Brustkrebs in der Gesundheitsserie
Brustkrebs ist die häufigste Krebsart bei Frauen, zudem nehmen die Fallzahlen zu – Gleichzeitig waren die Heilungschancen noch nie so gut
RAVENSBURG (dg) - Zwar nehmen die Fälle von Brustkrebs in Deutschland beständig zu – doch noch nie waren die Chancen auf Heilung so aussichtsreich. Etwa 50 Zentren im Südwesten sind von der Gesellschaft für Senologie und der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert, um die Behandlung von betroffenen Frauen durchzuführen.
TUTTLINGEN - Dass Meike Schönauer möglicherweise an der Schwelle vom Leben zum Tod steht, ist der 47-Jährigen nicht anzusehen. Um den Kopf hat sie ein graues Tuch mit silbernen Pailletten gewickelt, auf die Stirn fallen sauerstoffblonde Haarsträhnen. Make-up gibt dem schmalen Gesicht einen warmen Teint. Dünn gezogene Augenbrauen und eine Bluse mit Pumpärmeln vermitteln den Eindruck, dass hier jemand ist, der auf sich achtet. Zu diesem Äußeren will allein ihre Aussage nicht passen: „Die Krankheit verändert einen, daran habe ich als Frau sehr zu knabbern.“Meike Schönauer, die eigentlich anders heißt, hat Brustkrebs. Schon zum zweiten Mal in ihrem Leben. Wimpern, Augenbrauen und Kopfhaare hat sie während der Chemotherapie weitestgehend verloren, mit Schminke und Kunsthaar trotzt sie dem Angriff auf ihre Weiblichkeit. Und sie tröstet sich: „Es kommt ja alles wieder zurück.“Wenn der Plan in Erfüllung geht: Gesund werden und gesund bleiben. Die Aussichten dafür stehen nicht mal schlecht.
Mit dem Alter steigt das Risiko
„Die Überlebenschancen bei Brustkrebs sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen“, sagt Sibel Özder, die das Brustzentrum Villingen-Schwenningen/Tuttlingen leitet, in dem auch Meike Schönauer behandelt wird. „Die meisten Patienten“, so Özder weiter, „die noch nicht metastasiert sind, können wir heilen.“(Metastase ist die Absiedelung eines bösartigen Tumors in entferntem Gewebe, die Red.)
Und das bei einer Krebsart, bei der sich die Zahl der Fälle seit den 1980er-Jahren verdoppelt hat. Mehr als 70 000-mal im Jahr stellen Mediziner nach Angaben des RobertKoch-Instituts die Diagnose „Mammakarzinom“. Brustkrebs ist somit die häufigste Krebserkrankung bei Frauen.
Woran das liege, könne die Wissenschaft noch nicht sagen, bedauert Oberärztin Sibel Özder. Die Statistik werde allerdings durch verbesserte Diagnoseverfahren beeinflusst, da bei einem „Mammografie-Screening inzwischen auch kleinste Brustkrebszellen sowie Vorstufen“erkannt werden. Auch die höhere Lebenserwartung bei Frauen schlägt sich in den Zahlen nieder, da das Erkrankungsrisiko mit dem Alter steigt. Brustkrebs ist zwar die häufigste Krebsart bei Frauen – aber nicht die gefährlichste. Denn mit der steigenden Zahl der Neuerkrankungen sinkt gleichzeitig jene der Sterbefälle. Rund 80 Prozent aller erkrankten Frauen leben auch zehn Jahre nach der Diagnose noch.
Diese Zahlen und die eigene Erfahrung machen Meike Schönauer Mut. Sie erlebt den Alptraum einer jeden Frau zum zweiten Mal. Vor zwölf Jahren war es, als sie morgens unter der Dusche einen Knoten ertastete. Schon damals ließ sie sich am Klinikum Tuttlingen untersuchen, schon damals lautete die Diagnose: bösartig.
„Wir hatten gerade die Hochzeit geplant“, erinnert sich Schönauer an die Zeit. Dann der Schock, Brustkrebs, mit 35. „Plötzlich war nichts mehr wie vorher.“Es folgte eine Chemotherapie, verbunden mit Übelkeit bis zum Erbrechen, später die Entfernung des Tumors. Langsam fand sie zurück ins Leben, langsam schwand die Angst vor einem erneuten Ausbruch der Krankheit. Nach einer Weile konnte sie wieder zu 100 Prozent in ihren Marketingjob einsteigen, „das war mir wichtig, das gab mir Kraft, leistungsfähig zu sein“. Bis vor einigen Wochen, als sie wieder unter der Dusche und an derselben Brust dann eine Verhärtung spürte.
