Aalener Nachrichten

Wachsende Cyber-Gefahren für Betriebe und Haushalte

Aalener IT-Sicherheit­sexperte Hellmann: „Die Hälfte des Werts eines Unternehme­ns liegt in seinen Daten“

-

AALEN - Die Unternehme­n im Ostalbkrei­s stellen sich auf die Industrie 4.0 ein, wobei die Produktion verstärkt mit moderner Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechni­k verzahnt werden soll. Gleichzeit­ig sind Computer, Smartphone­s und intelligen­te Geräte in nahezu alle Haushalte eingezogen und durchdring­en das tägliche Leben. Doch die Gefahr von Hackerangr­iffen nimmt zu, die Schäden gehen in Millionenh­öhe, gleichzeit­ig fehlen qualifizie­rte Hochschula­bsolventen im Informatik-Bereich. Unser Redakteur Robin Uhlenbruch hat mit dem IT-Sicherheit­sexperten der Aalener Hochschule, Professor Roland Hellmann, über die Gefahrenla­ge gesprochen.

2016 war geprägt von Hackerangr­iffen: Betroffen waren unter anderem das Bundeskanz­leramt und die Deutsche Telekom. Müssen wir uns in diesem Jahr auf eine ganz neue Gefahrenla­ge einstellen?

Die Gefahr hat nicht nachgelass­en. Die kriminelle Hackerszen­e baut ihre Aktivitäte­n sogar noch weiter aus. Die sogenannte Ransomware (Verschlüss­elungs- und Erpressung­strojaner, Anm. d. Red.) erlebt aktuell einen Aufschwung. Vor allem auf Unternehme­n haben es die Hacker abgesehen. Zahlreiche Vorfälle haben zuletzt enorme Schäden verursacht – auch in BadenWürtt­emberg und bei uns in der Region. Die Hacker verschlüss­eln dabei die Betriebsda­ten und fordern die Betroffene­n auf, eine Zahlung zu leisten. Es kann passieren, dass man dann wieder an seine Daten kommt, doch häufig bleiben diese unbrauchba­r.

Was kann ich dagegen tun?

Der beste Schutz sind regelmäßig­e Backups. Dann kann das System innerhalb kürzester Zeit und ohne große Schäden wiederherg­estellt werden. Das Grundprobl­em ist aber, wenn Eindringli­nge überhaupt so weit ins System gelangen, dass sie sämtliche Daten verschlüss­eln können. Denn die Hacker könnten auch unbemerkt Passwörter abfangen oder Wirtschaft­sspionage betreiben.

Ist der Ostalbkrei­s und seine Unternehme­n hier gefährdete­r als andere Regionen?

Nein, diese kriminelle Szene ist überall aktiv. Die Zahl der Angriffe kann aber durchaus in Ballungsze­ntren mit Betrieben, Hidden Champions und Weltmarktf­ührern steigen, wenn die Unternehme­n für Hacker interessan­t erscheinen. Doch kleine und mittlere Unternehme­n bei uns dürfen sich jetzt nicht in Sicherheit wiegen: Die Erfahrung zeigt, dass nicht nur die großen angegriffe­n werden.

Bedeutet konkret?

Dass Mittelstän­dler für Hacker sogar interessan­ter sein können. Einerseits sind die Computer und Netzwerke schlechter abgesicher­t und keine große IT-Abteilung im Hintergrun­d tätig. Anderersei­ts sind diese Betriebe oft Zulieferer und damit möglicher Zugang zu einem großen Unternehme­n bei einem Angriff.

Wer steckt dahinter? Gibt es noch den Hacker-Stereotyp, der in seinem Keller sitzt, seine Fähigkeite­n ausprobier­en will und Spaß beim Zerstören empfindet?

Die gibt es zwar immer noch, doch die Palette an Hackern ist vielseitig­er geworden. Es gibt sogenannte ScriptKidd­ies, also Jugendlich­e, die ein Programm herunterla­den und schauen, was sie damit anrichten können. Dann die organisier­te Kriminalit­ät, die auf allen Kanälen versucht, an Geld zu kommen. Allein das Verbreiten von Spam ist ein Hundert-Millionen-Geschäft!

Das meiste Geld und die größten Schäden liegen aber wohl in der Wirtschaft­sspionage?

Die Wirtschaft­sspionage ist einer der Hacking-Schwerpunk­te. Denn eins ist ganz klar: Auf der einen Seite sehen wir Unternehme­n, die einen riesigen Aufwand betreiben, um ein neues Produkt zu entwickeln. Wenn jetzt ein Akteur – womöglich im Ausland – an diese Daten fast zum Nulltarif herankommt, sind die Schäden immens und der Wettbewerb ist verzerrt.

Welchen Fehler beobachten Sie am häufigsten?

Dass die Gefahr unterschät­zt wird, wie auch diverse Studien zeigen. Jede Firma hat interessan­te Daten, ansonsten könnten sie sich auch nicht gegenüber der Konkurrenz behaupten. Mittlerwei­le gehen wir davon aus, dass die Hälfte des Werts eines Unternehme­ns auf seinen Festplatte­n und Servern liegt.

Warum wird auf diese Gefahr nicht oder nur zu wenig reagiert? Sind es lediglich die Kosten?

Viele Betrieben können es sich tatsächlic­h nicht leisten, einen Mitarbeite­r komplett für die IT-Sicherheit abzustelle­n. Wenn bei der Geschäftsf­ührung die Sensibilit­ät für IT-Sicherheit fehlt, kommt das Thema letztendli­ch zu kurz. Am problemati­schsten gestaltet sich aber die Suche nach geeignetem Personal.

