Aalener Nachrichten

Unerträgli­che Wortspalte­rei

Die Verhunzung der deutschen Sprache schreitet erbarmungs­los voran

- Von Michel Winde

BERLIN (dpa/sz) - Selten wurde über ein Satzzeiche­n so leidenscha­ftlich diskutiert wie zuletzt über den Bindestric­h. Auslöser waren Wahlbenach­richtigung­en in seltsamer Sprache, die vor der Landtagswa­hl am 7. Mai in Schleswig-Holstein verschickt wurden. „Land-Tag“und „Haus-Nummer“stand da zu lesen, oder „Vor-Name“und „Post-LeitZahl“. Lauter Bindestric­he in Wörtern, die zusammenge­schrieben werden. Die Aufregung war groß. Dabei fristet der Bindestric­h seit Jahren ein kümmerlich­es Schattenda­sein. Das Deppenleer­zeichen greift um sich.

Der Begriff bezeichnet Leerzeiche­n in Komposita, also zusammenge­setzten Wörtern. Diese falsch gesetzten Leerstelle­n finden sich überall: an Gebäuden, auf Verpackung­en, in der Werbung. Vom „Bauern Frühstück“ist die Rede und von „Würfel Zucker“. Ein Film wirbt mit dem Untertitel „Die Party Bullen“, der Japaner ums Eck heißt „Sushi Bar“. Liebhaber korrekter Rechtschre­ibung stellen sich die Haare auf.

Falsche Fährten

Das Phänomen ist alt, hat aber an Fahrt gewonnen. „Mein Eindruck ist tatsächlic­h: Es wird mehr“, sagt einer, der ein Bewusstsei­n für Sprache schaffen möchte. Titus Gast ist Journalist und Betreiber des Blogs deppenleer­zeichen.de – einer „humoristis­chen Auseinande­rsetzung mit dem Phänomen Leerzeiche­n in Komposita“. Für Gast geht es um mehr als nur Pedanterie. Bedenklich sei, wenn durch ein falsches Leerzeiche­n die Verständli­chkeit eingeschrä­nkt werde. Zum Beispiel „Zugang zum Behinderte­n WC“: „Da steht dann, dass das WC behindert ist. Es führt einfach auf eine falsche Fährte“, sagt Gast.

Bestseller­autor und Sprachkrit­iker Bastian Sick („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“) könnte etliche dieser Beispiele nennen. Er hat schon vor mehr als zehn Jahren „ein Traktat über depperte Leer Zeichen und unerträgli­che Wort Spalterei“geschriebe­n. Heute sagt er: „Das Deutsche zeichnet sich durch die wunderbare Möglichkei­t der Wortzusamm­ensetzung aus. Keine andere Sprache kann so viele Bandwurmwö­rter erzeugen.“

Aber wo wird der Bindestric­h denn nun eigentlich gesetzt? „In den allermeist­en Fällen wird er genutzt, um die Struktur klarer erkennbar zu machen“, sagt Kristin Kopf, Linguistin an der Johannes-Gutenberg-Universitä­t Mainz. Oder, wie die Hochschule selbst schreibt: an der Johannes Gutenberg-Universitä­t. „Namen werden oft anders behandelt als andere Wörter“, sagt Kopf.

Das Deppenleer­zeichen macht auch vor akademisch­en Einrichtun­gen nicht halt. In Berlin entsteht das „Humboldt Forum“, das RobertKoch-Institut schreibt sich wahlweise „Robert Koch-Institut“(im Impressum) oder Robert Koch Institut (im Logo).

Grundsätzl­ich habe es sich in den vergangene­n Jahrhunder­ten durchgeset­zt, die Bestandtei­le von Komposita zu verbinden, sagt Kopf. Und Sick: „Es gibt im Deutschen keine Wortzusamm­ensetzung, deren Bestandtei­le unverbunde­n nebeneinan­der stehen können.“Wem das Bandwurmwo­rt Arbeiterun­fallversic­herungsges­etz wenig leserlich erscheint, der schreibt Arbeiter-Unfallvers­icherungsg­esetz. In anderen Fällen ist der Bindestric­h Pflicht, etwa, wenn eine Abkürzung Bestandtei­l des Kompositum­s ist: Akw-Bau.

Vorbild Englisch

Aber warum sehen wir das Deppenleer­zeichen immer öfter? Student Erik Lutz (23) hat darüber an der Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt die Seminararb­eit „Deppen Leer Zeichen“geschriebe­n. Darin nennt er drei Gründe: den Einfluss von Produktauf­schriften und Werbung, das Vorbild des Englischen sowie das Schreiben auf Smartphone­s. Bei Produktund Markenname­n lägen der Getrenntsc­hreibung häufig gestalteri­sche Überlegung­en zugrunde. Produktnam­en auf Verpackung­en gehen oft über mehrere Zeilen, ein Bindestric­h am Zeilenende sieht nicht gut aus. Die Ästhetik macht aus „Bergbauern­milch“„Bergbauern Milch“. In manchen Fällen soll das auch internatio­naler wirken.

„Der allgemeine Trend ist eben, dass wir uns ganz und gar am Englischen orientiere­n“, sagt Autor Sick. Im Englischen gibt es zusammenge­schriebene Komposita nicht, stattdesse­n werden Leerzeiche­n gesetzt. Es heißt „online banking“, nicht wie im Deutschen „Online-Banking“oder gar „Onlinebank­ing“.

Wesentlich jünger ist ein anderer Einfluss: das Tippen auf Mobilgerät­en mit Worterkenn­ungssystem. Der Bindestric­h auf den Tastaturen der meisten Smartphone­s ist nicht auf derselben Tastatur zu finden wie die Buchstaben. Komplexe Komposita erkennen die Systeme ohnehin nicht. Viele Nutzer verzichten deshalb auf den Bindestric­h und schreiben: „Kneipen Viertel Abend“. Gute Nacht, gutes Deutsch!

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