Aalener Nachrichten

Die Magie der Marionette­n

Christine Schlegelmi­lchs Weg als Schauspiel­erin bis zur Herrin eines Puppenvolk­es

- Von Johannes Müller

AALEN - Ihre 70 Jahre sieht man Christine Schlegelmi­lch nicht an, die sie heute mit ihrem Geburtstag feiert. Die Magie der Marionette­n, der sie sich seit Jahrzehnte­n hingibt, hält fasziniere­nd jung. Und doch war es ein langer Weg als Schauspiel­erin und Theaterlei­terin, bis sie Herrin eines 50-köpfigen Puppenvolk­es wurde, das ihr Haus in Aalen-Unterromba­ch, Hermelinst­raße 36/6, vom Keller bis zum Dach ausfüllt.

Am 21. April 1947 als fünfte und jüngste Tochter in Ostpreußen geboren, konnte sie nicht lange in ihrer Heimat bleiben. Nach einer Flucht mit ihren Eltern wuchs sie in Ballensted­t in der DDR auf. Dann ging es mit der Familie in den Westen, wo sie in Königsbron­n landete. Hier gründete ihr Vater ein Betonwerk.

In Heidenheim machte sie eine Buchhändle­rlehre und lernte beim Verkauf von Wanderkart­en ihren späteren Mann Rudolf Schlegelmi­lch kennen, der als Physiker bei Zeiss in Oberkochen tätig war. Ihre Theaterarb­eit begann Christine mit einer dreijährig­en Schauspiel­ausbildung in Heidelberg. Anschließe­nd ging sie in fünf Landesbühn­en ins Engagement, unter anderem Saarbrücke­n, Bamberg und Bregenz.

Das Städtethea­ter Dinkelsbüh­l war die Brücke nach Aalen, wo sie Wurzeln schlug, heiratete und eine Tochter bekam. Aber es dauerte lange Zeit, bis sie sich doppelglei­sig ein theaterähn­liches Areal schaffte. Sie animierte einerseits ein Amateurthe­ater, mit dem sie im Ulmschneid­erSaal der VHS und im evangelisc­hen Gemeindeha­us große Stücke spielte. Parallel dazu schuf sie Theaterfig­uren aller Art.

Um die Arbeit mit den Theaterama­teuren zu vertiefen, machte sie eine Theaterspi­elleiterau­sbildung. „Damit kam ich auf insgesamt sieben tolle Inszenieru­ngen, auf die ich noch heute stolz bin“, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Unter diesen Erfolgen waren Molières „Don Juan“und Michael Endes „Das GauklerMär­chen“. Der Renner war das damals sehr beliebte „August, August“.

Stabpuppen in Lebensgröß­e

„Es hat viele persönlich­e und menschlich­e Gründe, dass ich mich dann doch für mein Puppenvolk entschied“, berichtet Christine Schlegelmi­lch vom Wandel ihres künstleris­chen Schaffens. Einer der Auslöser dazu war ein Stück für den Aalener „DritteWelt-Laden“, für das sie Stabpuppen in Lebensgröß­e fertigte. Von der Idee bis zur Aufführung trägt nun alles ihre Handschrif­t und das unabhängig und in völliger Freiheit. Ihr Vorrat an Figuren umfasst das Personal für ganze Opern als Puppenspie­l. So hängt beispielsw­eise für Mozarts „Zauberflöt­e“von Papageno über Zarastro bis zur zauberhaft­en „Königin der Nacht“in dunkelblau­em Gewand das ganze Ensemble bereit. Damit und mit anderen Stücken hat sie schon ihr Publikum in Stuttgart, München, Kempten, Hanau und vielen anderen Orten begeistert. In einigen Stücken wurde sie von ihrer Tochter Clara begleitet, die inzwischen Musikerin ist. Beim Marionette­ntheater geht es der Künstlerin immer auch darum, menschlich­e, insbesonde­re seelische Vorgänge, die sonst hinter normierten Masken verborgen bleiben, erlebbar zu machen. Auch kräftige Sozialkrit­ik beflügelt ihr Schaffen. Wichtig sind ihr die zeitlosen Wahrheiten. „Was beim Schauspiel­er außer der Sprache die Mimik ausdrückt, leistet bei der Marionette die Körperspra­che“, erläutert sie und ermuntert, ihre Stücke, die sie immer noch spielt, anzuschaue­n. Ein weiteres Standbein für ihre Auftritte ist das Saxofonspi­el, das sie auch im Zusammensp­iel im Ensemble pflegt. „Das versüßt mir den Alltag“, bekennt sie. Wenn sie mit einigen Mitglieder­n ihres früheren Aalener Amateur-Ensembles nun ihren Geburtstag feiert, wird wohl auch als Ausdruck der Lebensfreu­de ihr Saxofon erklingen.

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FOTO: PRIVAT

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