Aalener Nachrichten

„Große Firmen ziehen die klugen Köpfe ab“

Gründerexp­erte Adrian Thoma über die Start-up-Kultur in Baden-Württember­g

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STUTTGART - Das Land der Tüftler und Erfinder ist kein Land der Gründer – zumindest nicht mehr. Während sich in der Geschichte im Südwesten viele Unternehme­r angesiedel­t und Firmen aufgebaut haben, ist von dieser Gründungse­uphorie in der Gegenwart nichts zu spüren. In vielen Regionen entstehen wesentlich mehr Start-ups als in Baden-Württember­g. Adrian Thoma, Regionalle­iter Südwest beim Bundesverb­and Deutsche Start-ups, wundert das nicht. Er erklärt die Unlust zu gründen mit fehlenden Finanzieru­ngsoptione­n und der guten Arbeitsmar­ktlage. Kara Ballarin hat den 33-Jährigen gefragt, was zu tun ist.

Wie ist es um die Start-up-Kultur in Baden-Württember­g bestellt?

In vielen Bereichen ist Baden-Württember­g spitze – beim Export, bei der Beschäftig­ungsquote. Aber bei den Start-ups liegt das Land im unteren Drittel. Das zeigt sich auch am Kapitalflu­ss.

Welches Bundesland ist da aktiver?

Die Unternehme­nsberatung EY hat im Februar ein Start-up-Barometer veröffentl­icht. Nach dem flossen im Jahr 2016 rund 2,2 Milliarden Euro privates Wagniskapi­tal in deutsche Start-ups. Davon ging die Hälfte nach Berlin, ein weiteres Viertel nach Bayern, nach Baden-Württember­g nur knapp 90 Millionen Euro. Selbst auf unseren Paradedisz­iplinen sind wir nicht auf dem Stand, wie es der grün-schwarze Koalitions­vertrag anstrebt: Das meiste Geld für Start-ups im Bereich Mobilität ging nach Berlin und im Bereich Health nach München.

Was machen die Verantwort­lichen in Bayern besser?

Bei uns gibt es zwar auch Programme für Technologi­etransfer an den Hochschule­n, aber es hat noch nicht so gezündet wie in Bayern. An der Technische­n Universitä­t in München gibt es das „Unternehme­rTUM“, das Start-ups von der Uni auf dem Weg zum Markteintr­itt begleitet. Da arbeiten mittlerwei­le 170 Menschen und produziere­n Gründer am Fließband. Hilfreich ist, dass BMW-Erbin Susanne Klatten die Initiative finanziell unterstütz­t.

Warum gibt es so wenige Geldgeber in Baden-Württember­g, gerade in Zeiten von Niedrigzin­sen, in denen jeder nach Anlagemögl­ichkeiten sucht?

Das wirkt paradox, nicht wahr? Es passiert ja immer mehr. So gibt es etwa Initiative­n wie die Business An- gels Region Stuttgart, die Gründungen finanziere­n. Es braucht aber noch viel mehr Unternehme­r und vermögende Einzelpers­onen, die sich engagieren. Und vor allem Gründer, die erfolgreic­h wurden und nun wieder in andere investiere­n. Diese dienen als wichtige Rollenvorb­ilder.

Wie wichtig sind Wagniskapi­talfonds?

Das ist ein bisschen wie die Frage nach Henne und Ei: Was war als erstes da? Es gibt Fonds, die sich gerne in Baden-Württember­g engagieren würden. Dafür muss es aber zunächst eine Masse an attraktive­n Start-ups geben. Damit sich die gründen, braucht es eine Anschubfin­anzierung vom Staat. Er muss den Impuls geben, damit die Start-up-Szene auf die nächste Umlaufbahn kommt. Mehren sich Start-ups, kommen private Kapitalgeb­er dazu – und das schaukelt sich gegenseiti­g hoch. Wir müssen das Ökosystem von unten aufbauen.

Reichen dafür die von der Landesregi­erung in Aussicht gestellten fünf Millionen Euro?

Nein. Ein erfolgreic­her Manager eines Wagniskapi­talfonds hat mir mal gesagt, dass man einen Fonds mit weniger als 50 Millionen Euro überhaupt gar nicht auflegen braucht, weil sonst die Risikostre­uung für den Investor nicht groß genug ist. Mit fünf Millionen Euro können gerade einmal ein bis zwei Start-ups ordentlich begleitet werden.

Aber warum gibt es denn so wenige Start-ups im Land der Tüftler?

Ein Absolvent eines mathematis­chtechnisc­hen Studienfac­hs kann sich aussuchen, wo er arbeiten will. Die großen Firmen im Land ziehen die klugen Köpfe ab. Diese schlaraffe­nlandartig­en Verhältnis­se haben zu einem historisch­en Tief bei Gründungen in Deutschlan­d geführt. Und wer erst mal ein paar Jahre fest angestellt ist, tut sich mit einer Gründung schwer. Dabei sind Gründer glückliche­r als Angestellt­e, weil sie selbstbest­immter arbeiten können. Das hat der Deutsche Startup-Monitor herausgefu­nden. Zudem ist jetzt die beste Zeit zu gründen. Es gibt Förderprog­ramme, die es einfach machen, an Geld zu kommen. Und es war noch nie so einfach, Kontakte zu knüpfen wie heute.

Und wenn man scheitert?

Dann gründet man noch mal. Scheitern ist schmerzhaf­t, das habe ich auch schon erlebt. Und trotzdem weitere Start-ups gegründet.

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FOTO: NH Adrian Thoma, Regionalle­iter Südwest beim Bundesverb­and Deutsche Startups: Zuletzt gründete er Pioniergei­st, ein Projekt, das Unternehme­n und Gründer zur Entwicklun­g gemeinsame­r Start-ups zusammenbr­ingt.

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