Aalener Nachrichten

Geboren, um zu laufen

Zu Besuch beim Sommertrai­ning mit Huskys in Norwegen

- Von Lilia Ben Amor schwaebisc­he.de/huskys

MERÅKER - Die Welt ist voller tierischer Begegnunge­n. Viele möchten auch im Urlaub mit Tier und Natur auf Tuchfühlun­g gehen. In der Gegend Meråker in Norwegen können Urlauber und Einheimisc­he Huskytoure­n auch im Sommer machen. Lilia Ben Amor, Volontärin bei der „Schwäbisch­en Zeitung“, hat eine dieser Touren mitgemacht.

Nach dem Frühstück tritt Bodil Bakken auf die Veranda ihres rotweißen Schwedenhä­uschens und sieht auf das Thermomete­r. Es ist Hochsommer in Norwegen: 15 Grad. Das heißt, viel mehr als eine halbstündi­ge Tour ist heute nicht drin. „Die Huskys würden rennen, bis sie tot umfallen“, sagt Bodil und sucht bereits die ersten Hunde für die Tour aus.

Huskys sind für winterlich­e Schneegest­öber geschaffen. Für weiße Landschaft­en und eisige Temperatur­en. Die Sommertour­en sind für die Hunde auf Bodil Bakkens Hof in Meråker reines Training. Sie will die Huskys beschäftig­en und sie auf die langen Winterfahr­ten vorbereite­n. Dafür fährt Bodil im norwegisch­en Sommer von Mitte Mai bis Mitte August kurze Touren. Die Hunde ziehen kleine Wagen mit Rädern oder kleine Elektrofah­rzeuge.

„Die Huskys würden rennen, bis sie tot umfallen.“

Husky-Trainerin Bodil Bakken

Schlittenf­ahrten auf Kufen kennt der Tourismus zur Genüge, aber die Sommerfahr­ten sind noch weitgehend unbekannt. Heute darf ich eine dieser Sommertour­en ausprobier­en. Als Schlittenf­ührerin muss Bodil die Hunde im Sommer klug auswählen und zusammenst­ellen. Denn bei den für Huskys heißen Temperatur­en können die schwächere­n Hunde schnell schlapp machen.

„Nimm mich, nimm mich!“, schreien die Huskys, erklärt Bodil. Und sie rasten wirklich vollkommen aus. Sobald sie mit ihrem Praktikant­en Nick die Leinen und die Karts aus dem Schuppen neben dem Haus geholt hat, bricht an den Hundehütte­n das Chaos aus. Jeder Husky hat seine eigene Hütte und ist dort an einer Kette festgemach­t. Jetzt gibt es keinen Hund, der nicht kläfft, sich in die Leine schmeißt oder im Kreis läuft. „Sie wissen, dass es gleich losgeht, und jeder Hund will mit.“

Aber es sind nur 14 Hunde, die vor das Elektrofah­rzeug dürfen, und sechs, die den kleinen Kart-Wagen ziehen. Zwei von ihnen werfen sich in die Leine und versuchen ihr Geschirr abzubeißen. Vor lauter Aufregung, dass sie für das Gespann ausgewählt wurden, verrichten viele gleich ihr Geschäft. Als Bodil und Nick schließlic­h alle Huskys angebunden haben, wird es an den Hundehütte­n noch lauter. Dann soll ich in den Kart-Wagen einsteigen. Bodil setzt sich mit ihrer kleinen Tochter Martine in das Elektrofah­rzeug und fährt voraus.

Besuch von Schulklass­en

Seit 16 Jahren hat sie den Hof mit den Huskys und bietet Schlittent­ouren an. Die meisten ihrer Hunde hat sie gezüchtet; nur selten kauft sie Huskys dazu, um den Genpool zu erweitern. Schon seit 1990 fährt Bodil Hundeschli­ttenrennen. Sie hat große Wettbewerb­e gewonnen. Aber nach der Geburt ihrer beiden Kinder hat sie sich auf die Zucht und die Freizeit-Touren fokussiert. Es sind viele Schulklass­en, die Bodils Schlittent­ouren buchen. Oft seien sie zu Beginn eher ängstlich, wegen des Gebells, aber am Ende seien die Kinder meist ein Herz und eine Seele mit den Tieren, sagt sie.

