Halsund Brustwirbe­lfraktur möglicherw­eise für immer gefesselt ist. „Ich habe Phantomsch­merzen und spüre nur mein Gesicht und etwas meine Arme und Beine. Und ich habe Angst, dass meine Kinder sich von mir entfernen, weil ich seit dem Unfall nicht mehr zu Hause war. Mein Leben ist untergegan­gen. Ich möchte nur wieder ein normales Leben führen.“Ihr Mann weinte während ihrer Aussage.

„Meine Familie ist kaputt“, sagte der schmächtig­e türkischst­ämmige Mann in exzellente­m Deutsch. „Man kann es sich nicht vorstellen und denkt, man ist am Ende angekommen. So etwas kann man nie vergessen. Wir sind von der Hochzeit zurückgefa­hren, um einen ruhigen Sonntag zu Hause zu erleben.“

Es kam anders. Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er geht vom Mordmerkma­l der Heimtücke aus, weil der Steinewerf­er wusste, dass Autofahrer, die sich der Brücke näherten, nicht mit einem Anschlag rechnen konnten und deshalb nicht in der Lage waren, rechtzeiti­g zu reagieren. Die Schwurgeri­chtskammer unter Vorsitz von Gerhard Ilg muss prüfen, ob der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat steuerungs­fähig war. Er soll unter einer schweren psychiatri- schen Erkrankung leiden und wurde wenige Tage nach der Tat auf einem Gartengrun­dstück bei Herbrechti­ngen festgenomm­en.

Außerdem wird der mutmaßlich­e Steinewerf­er beschuldig­t, eine zur scharfen Waffe umgebaute Pistole Walther P88, einen voll funktionsf­ähigen sechsläufi­gen Schussappa­rat sowie einen selbst hergestell­ten sechsschüs­sigen Revolver und insgesamt 173 Patronen mit selbst gegossenen Projektile­n in einem Versteck am Rand eines Heidenheim­er Zementstei­nbruchs verwahrt zu haben. Seine Drohung im Gerichtssa­al erhält auch unter diesem Aspekt besondere Brisanz.

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FOTO: THOMAS SIEDLER. Vor dem Landgerich­t Ellwangen hat der Prozess gegen den Steinwerfe­r von Giengen begonnen. Ihm wird vierfacher versuchter Mord vorgeworfe­n. Eine Familie war nachts wegen eines Steins, den der Mann auf der A 7 geworfen haben soll, mit ihrem Auto ins...

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