Terroranschläge auf Christen in Ägypten
Mindestens 44 Tote am Palmsonntag – IS bekennt sich
KAIRO (dpa/AFP) - Bei den schwersten Terrorangriffen seit Jahren auf die christliche Minderheit in Ägypten sind viele Gläubige getötet worden. Selbstmordattentäter rissen mindestens 44 Menschen bei Anschlägen auf zwei koptische Kirchen im Norden des Landes am Palmsonntag mit in den Tod. Staatschef Abdel Fattah alSisi verhängte am Abend einen dreimonatigen Ausnahmezustand. Zuvor hatte die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) die Taten, bei denen etwa 120 weitere Menschen verwundet wurden, für sich reklamiert.
Das Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche, Papst Tawadros II., entging dem Terror in Alexandria unverletzt. Ende April will Papst Franziskus Kairo besuchen. „Wir beten für die Opfer des Attentats“, sagte er beim Angelus-Gebet in Rom.
Am Morgen des Palmsonntags zündete zunächst ein Sprengsatz in der koptischen Kirche St. Georg in der nordägyptischen Stadt Tanta. Wenige Stunden später sprengte sich ein zweiter Selbstmordattentäter außerhalb einer Kirche in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria in die Luft. Hier seien wenigstens 16 Menschen getötet und weitere 41 verletzt worden, teilte das Gesundheitsministerium in Kairo mit. Nach Darstellung des Innenministeriums hielten Sicherheitskräfte den Mann zuvor ab, in die St. Markus Kirche einzudringen, in der sich Papst Tawadros II. aufhielt.
Christen machen in Ägypten zehn Prozent der etwa 94 Millionen Einwohner aus. Sie können ihre Religion weitgehend frei ausüben und leben größtenteils friedlich mit der muslimischen Bevölkerung zusammen.
Die Europäische Union sicherte Ägypten Solidarität im Kampf gegen den Terror zu. „Die Verantwortlichen für die Angriffe müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, erklärte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in Brüssel. Russlands Präsident Wladimir Putin betonte, wie wichtig der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus sei. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach von einem feigen Mord an koptischen Christen, während diese am Palmsonntag Gottesdienst feierten.
KAIRO (dpa) - Der „Stabilitätsanker“Ägypten erlebt einen der blutigsten Tage der letzten Jahre. Bei zwei Anschlägen auf christliche Kirchen sterben mindestens 44 Menschen.
In ihren weiß-roten Gewändern stehen die koptischen Würdenträger in der Kirche St. Georg und singen. Es ist ein besonderer Sonntag für die Christen in der Stadt Tanta im Nildelta nördlich von Kairo. Es ist der Palmsonntag vor Ostern. Dann fällt das Bild des Videos aus. Die gewaltige Explosion ist nur zu hören. Sie hallt an den Wänden des Gotteshauses wider und erfasst Dutzende Gläubige.
Wenige Stunden später in Alexandria: Ein Mann will in die Kirche St. Markus eindringen, in der das Oberhaupt der koptisch-orthodoxen Kirche, Papst Tawadros II., die Messe hält. Nach Darstellung des Innenministeriums können ihn Sicherheitskräfte davon abhalten. Er sprengt sich vor dem Gotteshaus in die Luft und reißt viele Menschen mit in den Tod. Der schwerste Angriff seit Jahren auf Christen in Ägypten forderte mindestens 45 Menschenleben. Er traf die religiöse Minderheit, zielte aber auf die Stabilität eines ganzen Landes.
Wacklige Handyvideos flimmern über die Fernseher der Wohnzimmer und Teestuben am Nil. Sie zeigen einen blutverschmierten weißen Steinboden, menschliche Überreste und in Panik fliehende Personen. Ein Bild verweilt auf einem zurückgelassenen Schuh am Anschlagsort Tanta.
Am Nachmittag passiert das, womit ohnehin jeder gerechnet hatte. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) reklamiert die Bluttat für sich. Wie vor vier Monaten, als ein Selbstmordattentäter in Kairo fast 30 Menschen in einer Kirche tötete. Die Dschihadisten, die seit Jahren im Norden der unruhigen ägyptischen Sinai-Halbinsel aktiv sind, zielen seit Monaten verstärkt auf die Millionen Christen im Land, die etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie wollen dabei ganz Ägypten destabilisieren.
Kampfansage an die Regierung
Im Februar veröffentlichte der IS ein Video, in dem er den angeblichen Attentäter von Kairo zeigte. „Zu meinen Brüdern in Gefangenschaft“, sagte da ein maskierter Mann, „freut euch, ihr Gläubigen, verzagt nicht und seid nicht traurig. Ich schwöre bei Gott, wir werden Kairo sehr bald befreien und euch aus der Gefangenschaft holen. Wir werden mit Sprengstoff kommen.“Es ist eine Kampfansage auch an die autoritäre Regierung des Landes, das von westlichen Politikern gerne als dringend benötigter „Stabilitätsanker“mitten im Tumult arabischer Bürgerkriege bezeichnet wird. Ein wackelndes Ägypten würde in Berlin und Washington Besorgnis auslösen.
Der Terror ist eines der größten Probleme von Staatschef Abdel Fattah al-Sisi. Noch vor einem Monat stand er im Präsidentenpalast neben einer Besucherin, Kanzlerin Angela Merkel, und verteidigte seine autoritäre Führung angesichts der Terrorbedrohung, die man zur Kenntnis nehmen müsse. „Dann würden Sie verstehen, warum wir solche Maßnahmen treffen.“Kritiker halten al-Sisi allerdings entgegen, dass er mit der rigorosen Bekämpfung aller – auch gemäßigter – Islamisten die nächste Generation von Extremisten heranzüchte.
Merkel bescheinigte den Christen am Nil vor ihrem Besuch noch „eine sehr gute Situation für die Ausübung ihrer Religion“. Ägypten sei in dieser Hinsicht „beispielhaft“. Und in der Tat leben Christen und Muslime in Ägypten, das Ende April von Papst Franziskus besucht werden soll, größtenteils friedlich Seite an Seite.
Doch der IS könnte vereinzelte Spannungen verschärfen. Nach einer Mordserie auf dem Sinai mussten zuletzt Hunderte Kopten in andere Landesteile fliehen. Die Christen in Ägypten, sie dürften sich so bedroht fühlen wie lange nicht. Unter dem islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi, der 2013 gestürzt wurde, befürchteten viele die Unterdrückung durch den Staat. Heute haben sie Angst vor Gewalt.
Der Sprecher des Außenministeriums schrieb auf Twitter, die Anschläge seien „ein verfehlter Versuch“, das Land zu spalten. Die Stellungnahme dürfte weniger Gewissheit, sondern vielmehr die Hoffnung der ägyptischen Regierung widerspiegeln.