Helden aus dem Südwesten
22 Persönlichkeiten erhalten von Ministerpräsident Kretschmann den Verdienstorden des Landes
ULM - Die Ehrung nehme er stellvertretend für die vielen Mitstreiter entgegen, die er in vielen Jahren gehabt habe, sagt Reinhart Müller. Der evangelische Pfarrer im Ruhestand aus Ulm bekommt am Samstagnachmittag im Mannheimer Schloss zusammen mit 21 weiteren Persönlichkeiten den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg. Und dabei will er an die Menschen denken und denjenigen danken, denen er in der Jugendarbeit, der Erwachsenenbildung, der Flüchtlingsarbeit, im Hospiz und im Gemeinderat begegnet ist: „Ohne sie wäre mein Engagement gar nicht möglich gewesen!“
Der Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg – bis Juni 2009 die Verdienstmedaille – wird vom Ministerpräsidenten für herausragende Verdienste um das Land verliehen, insbesondere im politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich. Unter den Geehrten ist in diesem Jahr das erfolgreiche schwäbische Mundart-Duo Albin Braig und Karlheinz Hartmann: noch besser bekannt als „Hannes und der Bürgermeister“. Auch werden ExArbeitsund Sozialministerin Monika Stolz, die Tettnanger Chefin des Outdoor-Ausrüsters Vaude, Antje von Dewitz, und der Schauspieler Richy Müller, populär geworden durch seine Rolle als Stuttgarter „Tatort“Kommissar Thorsten Lannert, ausgezeichnet. Der Fußballer Cacau, bürgerlich heißt er Claudemir Jerônimo Barreto, ist ebenfalls unter den künftigen Ordensträgern.
Was verbindet den Fußballer Cacau und den Ulmer Pfarrer Müller? „Auf herausragend engagierte Menschen, wie die heute Geehrten, ist jedes Gemeinwesen dringend angewiesen“, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Müller, heute 81 Jahre alt, gehört zu jener Generation evangelischer Theologen, die aus ihrem Glauben heraus, aus der aufbrechenden Theologie der 1960er-Jahre, ihr soziales Engagement begannen und fragten: „Was kann der Glaube zum Leben in der Gesellschaft beitragen?“Müller beließ es nicht bei Worten: „Auf meiner ersten Stelle im Jugendpfarramt Friedrichshafen öffnete ich die Jugendarbeit, die bis dahin auf mehr oder weniger geschlossene Gruppen gesetzt hatte.“
Die wohl prägendste Zeit folgte für Müller von 1988 bis zu seinem Ruhestand 1999 als Pfarrer an der Ulmer Pauluskirche, wo er die Vesperkirche initiierte. Die Idee dafür kam seinerzeit ursprünglich aus Stuttgart. Neu war damals, dass Bedürftige nicht in abgelegene Sozialräume abgeschoben wurden, sondern im Kirchenraum gemeinsam mit „Menschen aus der Mitte der Gesellschaft“essen, reden, zusammen sein konnten, Beratung fanden „und auch mal einen Friseur“, wie sich Müller erinnert: „Die Vesperkirche sollte so wirken wie ein Urlaub, in dem man für die nächste Zeit Kraft schöpft!“
Gründer des türkischen Theaters
Dass Müller für soziale Fragen offen war, sich durchsetzen konnte und viel erreichte, sprach sich herum: Er gehörte dem Vorstand der evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung in Württemberg an, war im Vorstand der Telefonseelsorge Ulm/Neu-Ulm, ist stellvertretender Vorsitzender des Flüchtlingsrats und Vorsitzender im OberlinHaus e. V., außerdem Gründer des türkischen Theaters Ülüm.
Doch als evangelischer Pfarrer habe er politisch immer viel Rücksicht nehmen und vermitteln müssen, sagt Müller: „Darum bin ich dankbar, dass ich im Ruhestand von 1999 bis 2004 als Mitglied der SPDGemeinderatsfraktion sehr viel deutlicher auftreten konnte.“Er kämpfte eindeutiger: gegen die Brutal-Sanierung von Wohnvierteln mit sozial schwacher Bevölkerung, für Bolzplätze.
In den kommenden Wochen will Müller sein Engagement zurückfahren, auch aus der Seelsorgearbeit im Ulmer Hospiz zieht er sich zurück: „Die Gespräche mit Sterbenden und mit den Pflegenden haben mir viel gegeben, manches konnte ich zurückgeben!“