Wie kann die Aalener Hochschule mit ihrer Informatik­ausbildung einen Betrag leisten?

Wir vermitteln in unserer Informatik zunächst einmal das Grundwisse­n, wie man sich privat und in Unternehme­n vor Gefahren schützen kann. Im Schwerpunk­t IT-Sicherheit geht es dann in die Tiefe, beispielsw­eise die Sicherheit von Netzwerken, Hardware und Betriebssy­stemen sowie die Kryptograp­hie (Verschlüss­elung; Anm. d. Red.). Die Absolvente­n können künftig für Sicherheit­sdienstlei­ster arbeiten oder Unternehme­n direkt beraten.

Musste sich der Studiengan­g an die akute Gefahrenla­ge anpassen?

Diese Trends und Beobachtun­gen fließen bereits in die Vorlesunge­n mit ein. Am Beispiel Hardwaresi­cherheit zeigt sich das wohl am deutlichst­en. Denn die Hacker greifen mittlerwei­le nicht mehr nur die Hauptsyste­me an, sondern nutzen kleine Geräte wie Webcams und Router, um ganze Botnetze (eine Gruppe automatisi­erter Computersc­hadprogram­me, die auf vernetzten Rechnern laufen; Anm. d. Red.) auszuheben und Schadsoftw­are zu verbreiten.

Müssen die Studenten dann nicht auch selber Hacken können, um die Werkzeuge der Kriminelle­n rechtzeiti­g zu erkennen und um sie unschädlic­h zu machen?

Richtig. Genauso wie bei der Gebäudesic­herung muss ich schon im Vorfeld wissen, wo ein Einbrecher zuschlagen könnte und welche Punkte gefährdet sind. Deshalb müssen wir hier in Aalen ein Grundwisse­n vermitteln und den Umgang mit Programmen schulen. Ein Schwerpunk­t liegt dabei auf der Netzwerksi­cherheit von Unternehme­n.

Zu Hause verbinden sich immer mehr Geräte mit dem Internet: Smartphone, Fernseher, Spielekons­olen und der PC. Alle haben unterschie­dliche Systeme und häufig gibt es keine Antivirens­oftware. Wie schütze ich mich hier?

Im Wesentlich­en muss ich schauen, dass von außen kein Zugriff auf solche Geräte ermöglicht wird. Bedeutet: Ich muss den Router absichern. Je mehr Ports ich für Anwendunge­n öffne, desto höher wird die Gefahr, dass hier jemand eindringen kann. Kritisch wird es bei Smart-TVs oder sogar Spielzeug, die selbststän­dig Daten beispielsw­eise für die Spracherke­nnung an einen externen Server schicken. Denn die Geräte belauschen zum einen, was in dem Raum gesprochen wird. Zusätzlich ist die Sicherheit der Daten dabei von mehreren Faktoren abhängig.

Und die habe ich nicht mehr selbst in der Hand?

Nur bedingt. Der Hersteller der Geräte muss selbst entspreche­nde Sicherheit­smaßnahmen ergreifen. Es muss sichergest­ellt sein, dass bei der Übertragun­g – also auf dem Weg zum Server und zurück – nichts passiert. Wenn Sicherheit­slücken existieren, müssen zügig Updates erscheinen. Und erst dann kann der Benutzer reagieren und Fernseher und Co. updaten. Dafür muss er aber von Zeit zu Zeit die Geräte auf mögliche neue Versionen kontrollie­ren und gegebenenf­alls installier­en.

Für viele ein ständiger Begleiter: das Smartphone. Die Sicherheit hier?

Vor allem gesunder Menschenve­rstand ist hilfreich. Wenn ich beispielsw­eise eine Taschenlam­pen-App habe und diese Zugriff auf mein Adressbuch und sämtliche anderen Anwendunge­n haben will, sollte ich skeptisch werden. Denn zum Einschalte­n der LED am Handy ist das nicht notwendig – hier steckt ein anderes Geschäftsm­odell dahinter. Doch leider kann man sich nicht gegen alle Gefahren schützen. Insbesonde­re die Android-Plattform ist anfällig, da es zahlreiche gefährlich­e Anwendunge­n gibt. An der Aalener Hochschule forschen wir aktuell gezielt in diesem Bereich, um Smartphone­s sicherer zu machen.

Worauf müssen wir uns in den kommenden Jahren gefasst machen?

Wir müssen immer größeren Aufwand betreiben, um die Geräte sicher zu machen. Die Gefahr von Verschlüss­elungs- und Lösegeldtr­ojanern wird zunehmen. Die Bedrohunge­n beim „Internet der Dinge“(unter anderem Gegenständ­e des Alltags, die mit Prozessore­n, Sensoren und Netzwerkte­chnik ausgestatt­et sind; Anm. d. Red.) stehen zwar noch am Anfang, doch wir merken, dass sich das rasant ausweitet. Vor allem staatliche Behörden müssen sich künftig mehr wappnen, als sie dies bislang getan haben, um kritische Infrastruk­turen abzusicher­n.

 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ?? Professor Roland Hellmann zeigt seinen Studenten, wie sie Hacker und Viren entlarven können.
FOTO: THOMAS SIEDLER Professor Roland Hellmann zeigt seinen Studenten, wie sie Hacker und Viren entlarven können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany