Die Trassenvariante
In den 80ern war ich mit einem Klassenkameraden radelnd von München nach Florenz unterwegs. Übers Timmelsjoch herrschte ein grausiger Verkehr. Ich hätte mir eigentlich als Weg eine idyllische Schätteretrasse herbeigewünscht, aber ich war viel zu beschäftigt, meinen Rhythmus für die 1200 Höhenmeter zu kontrollieren und auf Passhöhe war ich zu glückserfüllt, um mich wegen der Verkehrsdichte zu grämen.
Szenenwechsel: Aalen streitet sich über die Trassenvarianten für einen Radweg in Unterkochen und freilich darf und muss es in der Demokratie auch Streit geben. Aber ist so viel Streit sinnvoll, dass Verwaltungsspitzen „gestürmte Ortsverwaltungen“beklagen oder Bürgermehrheiten vor Ort die „Ignoranz ferner Verwaltung“? Gibt es einen adäquaten Streitwert für diesen großen Unmut? Versuchen wir es mit klaren Fragen:
Wie viele Tausend neue Radler werden die Unterkochener Gastronomie und Beherbergung beglücken, wenn die Trasse beradelt werden darf? Es werden nullkommawenige sein. Und wie viele Trassenspaziergänger werden von militanten Radlern jäh die Steilböschung hinabgedrückt werden, um ihr Leben beim Prall auf einen der dreißigjährigen Urwaldriesen zu verlieren? Wohl auch nullkommawenige. Andererseits: Sollte tatsächlich ein Fußgänger durch einen Radler zu Tode kommen, vielleicht wird sein Geist dann dort umgehen wie Hauke Haien am Deich – was im Schwäbischen wohl der Müller-, Maier- oder Schmid- Geist wäre. Und vielleicht beteiligt sich dann auch noch eine subversive Fledermaus aus dem Tunnel an dem Spuk. Wollen wir das etwa riskieren?
Keine Geringeren als die Beatles haben, nachdem sie zerstritten waren, eine weise Entscheidung gefällt, die sie besangen: „Whisper words of wisdom, let it be.“Ein Vorschlag also: Radeln Sie im Tal, bestaunen Sie auf der Fahrt die herrliche Heulenbergheide und die im Dorf gebliebene Sankt-Maria-Kirche von unten. Auf der idyllischen Waldhäuser Steige (dem kleinen Luxus unter den Straßen) angekommen, zählen Sie nicht die seltenen Fahrzeugbegegnungen, sondern erfreuen sich am herrlichen Buchenwald, den wilden Kalksteinfelsen und kommen dann mit zufriedenem Lächeln auf der Alb an. Und vielleicht werden dort noch Schilder angebracht, die heißen könnten: „Zwischen 9 und 16 Uhr für Kfz gesperrt“. Nur eine moderate Verbesserung? – Aber fast kostenfrei und für ein wohl sehr moderates Problem! Ralf Worm, Aalen
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wir freuen uns über Ihre Briefe. Bitte haben Sie aber Verständnis dafür, dass sich die Redaktion bei langen Zuschriften Kürzungen vorbehält. Für unsere Ausgabe gilt eine Beschränkung auf 60 Zeitungszeilen (pro Zeile etwa 35 Anschläge). Leserzuschriften stellen keine redaktionellen Meinungsäußerungen dar. Aus presserechtlichen Gründen veröffentlichen wir anonyme Zuschriften grundsätzlich nicht. Teilen Sie uns deshalb bitte immer Ihren vollen Namen, Ihre Adresse und Ihre Telefonnummer mit. Ihre Redaktion