Der Schock sei diesmal nicht ganz so groß gewesen, „vielleicht, weil ich es schon einmal durchlaufen habe“. Und weil sich in den vergangenen zwölf Jahren die Behandlungsmethoden nochmals deutlich verbessert haben.
„Ganz früher hieß es, Chemotherapie, Brust ab“, sagt Sibel Özder. Diese Zeiten seien lange vorbei, aber nicht nur das: „Wir wissen heute sehr viel über Brustkrebszellen. Und wir wissen, dass sie sich sehr unterschiedlich verhalten. Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs.“Für die Patientinnen bedeutet das: „Wir wollen ihnen eine maßgeschneiderte Therapie anbieten.“
Interdiziplinäre Planung
In der Regel verläuft die Krankheit so: Nach einer Früherkennung wird eine Gewebeprobe entnommen und die Krebszelle genau untersucht; nach Oberflächenbeschaffenheit, Hormonrezeptoren, Aggressivität des Tumors. Anschließend legen Strahlentherapeuten, Radiologen, Gynäkologen, Hämatologen und Pathologen gemeinsam einen Therapieplan fest. Sibel Özder sagt aber: „Heute muss man nicht Angst vor Brustkrebs haben, sondern davor, dass er zu spät erkannt wird.“
Dieser kann sehr unterschiedlich ausfallen, in der Medikation, in der Chemotherapie oder in der Antikörpertherapie, die als sehr wirksam gilt, die sich aber nur für 15 Prozent der Patientinnen eignet. Alles in allem lautet die Zauberformel: individuelle Behandlung, ermöglicht durch eine Vielzahl an unterschiedlichen Medikamenten, die fortlaufend in Verträglichkeit und vor allem spezifischer Wirksamkeit verbessert werden.
Darunter Medikamente, die sogar bei Sterbenskranken, also da, wo der Krebs bereits gestreut hat, zwar nicht heilend, aber tief in die Krebszelle dringend erstaunlich lebensverlängernd wirken. „Wir hatten schon chronische Krankheitsverläufe von zehn Jahren und mehr bei hoher Lebensqualität“, betont Sibel Özder.
Darüber hinaus rät die Ärztin Erkrankten, ganz egal in welchem Stadium, zu aktiver Lebensweise gepaart mit gesunder Ernährung: „Die Studien sind hier eindeutig: Sport und bewusste Ernährung erhöhen die Heilungschancen und beugen auch vor.“
Zehn Prozent genetisch bedingt
Eine Brustentfernung dagegen ist heute die allerletzte Möglichkeit, sie wird nur bei einem besonders großen Tumor vorgenommen, der sich über weite Teile der Brust erstreckt. In seltenen Fällen erfolgt der Eingriff als Vorsichtsmaßnahme, wie bei der Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie, bei der eine genetische Veranlagung vorliegt. Dabei geht es um das sogenannte BRCA1- oder das BRCA2-Gen.
„Nur jeder zehnte Brustkrebs ist genetisch bedingt, dann ist das Risiko einer Erkrankung aber sehr hoch“, sagt Wolfgang Janni, Leiter der Frauenklinik Ulm, die Mitglied ist im BRCA-Netzwerk. Die Brust wird auch nicht mehr amputiert, sondern die Brustdrüsen werden entnommen, Haut und Brustwarze bleiben erhalten. Manche der betroffenen Frauen verzichten auf diesen Schritt und intensivieren die Vorsorge mit einer Kombination aus Mammografie und Kernspintomografie. Ab dem 40. Lebensjahr, nach abgeschlossener Familienplanung, raten Ärzte allerdings zu einer Entfernung der Eierstöcke, was laut Janni wiederum das Brustkrebsrisiko vermindere.
Der Körper ist die eine Sache. Der Geist , die Gefühle eine andere, wenn man mit der Furcht vor dem Tod leben muss. Mit der physischen Behandlung geht daher eine psychische einher, die schon mit der Diagnose beginnt. „Mut machen ist wichtig“, sagt Sibel Özder. „Wenn die Patientin eine Perspektive hat, ist das genauso wirksam wie die Chemotherapie.“
Meike Schönauer hat diese Perspektive, dafür ist sie dankbar: „Ich habe schon Frauen getroffen, die wie ich in jungen Jahren Brustkrebs bekamen und nicht überlebt haben.“Das soll ihr nicht passieren. Damals, mit 35, hat sie nur zehn Tage nach der Operation geheiratet. Ihr Mann und ihre Freunde stehen auch heute hinter ihr, geben ihr Kraft, damit der Plan in Erfüllung geht: Gesund werden und gesund bleiben.