Aalener Nachrichten

Alice im Neuland

„You Are Wanted“soll die deutsche Serienland­schaft prägen

- Von Daniel Drescher

Mit „You Are Wanted“startet die erste in deutscher Sprache entwickelt­e Serie des Streaminga­nbieters Amazon Prime Video. Mit dem Cyberthril­ler wagt sich der deutsche Schauspiel­er Matthias Schweighöf­er als Regisseur, Hauptdarst­eller und Produzent in Personalun­ion auf ungewohnte­s Terrain. Denn der deutsche Fernsehmar­kt ist für vieles bekannt – nur nicht dafür, internatio­nal erfolgreic­he Qualitätss­erien fürs Netz herzustell­en.

In den vergangene­n Jahren haben Streamingd­ienste im Netz die Serienland­schaft verändert. Immer mehr Nutzer schauen bei Anbietern wie Netflix (93 Millionen Kunden weltweit) oder Amazon Prime Video (Schätzunge­n zufolge 60 Millionen Nutzer) Serien und Filme an. Sie genießen, dass sie nicht an die fest vorgegeben­en Zeiten der Fernsehsen­der gebunden sind, sondern sich als Programmdi­rektor betätigen können.

Das Warten hat ein Ende

Zugleich muss man nicht mehr eine Woche lang auf die neue Episode warten, wenn im Netz ganze Staffeln abrufbar sind. Und die Anbieter haben sich längst zu Produzente­n entwickelt, die eigene Inhalte für ihre Plattforme­n auf den Markt bringen. Mit Erfolg: Bei der jüngsten OscarVerle­ihung räumten Amazon und Netflix ab. Amazon erhielt zwei Oscars für „Manchester by the Sea“, einen weiteren Oscar gab es für das iranische Drama „The Salesman“. Konkurrent Netflix gewann mit „The White Helmets“die Auszeichnu­ng für die beste Dokumentat­ion.

Deutschlan­d hinkt bislang hinterher. Mit „You Are Wanted“will man nun aber endlich auf dem internatio­nalen Markt mitspielen. Die Nutzer werden seit Wochen mit kleinen Vorschau-Schnipseln und Countdown-Einblendun­gen heißgemach­t. Amazon kündigt vollmundig an, „in über 200 Ländern und Territorie­n weltweit“sei Schweighöf­ers Serie demnächst zu sehen. Dazu gehörten auch die Antarktis, Ost-Timor oder die zu Neuseeland gehörenden Tokelau-Atolle, nicht aber Nordkorea oder Iran. Die Serie soll in englischer, französisc­her, italienisc­her und spanischer Synchronfa­ssung verfügbar sein. Zusätzlich bietet Amazon Untertitel auf Portugiesi­sch, Hindi und Japanisch an.

Solide Thrillerko­st

Die Story ist im Berlin der Gegenwart angesiedel­t. Der erfolgreic­he Hotelmanag­er Lukas Franke (Matthias Schweighöf­er) führt ein trautes Familienle­ben mit seiner Frau Hanna (Alexandra Maria Lara) und seinem Sohn. Doch die Harmonie bekommt Sprünge, als ein mysteriöse­r Hacker den biederen Familienva­ter ins Visier nimmt. Plötzlich interessie­rt sich das LKA für Franke, weil er anscheinen­d in einem Baumarkt Chemikalie­n zum Bombenbau gekauft haben soll – und tatsächlic­h ist er auf den Bildern einer Überwachun­gskamera zu sehen, obwohl er nie dort war. Wegen zugesandte­r Nacktbilde­r unterstell­t Hanna ihrem Mann eine Affäre mit einer anderen Frau; die Kamera des Tablets nimmt heimlich Bilder des Sohnes auf: Franke muss den digitalen Identitäts­dieb ausfindig machen, wenn er sein Leben nicht in Scherben sehen will.

Matthias Schweighöf­er liefert solide Thrillerko­st. Die ersten beiden der sechs Episoden halten sich nicht mit großem Vorgeplänk­el auf. In blaustichi­g kühlen Bildern treibt Schweighöf­er als Regisseur die Handlung voran – als Akteur ist er selbst der Getriebene, der wie Alice in den Kaninchenb­au stürzt und sich in einer unbekannte­n Welt wiederfind­et. Bisher sind die Charaktere zwar noch etwas flach. Warum Hanna eine Affäre vermutet, obwohl sie mit Lukas eine Bilderbuch­beziehung führt, bleibt beispielsw­eise unklar. Doch die Cliffhange­r funktionie­ren, am Ende der Folge will man weiterguck­en.

Wachsamkei­t fördern

Dass die Hacker-Thematik und die Gefahren der digitalen Welt sehr plakativ dargestell­t werden, muss vielleicht so sein. Denn Überwachun­gsskandale um NSA und CIA lassen die Deutschen ja überrasche­nd kalt.

Unwahrsche­inlich ist, dass „You Are Wanted“ein internatio­naler Megaerfolg der Marke „Breaking Bad“wird. Und auch das Cyberthema haben US-Serien wie „Mr. Robot“mit mehr Tiefgang aufgegriff­en. Trotzdem eine respektabl­e Produktion – und für Schweighöf­er der Versuch, wegzukomme­n vom Image des gutmütigen Trottels.

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FOTO: STEPHAN RABOLD Attacke aus dem Netz: Lukas Franke (Matthias Schweighöf­er) führt eine Bilderbuch­ehe mit Hanna (Alexandra Maria Lara), aber ein Hacker stört die Idylle.

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