Aalener Nachrichten

Menschen mit Handicap die Welt zugänglich machen

Spezialist­en für barrierefr­eie Technik und Gestaltung sind in den unterschie­dlichsten Berufsfeld­ern gefragt

- Von Tobias Hanraths

Wer im Internet surft, muss mit dem Arm die Maus bewegen können. Wer dort Videos anschaut, muss sehen und hören können. Und wer Texte liest, muss sie verstehen können. Klingt banal, ist es aber nicht. Denn für Menschen mit Behinderun­g sind solche scheinbare­n Selbstvers­tändlichke­iten oft unüberwind­bare Hürden. Um das Internet und andere wichtige Teile des Alltagsleb­ens auch für sie zugänglich zu machen, gibt es das Konzept der Barrierefr­eiheit – und Spezialist­en, die sich darum kümmern.

Einer dieser Spezialist­en ist Jan Hellbusch, Webdesigne­r und Berater aus Dortmund. Er sorgt dafür, dass Webseiten für Menschen mit verschiede­nen Behinderun­gen nutzbar sind: „Sehbehinde­rte haben zum Beispiel bestimmte Anforderun­gen an Farben und Kontraste“, nennt er ein Beispiel. Wichtig ist je nach Behinderun­g des Nutzers außerdem, dass sich Internetan­gebote gut per Tastatur bedienen lassen, Videos Untertitel haben oder Webseiten mit Screenread­ern zusammenar­beiten. Das sind kleine Programme, die blinden Nutzern Texte vorlesen.

Auf Webseiten öffentlich finanziert­er Institutio­nen wie Behörden oder Ministerie­n ist Barrierefr­eiheit Pflicht, zu finden ist sie auch anderswo. „Die großen amerikanis­chen Anbieter wie Google oder Facebook sind schon lange ziemlich barrierefr­ei“, sagt Hellbusch. „Und hier in Deutschlan­d haben sich manche Banken zum Beispiel schon vor Jahren damit befasst.“Gerade hierzuland­e ist trotzdem aber noch längst nicht jede Webseite oder jedes Informatio­nsangebot barrierefr­ei.

Nicht nur Programmie­rer und Anwendungs­entwickler

Viel zu tun also – und damit eine Chance für Arbeitnehm­er? „Wer über die erforderli­chen Qualifikat­ionen verfügt, hebt sich von anderen Bewerbern und Bewerberin­nen auf dem Arbeitsmar­kt ab“, sagt Jutta Croll, Vorsitzend­e der Stiftung Digitale Chancen. „Das gilt nicht nur für Programmie­rer und Anwendungs­entwickler, denn Barrierefr­eiheit betrifft neben den technische­n Aspekten digitaler Kommunikat­ion auch die Inhalte.“

Bildredakt­eure müssen Fotos zum Beispiel mit Alternativ­texten versehen, die Screenread­er dann vorlesen. Wortredakt­eure kümmern sich um die sogenannte Leichte Sprache, etwa für Nutzer mit Lernschwäc­hen. Und natürlich ist barrierefr­eie Kommunikat­ion auch außerhalb des Internets ein Thema: Auch Ausstellun­gen in Museen wollen oder müssen heute oft barrierefr­ei sein. Gebärdensp­rachdolmet­scher übersetzen Fernsehsen­dungen, Bühnenprog­ramme und andere Veranstalt­ungen.

Die entspreche­nden Qualifikat­ionen zu bekommen, ist oft aber gar nicht so leicht. Bei der Ausbildung zum Webdesigne­r, also zum Mediengest­alter Digital, spielt das Thema laut Bundesinst­itut für Berufsbild­ung (BIBB) zum Beispiel keine Rolle. „In den verschiede­nen Ausbildung­en kommt das nur ganz selten vor“, sagt auch Jan Hellbusch. „Da gibt es nur einzelne Angebote.“Stattdesse­n sei es noch so, dass sich etwa Webdesigne­r Informatio­nen über Barrierefr­eiheit im Selbststud­ium aneignen müssen.

„Ich habe in den 90er-Jahren angefangen, mich damit zu beschäftig­en“, erzählt Hellbusch. „Und mir die wesentlich­en Informatio­nen dann selbst in Blogs und Foren zusammenge­sucht.“Was nicht ganz leicht war, wie er sagt – etwa, weil es viele wichtige Quellen nur auf Englisch gibt. Für Gebärdensp­rachdolmet­scher gibt es dagegen spezielle Studiengän­ge, und in anderen Bereichen ist das Thema Barrierefr­eiheit schon fester Teil der regulären Ausbildung – zum Beispiel, wenn es um barrierefr­eies Bauen geht.

„Die Grundlagen werden an der Uni bei den Architekte­n definitiv gelehrt, das ist fester Studienbes­tandteil“, sagt Barbara Schlesinge­r von der Bundesarch­itektenkam­mer. Dabei geht es längst nicht nur um Rollstuhlr­ampen, sondern zum Beispiel auch um Treppenmar­kierungen für Menschen mit Sehbehinde­rung. Und selbst für Demenzkran­ke könnte es künftig angepasste Bauformen geben, die ihnen den Alltag erleichter­n.

Wenn es hier neue Entwicklun­gen gibt, lernen Architekte­n das auf entspreche­nden Seminaren oder Lehrgängen, sagt Schlesinge­r. „Das Interesse daran ist definitiv groß, und in den letzten Jahren ist es noch stärker geworden.“Was auch daran liegt, dass sich viele Erkenntnis­se aus dem Bereich Barrierefr­eiheit auch auf altersgere­chtes Wohnen übertragen lassen – und umgekehrt.

Motivation kommt häufig aus eigener Betroffenh­eit

Geht es um Barrierefr­eiheit in der Kommunikat­ion, ist das Interesse noch nicht ganz so groß. „Wer sich mit Barrierefr­eiheit befasst, bezieht seine Motivation oft aus eigener oder indirekter Betroffenh­eit“, sagt Jutta Croll. Viele Spezialist­en haben also selbst eine Behinderun­g oder kommen über Verwandte und Bekannte mit dem Thema in Berührung. Die Expertin kann sich aber vorstellen, dass der Bedarf nach Spezialist­en für Barrierefr­eiheit in Zukunft steigt, auch als eigenes Berufsbild.

„Für Fachkräfte mit Kenntnisse­n in Barrierefr­eiheit gibt es in unterschie­dlichen Bereichen einen Arbeitsmar­kt – auch da, wo es nicht sofort ersichtlic­h ist“, sagt Croll. „Es geht zum Beispiel nicht nur um die Umsetzung, sondern auch um die Konzeption.“Denkbar sei zum Beispiel eine Art Barrierefr­eiheitsman­ager, erklärt die Expertin.

Der käme immer dann ins Spiel, wenn es darum geht, verschiede­ne Arten von Barrierefr­eiheit sinnvoll zu kombiniere­n. Plant ein Architekt ein barrierefr­eies Museum, braucht es schließlic­h auch entspreche­nde Ausstellun­gen, passende Broschüren und eine für Menschen mit Behinderun­g nutzbare Webseite – und eine ordnende Hand, die all die Einzelteil­e zusammenfü­hrt. (dpa)

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FOTO: INA FASSBENDER/DPA Jan Hellbusch ist Webdesigne­r und Berater. Er sorgt dafür, dass Webseiten für Menschen mit verschiede­nen Behinderun­gen nutzbar sind. In den Ausbildung­en wird das noch kaum gelehrt.
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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Um das Netz nutzen zu können, hilft Blinden ein Screenread­er, der den Bildschirm­inhalt in Braillesch­rift übersetzt.

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