Aalener Nachrichten

„20 Millionen Menschen sind in ihrer Existenz bedroht“

Matthias Späth von der Welthunger­hilfe über die anhaltende Trockenhei­t in Äthiopien, Somaliland und Nordkenia

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RAVENSBURG - Die Vereinten Nationen warnen vor einer neuen Dürre in Ostafrika, von der 20 Millionen Menschen betroffen sein sollen. Matthias Späth von der Deutschen Welthunger­hilfe in Äthiopien erklärt im Gespräch mit Christoph Plate die Notwendigk­eit zur Differenzi­erung zwischen einer Dürre und einer Hungersnot.

Es gibt Dürre und Trockenhei­t in Ostafrika, die Vereinten Nationen sprechen von der größten Hungersnot seit über 30 Jahren. Sehen Sie das ähnlich?

Ich verstehe das so, dass die größte Hungersnot seit über 30 Jahren droht. Das halte ich für ein realistisc­hes Szenario. In den Gebieten, über die wir reden, hat es seit Jahren eigentlich nicht mehr richtig geregnet. Die viehhalten­den Nomaden verlieren dadurch Stück für Stück ihre Lebensgrun­dlage. Ich war vor ein paar Wochen in der Afar-Region in Äthiopien, die Dorfältest­en haben gesagt, ihr Lebensstil funktionie­re durch den Klimawande­l nicht mehr. Die Hirten können das Wetter nicht mehr lesen, sie können die Weidetoure­n nicht mehr bestimmen, und sie sind mittlerwei­le so weit, dass sie sagen, zukünftige Generation­en werden ihren Lebensstil ändern müssen.

In der Öffentlich­keit und den Pressemitt­eilungen der Hilfswerke wird mit Begriffen wie Dürre und Hungersnot hantiert – können Sie uns die Unterschie­de zwischen diesen beiden erklären?

Die Dürre ist ein Prozess. Was wir heute haben, sind sogenannte Tiefland-Probleme. Das betrifft den östlichen und südlichen Teil Äthiopiens, Nordkenia, Somalia und Somaliland. Diese Dürre hat dazu geführt, dass jetzt nach dem dritten Jahr in Folge ohne größeren Regen die Wasserquel­len versiegen und das Weideland vollkommen ausgetrock­net ist. Im Prinzip ist das ein fortlaufen­der Prozess, dass erst das Vieh stirbt, und wenn das Vieh stirbt, sterben die Menschen. Die Viehzüchte­r arbeiten in Parallelge­sellschaft­en, die autonom auf der Basis der Rinderzuch­t funktionie­ren. Wenn diese Basis wegfällt, entfällt die Versorgung mit Proteinen, es gibt kein Einkommen mehr, die Lebensgrun­dlage ist dann weg.

Wenn die Afar sagen, folgende Generation­en müssten umdenken, gilt das womöglich auch für andere Viehhalter wie die Massai oder die Samburu?

Ein Bestandtei­l unserer Arbeit mit diesen Viehhirten ist, auch alternativ­e Einkommens­möglichkei­ten zu schaffen, um sie weniger abhängig von ihrem Vieh zu machen. Es ist ein ganz langsamer Prozess, weil es um 2000, 3000 Jahre alte Kulturen geht. Die Leute haben im Prinzip außer der Viehzucht und dem Lesen des Wetters nichts anderes gelernt. Ich bin sicher, dass wir langfristi­g Wege finden müssen, zusätzlich­e Märkte zu schaffen und dafür zu sorgen, diese Leute in diese Märkte zu integriere­n. Das läuft nicht von heute auf morgen.

Angeblich sind 20 Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Sind die in letzter Konsequenz vom Hungertod bedroht?

Wir reden von 20 Millionen vom Hunger bedrohten Menschen. Da muss man aber wieder abstufen: Natürlich sind Kinder oder schwangere oder stillende Frauen besonders anfällige Gruppen. Die würde ich schon als sehr bedroht sehen. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass wir mit 20 Millionen Toten rechnen müssen. Aber selbst die Kinder, die durchkomme­n, können ein Leben lang geschädigt sein. Wenn ein Kind in den ersten sechs Monaten nicht ausreichen­d ernährt werden kann, dann spiegelt sich das in der gesamten Biografie des Kindes bis ins Alter wider. Die Schlagzeil­e wäre also nicht, dass 20 Millionen Menschen akut vom Tode bedroht sind, aber ich denke, 20 Millionen Leute sind akut in ihrer Existenz bedroht. Und eine erhebliche Zahl von ihnen auch vom Tode.

Was konkret macht die Welthunger­hilfe in Äthiopien und in Somaliland, wo Sie ja auch tätig sind, um diese aktuelle Dürre für die Menschen erträglich zu machen?

Wir konzentrie­ren uns auf die schwer zugänglich­en und am stärksten betroffene­n Gebiete. Dort versuchen wir seit Jahren, Kleinbauer­n und Viehzüchte­r so zu unterstütz­en, dass sie mit solchen Krisen besser umgehen können. Viele Viehzüchte­r betreiben jetzt Ackerbau und wir bringen ihnen moderne Ackerbaute­chniken bei. Wir versuchen Brunnen zu bauen, Wasserspei­cher anzulegen, die Wasserqual­ität zu sichern. In Borana, dem südlichen Teil von Äthiopien, der an Kenia grenzt, ist es im Moment am schlimmste­n: 300 000 Menschen dort versorgen wir mit Nothilfema­ßnahmen, wir haben Tanklastwa­gen gemietet, um die minimale Trinkwasse­rversorgun­g sicherzust­ellen. Wir sanieren Wasserstel­len, die versiegt sind. Wir haben Geld für Arbeitspro­gramme initiiert. Und wir versorgen natürlich das Vieh mit Viehfutter und Veterinärm­edizin. Wir organisier­en Notschlach­tungen, um die Marktpreis­e nicht ganz ins Bodenlose fallen zu lassen. Und wir versuchen, langfristi­g Tierbestän­de zu retten, indem wir einen genetische­n Pool von starken Tieren erhalten.

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FOTO: DPA Durch die Dürre verenden viele Tiere, wie hier im äthiopisch-kenianisch­en Grenzgebie­t.

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