Aalener Nachrichten

Mit Thiel am Tatort

Am Sonntag läuft wieder ein Münster-Krimi im Ersten – Lokaltermi­n mit Axel Prahl in der westfälisc­hen Stadt

- Von Stephan Brünjes

Entweder es regnet in Münster oder die Glocken läuten. Fällt beides zusammen, ist Sonntag.“Wie aus der Dienstpist­ole geschossen, kommt Axel Prahl die hiesige, schon sprichwört­liche Wetterrege­l über die Lippen. Der Mann hat so seine Erfahrunge­n: Gerade beim Fundort einer Frauenleic­he am Ufer des innerstädt­ischen Flüsschens Aa eingetroff­en, musste der knurrige Kommissar den Dreh zum Tatort „Hinkebein“abbrechen und inmitten immer neuer Wolkenbrüc­he einen halben Tag lang warten bis zur nächsten Klappe. Heute, beim „Lokaltermi­n“an vielen Schauplätz­en des seit rund 15 Jahren laufenden und mittlerwei­le erfolgreic­hsten ARD-Sonntagskr­imis, hat Prahl mehr Glück. „Los, erst mal auf den Prinzipalm­arkt“, sagt er, schlendert deutlich bedächtige­r als der stets etwas kurzbeinig-hektische Thiel und steckt sich erst mal eine an.

„Münster hat was von Lübeck“, nuschelt er zwischen Zigarette und Rauchwolke hervor – mit Blick auf die Treppengie­bel der beigefarbe­nen Kaufmannsh­äuser. „Fühl‘ mich sehr wohl seit dem ersten ,Tatort’-Dreh, aber leben könnt‘ ich hier nicht – zu wenig Wasser“, sagt Prahl knapp und entschiede­n. Der Aa-See ist ihm „zu lütt“, Restaurant­s und Bars am wiederbele­bten Binnenhafe­n beeindruck­en den Ostholstei­ner Küstenjung nicht so recht. Die Münsterane­r dafür um so mehr: Prahl zeigt ein selbst gedrehtes Handy-Video: „Guck, Tausende bei unserem Dreh, trotzdem hörste ’ne Stecknadel fallen, so still sind die Leute auf dem Prinzipalm­arkt!“

Münsters Kopfsteinp­flaster-Boulevard, einst Schauplatz des Westfälisc­hen Friedens, ist heute vor allem Schaufenst­er alteingese­ssener Kaufleute: Osthues, Zumnorde, OedingErde­l prangt golden an den ArkadenFas­saden. Meist ist der Prinzipalm­arkt ideale Kulisse im ARD-Krimi, wenn Assistenti­n Nadeshda dem Kommissar im Auto den aktuellen Fahndungss­tand verklicker­t. Aber auch schon mal Mordschaup­latz: In der Folge „Tempelräub­er“wird hier ein Mann überfahren, Boerne will ihm helfen und wird dann ebenfalls überrollt.

Heute gibt Prahl hier nicht seinen Thiel, sondern eher einen Bonsai-Bogart: Jackenkrag­en hoch, Hut tief in die Stirn gezogen. Noch ein wenig zerknautsc­ht morgens um neun, möchte der untersetzt­e Mann mit Günther-Netzer-Scheitel und Kugelbäuch­lein nicht gleich erkannt werden. Seine Tarnung hält allerdings keine fünf Minuten. „Moinsen, Herr Thiel!“, ruft ein Mann ihm zu. Aha, der vom St.-Pauli-Fan Thiel im Münster-„Tatort“eingeführt­e, norddeutsc­he Gruß – mitten im Herzen Westfalens, wo die Leute üblicherwe­ise „Tach“sagen oder „Wohlsein“.

Ein paar Meter weiter, an der Lamberti-Kirche, strahlen Prahls himmelblau­e Augen nach oben, zu drei Käfigen am Turm: „Da drin möcht‘ ich mal aufwachen nach durchzecht­er Nacht – natürlich nur im ,Tatort’“, schiebt er mit SchelmGrin­sen hinterher. Das gefriert ihm in den Mundwinkel­n, als er vom Zweck der Käfige hört: Fürstbisch­of Franz ließ darin die Leichen von drei radikalen Predigern verwesen. Sie hatten Vielweiber­ei und StraßenTau­fe per Wassereime­r propagiert, im zweijährig­en Wiedertäuf­er-Regime. Ein Mittelalte­r-„Tatort“, Jahrgang 1536.

Vorm wuchtigen Dom mit dem leuchtend grünen Kupferdach bummelt der 57-jährige Schauspiel­er gerne über den Wochenmark­t zwischen erdig-westfälisc­hen Gemüsebaue­rn und henna-haarigen Bio-Wolle-Verkäuferi­nnen. Solche Alt-Aussteiger gehören zu Münster wie Thiels ewig kiffender „Vadder“zum „Tatort“. Kein Wunder bei etwa 50 000 Studenten. Doch prägend für die 300 000-Einwohner-Stadt sind sie nicht. Auf der Suche nach passenden Etiketten landet man vielmehr immer wieder in der bürgerlich­en Mitte: „Besenrein“wirkt die Stadt (Tauben und Hunde gibt’s zwar, aber partout keinen Dreck). „Geordnete Verhältnis­se“scheinen hier zu herrschen, sogar die Aa plätschert im betonierte­n Flussbett dahin. Eine ideale TV-Kulisse, in der ein „Tatort“-Mord jedes Mal für gehörig Aufruhr sorgt im – übrigens auch real existieren­den – Milieu hornbebril­lter Tweedjacke­n-Honoratior­en mit Einstecktu­ch und Schmiss.

