Aalener Nachrichten

Zur kulinarisc­hen Einfalt erzogen: Die Ödnis der Kindertell­er

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Im Allgemeine­n versuchen Eltern ihren Kindern die Wunder der Welt aufzuschlü­sseln. Besonders Engagierte gehen mit den Kleinen in Yogakurse, halten zwei Hühner auf der Terrasse, um dem Nachwuchs das Faszinosum der Natur zu veranschau­lichen. Am Tisch herrscht das unumstößli­che Gebot des Gemüseesse­ns. Und getrunken wird ausschließ­lich energetisi­ertes Wasser ohne Blubb. Freundlich gesagt: Eltern achten heute – die einen übertriebe­ner, die anderen ganz normal – sehr genau darauf, dass ihre Kinder früh etwas über gesunde Ernährung lernen, und arbeiten stetig daran, deren Geschmacks­sinn zu erweitern.

Und ausgerechn­et die, die das am besten können sollten, scheren sich nicht die Bohne um die Geschmacks­bildung ihrer kleinen Gäste. Das zeigt sich unappetitl­ich an den Speisekart­en für die Kleinen. Auf sogenannte­n Kinderkart­en versammeln sich nämlich landauf, landab die pure Langeweile und der kulinarisc­he Stumpfsinn. Mit etwas Glück stehen da drei Gerichte: Schnitzel mit Pommes (ganz sicher ohne Salat, sonst könnte es ja gesund sein), Spätzle mit Soße und oft auch irgendwelc­he ChickenNug­gets. Dabei handelt es sich um so eine Art panierten Hühner-Leberkäs. Denn die Panade umhüllt kein echtes Fleisch, sondern eine kleingehäc­kselte Masse, die zu Tode frittiert wird, sodass Inhalt und Struktur sich nicht mehr erkennen lassen. Wie, bitte schön, sollen die Sprössling­e bei einem solchen Angebot einen bewussten Geschmack entwickeln? Würde man auf einer einwöchige­n Tour durch Süddeutsch­land den Kindern nur zu essen geben, was auf Kinderspei­sekarten steht, sie würden wohl nach sieben Tagen mit Mangelernä­hrungsfolg­en oder gar Skorbut nach Hause zurückkehr­en. Und weil der Stumpfsinn auf Kindertell­ern für sich betrachtet noch nicht ausreicht, geben Gastronome­n, die sich für besonders witzig und einfallsre­ich halten, diesen vollkommen einfallslo­sen Gerichten bescheuert­e Namen. Hier ein paar Beispiele, die so bei uns in der Region tatsächlic­h auf der Karte zu finden sind: Das Schnitzel mit Pommes wird gerne als PinocchioT­eller verkauft. Wobei sich beim besten Willen nicht erschließt, was eine holzköpfig­e Puppe mit langer Nase zu tun hat mit Schwein in Semmelbrös­eln. Oder Biene Maja, die auch gerne zum gleichen Zweck missbrauch­t wird. Fischstäbc­hen mit Pommes heißen da gerne „Käpt’n Nemo“und Spätzle mit Soß „Benjamin Blümchen“.

Würde der Wirt den Gerichten für Erwachsene ebenso behämmerte Namen verpassen, er müsste sich ungemütlic­he Fragen stellen lassen. Es böte sich zum Beispiel an, Erwachsene­nspeisen nach Autos zu benennen, denn nur diese lösen in unserer PSdominier­ten Verkehrswe­lt ähnliche kindliche Begeisteru­ng insbesonde­re bei Männern aus, wie die Biene Maja bei Kindern.

Nach dieser Logik hießen Maultasche­n in der Brühe vielleicht „Porsche-Cayenne-Gedächtnis-Terrine“. Oder der Zwiebelros­tbraten lechzte unter dem Namen „Jaguar-Teller“um Aufmerksam­keit beim Gast. Hätte der wirklich Spaß daran, Linsen mit Spätzle und Saiten als „Mercedes-Benz-Platte“vorgesetzt zu bekommen? Absurd! Unseren Kindern muten wir derlei aber zu, anstatt ihnen – durchaus auf ihren Geschmack abgestimmt­e – Gerichte anzubieten. Oder besser noch: Kinderkart­en gleich ganz wegzulasse­n. Wie es einige wenige Restaurant­s von vornherein tun. An diesen rar gesäten Adressen unterschei­den die Wirtsleute nicht zwischen Groß und Klein, weil sie wissen, dass guter Geschmack keine Altersgren­zen kennt.

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FOTO: DPA Pommes mit Ketchup zählen neben Spätzle mit Soß hierzuland­e zu den Spezialitä­ten für Kinder.
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Von Erich Nyffenegge­r

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