Die Angst der Kinder kann ich verstehen. Das Gebell ist wirklich ohrenbetäu­bend. Meine Kleider sind schon von oben bis unten dreckig. Auch wenn die Huskys zahm und freundlich sind – ohne angesprung­en zu werden, kommt niemand an den Hundehütte­n vorbei. Jetzt sitze ich in dem Kart mit vier Rädern. Nick steht hinter mir und hält das Lenkrad in der Hand. Ich klammere mich fest. Einen Anschnallg­urt gibt es nicht. Dann schreit Nick plötzlich irgendetwa­s, es gibt einen harten Ruck und dann: Stille.

Von einer Sekunde auf die nächste hört das Gekläffe plötzlich auf. Die Huskys vor unserem Wagen rammen ihre Pfoten in die Erde und hechten vorwärts. Die Hunde, die heute nicht mitlaufen dürfen, schauen starr den Wagen hinterher – sehnsüchti­g, wie ich finde.

Plötzlich höre ich nur noch den Wind pfeifen, das Hecheln der Hunde und das leise Trappeln der Pfoten Es ist eine atemberaub­ende Landschaft. Wie in vielen Teilen Norwegens gibt es in der Region Meråker noch ganz viele Flecken unberührte­r Natur. Nachdem ich mit Flugzeug, Bus und Mietwagen angereist bin, gibt es jetzt keine Abgase, keinen Lärm, keine Betonbaute­n mehr und nur noch wenige Autos.

Bodils Huskys sind für die Schlittenf­ahrten gezüchtet. Sie können lange Strecken bei sehr niedrigen Temperatur­en laufen. „Sie leben, um zu laufen“, sagt sie. Doch schon nach 15 Minuten hecheln die ersten Hunde extrem. Wir machen eine Wasserpaus­e am Fluss. Das Wasser ist eiskalt und die Hunde lieben es. Sie alle hechten in den Fluss, kühlen sich kurz ab, dann kläffen sie auch schon wieder. Sie wollen, dass es weitergeht.

Mit den Welpen auf Wanderscha­ft

Dass die Huskys ohne Scheu ins Wasser springen, ist ihnen nicht unbedingt angeboren. Jeden Welpen, der auf Bodils Husky-Farm geboren wird, bildet sie aus. Sie geht mit ihnen Wandern und Laufen. Dabei lernen sie den unebenen Boden, die Moore und das Wasser kennen. Auch Besucher der Farm können mit den Welpen auf Wanderscha­ft gehen. Dabei gehen die Norweger stets abseits aller Wege. Um die Welpen zu schulen, in Ermangelun­g vieler Wanderwege und weil die Natur selbst schöne Pfade macht.

Nach der Trinkpause für die Huskys steige ich auf das Elektrofah­rzeug um. Sofort habe ich den Motorenkla­ng in den Ohren. Dann zeigt Bodil auf die Nummer zwei von vorne rechts: Tina macht langsam schlapp. Sie drückt aufs Gaspdeal. „Im Sommer sind die Hunde untrainier­t, da muss ich manchmal ein bisschen helfen“, sagt sie.

Hinter mir muss Nick auf dem Kart ein bisschen mitlaufen, damit die Hunde ihn bergauf ziehen können. Dann höre ich erneut das ohrenbetäu­bende Gebell – die Farm ist wieder ganz nah. Die Tiere haben uns schon lange gewittert und gehört. Erschöpft und mit Speichel überall im Fell legen sich die meisten Hunde sofort hin. Bodil und Nick beeilen sich und stellen jedem Husky einen Wassernapf hin. Für die Huskys war das ein echtes Wüstenrenn­en.

Übernachte­n im Zelt

Abends sinkt das Thermomete­r immer tiefer. Angenehm kühl für die Huskys, die nur in einer offenen Holzhütte schlafen. Aber unangenehm für mich. Ich schlafe in einem Zelt, direkt neben den Hundehütte­n. Mitten in der Nacht jaulen und heulen die Hunde plötzlich – wird wohl ein Tier vorbeigezo­gen sein. Die Temperatur sinkt weiter, aber es wird nicht dunkel. Denn im sommerlich­en Norwegen geht die Sonne nicht unter.

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FOTOS: LILIA BEN AMOR Der Sommer in Norwegen ist für Huskys eigentlich zu warm. Trinkpause­n sind wichtig.
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Jeder Hund will mit, wenn eine Tour ansteht.
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Bodil und Tochter Martine: auf Du und Du mit den Vierbeiner­n.
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Statt Schlitten zieht die Hundemeute einen Wagen oder Elektrokar­ren.

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