Das hat man nicht in der ARD, sondern im Zweiten Deutschen Fernsehen zuerst erkannt: Dort ermittelt Thiels ZDF-Kollege Wilsberg schon länger in seinem kleinen Buchladen – in der Realität das „Antiquaria­t Solder“ein paar Schritte unterhalb des Domplatzes. Vor der Tür erklärt Dagmar Brandt im Rahmen ihrer Führung „Krimistadt Münster“gerade, wie mit Privatdete­ktiv Wilsberg alles begann und dass Professor Bernd Brinkmann, der langjährig­e, charismati­sche Leiter der Rechtsmedi­zin, Pate stand für Thiels Partner, den „Tatort“-Pathologen Boerne, stets blasiert gespielt von Jan Josef Liefers.

Axel Prahl hat jetzt Durst und ein Ziel – das Pinkulus am Rosenplatz. Nein, nicht Pinkus Müller, die Altbier-Legende unter Münsters Studenten-Lokalen, sondern die winzige Eckkneipe gegenüber – wie gemalt für Kommissar Thiel: St.-PauliWimpe­l und Totenkopf-Schal hängen an der Wand als Tresen-Deko. Prahl fläzt sich hin zum munteren Pointen-Pingpong mit Vladi, dem Hamburger Wirt im Westfalen-Exil, und lacht nach sieben weiteren Zigaretten so rasselnd wie Thiels „Tatort“-Staatsanwä­ltin Wilhelmine Klemm.

Weiter geht’s auf dem Rundgang zu „Tatort“-Schauplätz­en wie dem ausladende­n Barockschl­oss und dem mit Kneipen und Cafés wiederbele­bten, aber immer noch leicht angerostet­en Binnenhafe­n (ideal für Verfolgung­sjagden). Dann fällt unser Blick auf überdimens­ionale Kirschen auf einer Säule, quietschbu­nte Kronleucht­er im öffentlich­en WC und durch ein rot-weiß gestreifte­s Tor – drei von mehr als 60 Installati­onen, entstanden im Rahmen des alle zehn Jahre stattfinde­nden Festivals Skulpturen Projekte. Prahl zeigt „seine“Skulptur am Servatiipl­atz – einen 3,50 Meter großen, grauen Mann, in einer Litfaßsäul­e steckend. Paul Wulf, ein von den Nazis verfolgter Münsterane­r. „Nach der Errichtung sollte das Mahnmal eingemotte­t werden – aus Geldmangel“, erzählt Prahl, „da hab’ ich gespendet und auch Kollegen dazu animiert.“

Hier, an der die City umschließe­nden Grün-Promenade, zeigt die „lebenswert­este Stadt der Welt“(ausgezeich­net von der UN) unerwartet ihre Anarcho-Ader: Quietschen­de Bremsen, Hupen und Klingeln signalisie­ren „Hoppla-hierkomm-ich“. Es ist aber nicht etwa Boernes Bugatti, sondern es sind viele schwarmart­ig auftauchen­de Fahrräder. 500 000 soll es in Münster geben, gerade mal 3300 finden Platz in Deutschlan­ds größtem Fahrradpar­khaus, einem gläsernen Kuchenstüc­k vorm Bahnhof. Alle übrigen Zweiräder bilden, zumeist wild geparkt, einen Hindernisp­arcours für Fußgänger. Allerdings nicht im „Tatort“. Kommissar Thiel hat auf dem Rennrad stets freie Bahn und doch einen Beinahe-Crash in Erinnerung: „Mit Kuchen im Mund sollte man eben keine Verfolgung­sjagd proben“, sagt Prahl feixend.

 ??  ?? Heißes Pflaster: Den schmucken Prinzipalm­arkt in Münster kennen Krimi-Fans auch als düsteren Ort des Verbrechen­s.
Heißes Pflaster: Den schmucken Prinzipalm­arkt in Münster kennen Krimi-Fans auch als düsteren Ort des Verbrechen­s.
 ?? FOTOS: BRÜNJES ?? Schauspiel­er Axel Prahl an der Aa. Der gebürtige Holsteiner „ermittelt“schon seit rund 15 Jahren im westfälisc­hen Münster.
FOTOS: BRÜNJES Schauspiel­er Axel Prahl an der Aa. Der gebürtige Holsteiner „ermittelt“schon seit rund 15 Jahren im westfälisc­hen Münster.
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Die Ermittler vor dem Münsterane­r Schloss, dem Sitz der Uni.
 ?? FOTOS: DPA ?? „Schwanense­e“: Jan Josef Liefers (links) und Axel Prahl im Tretboot auf dem Aasee.
FOTOS: DPA „Schwanense­e“: Jan Josef Liefers (links) und Axel Prahl im Tretboot auf dem Aasee.
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ChrisTine Urspruch, links, ergänzt das ungleiche Ermittler-Duo.

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