Grotesk, alles Satire
Werner Franke sagt zu den Studien über Doping in der BRD: „Der westdeutsche Staat stand voll hinter allem“
KÖLN (SID/sz) - Werner Franke hat zu viel erlebt und zu viel gekämpft, als dass ihn die jüngsten Studien über Doping in Westdeutschland noch irgendwie beeindrucken könnten. „Ich wundere mich höchstens“, sagt der Molekularbiologe aus Heidelberg. Schließlich sei alles, was in der vergangenen Woche ans Tageslicht kam, „bis auf Kleinigkeiten“seit Langem bekannt. Entsprechend könne er nicht anders, so der 77-Jährige, als die jetzigen Diskussionen mit „Scheinheiligkeit und Ignoranz“in Verbindung zu bringen. Franke selbst hat gemeinsam mit seiner Frau Brigitte Berendonk die Aufklärung über Doping in Deutschland – West wie Ost – weiter vorangetrieben als wohl irgendjemand sonst. Seine erschütternden Berichte und Schlussfolgerungen werfen noch heute auch auf die neuesten Studien ein ganz eigenes Licht.
An der zuletzt viel zitierten Dissertation des Krefelder Pharmazeuten Simon Krivec über 31 mit Anabolika gedopte BRD-Leichtathleten fiel Franke zuerst ein vermeintlich abseitiger Fakt auf: „Dass sich die Studie nur um Athleten dreht, nicht aber um Athletinnen“. Dies sei so, sagt Franke, weil „das Doping, das damals an Frauen vollführt wurde, so dermaßen pervers war, dass es zu wehtut, darüber zu sprechen. Bis heute.“Werner Frankes Stimme wird eindringlich, wenn er beschreibt, was auch an der Dopingfront West nachweislich praktiziert wurde: „Die Verabreichung androgener Steroide führte zur Virilisierung, zur Vermännlichung junger Mädchen und Frauen. Das ist mehr als Doping, es ist die Veränderung der Person, physisch wie psychisch.“Verjährt seien die Fälle nach fünf Jahren, „gestorben wird meist später“.
Helga Arendt – Tod mit 49
Franke nennt als Beispiel 400-MeterLäuferin Helga Arendt, die im „Hammer Modell“beim EC Eintracht Hamm mit dem anabolen Steroid Stromba gedopt wurde. „Sie war nicht mal 50, als sie nach jahrelangem Brustkrebsleiden qualvoll starb.“Eine Doping-Spätfolge, da ist sich Franke sicher. Und alles lag offen dar, nur interessierte es kaum jemanden, weil Politik und Sport schützend ihre Hände über die Skandale legten.
Werner Franke ist Sünder und Wegschauer immer und immer wieder frontal angegangen. Er und seine Frau haben über die Jahrzehnte annähernd 100 Prozesse geführt – und kaum einen verloren. Geschehen aber ist wenig. Was er über die Jahrzehnte in westdeutscher Politik und westdeutschem Sport immer wieder beobachtete, nennt Franke selbst „ostentative Abweisung“.
Nur zu gerne berichtet er heute noch über die in Insiderkreisen längst legendäre Bundestagsausschusssitzung im Jahr 1977, geleitet vom damaligen sportpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion: Wolfgang Schäuble. „Nach der Mittagspause“habe der heutige Finanzminister sinngemäß den Einsatz von Dopingmitteln empfohlen, wenn sie denn im Leistungssport unverzichtbar seien. „Das ist ihm heute peinlich, aber er hat’s gesagt“, sagt Franke. „Der westdeutsche Staat stand voll hinter allem. Das ist verbrieft.“
Der Innenminister sah es wie Keul
Werner Franke verweist auch gerne auf den 21. Oktober 1976. Damals sprach Gerhard Groß, Ministerialrat im Ministerium von Bundesinnenminister Werner Maihofer, bei einer Einweihungsfeier an der Uni Freiburg in Richtung des „lieben Herrn Professor Keul“: „Wenn keine Gefährdung oder Schädigung der Gesundheit (der Athleten; d. Red.) herbeigeführt wird, halten Sie leistungsfördernde Mittel für vertretbar. Der Bundesminister des Inneren teilt grundsätzlich diese Auffassung.“
Die mangelnde Aufarbeitung von Sport und Politik erbost Werner Franke noch immer: „Da ist immer noch Verhinderung. Bis heute will niemand was wissen, niemand will es wahrhaben.“Und niemand lernt dazu. Franke verweist auf die Spitzensportreform von Innenministerium und Deutschem Olympischen Sportbund, die sich künftig noch mehr an Leistung orientieren wollen. „Natürlich“stünden die Athleten damit vor dem alten Dilemma, dopen zu müssen, um liefern zu können. „Insofern hat sich zu damals nichts verändert.“
Als einzigen Weg aus „all dem Schmutz“sieht Franke ein weltweites, vollkommen unabhängiges AntiDoping-System. Dessen Umsetzung sei freilich „unrealistisch“. Also sei der Weltsport nur noch „grotesk, alles Satire. Wenn ich mir allein die lustige Zusammenstreichung der olympischen Ergebnislisten anschaue, kann ich nur sagen: ,ame’s over!“