Der Ausbildungstraum
Der Friedrichshafener Motorenbauer MTU bereitet zehn Flüchtlinge auf eine Lehre vor
FRIEDRICHSHAFEN - Neben Sprachkenntnissen zählt eine sinnvolle Beschäftigung zu den wichtigsten Faktoren für eine gelungene Integration von Flüchtlingen. Seit Januar bereitet der Motorenbauer MTU Friedrichshafen zehn junge Männer auf eine Ausbildung zur Metallfachkraft vor. Die Projektpartner – MTU, die Agentur für Arbeit sowie der Arbeitgeberverband Südwestmetall – hoffen, dass weitere Unternehmen auf den Zug aufspringen.
Seit dem 9. Januar haben die Auszubildenden der MTU Friedrichshafen neue Kollegen. Zehn Flüchtlinge absolvieren derzeit ein siebenmonatiges berufsvorbereitendes Praktikum, bei dem sie die Grundlagen der Metallbearbeitung lernen. Doch nicht nur Bohren, Fräsen oder Drehen steht auf dem Programm, sondern auch Sprachunterricht. Dabei lernen die jungen Männer Wörter, die so mancher Einheimischer ebenfalls noch nie gehört haben dürfte. Von der Begegnung mit technischen Begriffen wie Stützbacken oder Winkelschrittgeber lassen sie sich jedoch nicht entmutigen. Im Gegenteil: Die Motivation ist hoch. „Die Gruppe kommt sehr gerne zu uns. Sie möchten lernen und sind sehr leistungsbereit“, sagt Martin Stocker, Ausbildungsleiter bei MTU. „Im täglichen Zusammenleben sind sie bei uns in der Lehrwerkstatt schon voll integriert.“
Die jungen Männer, berichtet Stocker, seien ihre Aufgabe nicht nur mit großem Interesse, sondern auch mit einem gewissen Respekt angegegangen. „Die waren total erstaunt, dass wir ihnen zutrauen, an einer Drehmaschine zu arbeiten, die 50 000 Euro kostet.“Für die Betreuung der zehn jungen Männer, die aus Afghanistan, Gambia, Libanon, Nigeria und Syrien kommen, hat MTU extra einen Ausbildungsmeister freigestellt. Matthias Mecking kümmert sich nicht nur ums Fachliche, sondern hilft seinen Schützlingen auch in allen anderen Lebensbereichen, seien es Behördengänge oder andere Herausforderungen.
„Stellen uns der Verantwortung“
Der Motorenbauer MTU, Tochter vom Rolls-Royce Power Systems, investiert rund 100 000 Euro in dieses Projekt. Arbeitsdirektor Marcus A. Wassenberg ist überzeugt, dass dieses Geld gut angelegt ist und sein Unternehmen mit der Einstiegsqualifizierung „einen wesentlichen Beitrag zur Integration geflüchteter Menschen in unsere Arbeitswelt“leistet. „Wir glauben, dass das unsere Verantwortung als eines der größten Unternehmen der Region ist – und dieser Verantwortung stellen wir uns gerne“, betont Wassenberg.
Zwei der zehn Flüchtlinge werden im Herbst die Möglichkeit bekommen, bei MTU eine Ausbildung zur Metallfachkraft zu beginnen. Die acht, die nicht zum Zug kommen, sollen in andere Betriebe vermittelt werden. „Ein Versprechen kann ich heute schon geben: Auch für die anderen werden wir einen Ausbildungsplatz finden“, betont Jutta Driesch, die Chefin der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg. Drei der Flüchtlinge sind anerkannt, sieben haben eine Duldung und eine Arbeitserlaubnis. Für alle zehn gilt die so genannte 3+2-Regelung, das heißt: Nach der Ausbildung können sie mindestens zwei Jahre beschäftigt werden, ohne dass die Abschiebung droht.
Jutta Drieschs Behörde hatte 40 Flüchtlinge angesprochen, um sie für dieses Projekt zu gewinnen. Aus 28 vorgeschlagenen Kandidaten wählte die MTU schließlich zehn Teilnehmer aus. Alle verfügen über Sprachkenntnisse des Niveaus A2, das heißt, sie können sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete unterhalten. Und – ganz wichtig: Sie sind in der Lage, einer Sicherheitsunterweisung zu folgen.
„Mein großer Traum“
Zaher Shalabi ist seit anderthalb Jahren in Deutschland. Er kommt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus. Bevor er sich in der Türkei in ein Boot setzte und die gefährliche Überfahrt nach Griechenland wagte, studierte er Wirtschaftswissenschaften. „Die Ausbildung wäre mein großer Traum“, sagt der 28-Jährige. Wenn es bei MTU nicht klappen sollte, ist er dennoch zuversichtlich, in einem anderen Betrieb unterzukommen. Einen Konkurrenzkampf unter den Flüchtlingen um die beiden Ausbildungsplätze gebe es übrigens nicht, sagt der junge Syrer. „Wir versuchen, als Team zusammenzuarbeiten.“Abbas Ayoubi aus Afghanistan berichtet, dass die Arbeit viel Spaß mache und alle sehr hilfsbereit seien. Eine duale Ausbildung gebe es in seiner Heimat nicht. „Man kann zur Universität gehen. Danach bekommt man halt eine Arbeit oder auch nicht.“
Wie ihre acht Kollegen brennen auch Zaher Shalabi und Abbas Ayoubi auf die Entscheidung, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Ende nächster Woche sollen sie es erfahren, lässt Ausbildungsleiter Martin Stocker wissen. Nicht nur er, sondern auch die anderen Projektbeteiligten hoffen, dass sich weitere Betriebe diesem Leuchtturmprojekt anschließen und Flüchtlingen die Chance auf eine Ausbildung ermöglichen. MTU-Arbeitsdirektor Marcus A. Wassenberg kündigt an, dass dies auf jeden Fall keine einmalige Sache war. „Wir werden weitermachen.“